Evangelische Kirche in Hessen und Nassau Jetzt folgen
Haben Sie Fragen?
17 Februar
Sonntag, den 17.02.2019 18:00 Uhr Friedenskirche

#ichkriegdieKrise

Out of focus - Nur wer sich verändert, bleibt sich treu

Unter #ichkriegdieKrise sind bei Instagramm die schönsten und zugleich schlimmsten Alltagskatastrophen versammelt. So zum Beispiel:

  • Zettel an der Tür des Kindergartens: „Wir haben Fälle von Magen-Darm-Erkrankung. Notbetreuung. Danke Ihr Kita-Team
  • Die Scherben einer Tasse inmitten eines riesigen Kaffeeflecks, der sich über die gesamte Tischplatte inklusive Notebook und Arbeitsblätter verteilt.
  • Kilometerlanger Stau und die Stoßstange des Vordermannes in Großaufnahme.
  • Ein Flur voller Umzugskartons, die die dahinterliegenden Türen nur erahnen lassen
  • Ein missratener Haarschnitt.
  • Eine Großpackung Taschentücher und ein Arsenal an Erkältungsmittelchen.
  • Und viele, viele mehr…

Es sind Bilder von Situationen, wie wir sie wohl alle irgendwie kennen. Situationen, die unsere Pläne und Konzepte sehr kurzfristig völlig über den Haufen werfen. Flexibilität ist da gefragt, eine große Portion Kreativität und im Übrigen heitere Gelassenheit, damit das Ganz nicht zur Krise ausartet. 

Ich weiß, dass das Einzige ist, was dann dran ist. Aber mir gelingt das auf Anhieb nur an guten Tagen. An den anderen brauche ich ziemlich lange, bis der Ärger verraucht ist und ich auch nur im Ansatz bereit bin, meinen Zeitplan zu ändern oder meine Vorstellung, wie etwas zu sein hat, zu revidieren.

Und was für diese kleinen Alltagskrisen gilt, trifft auch auf die großen zu. Ich habe einen Plan, Abläufe und Gewohnheiten, die sich bewährt haben und die meinem Leben ein Gerüst geben.  Und ich habe darüber hinaus ein Bild von mir selbst im Kopf, wie ich in dieses Leben hineinpasse. Soweit so gut. Und es lässt sich herrlich damit leben.

Aber dann kommt irgendwann der Moment, an dem das alles infrage gestellt wird. Von außen, weil Menschen neu in mein Leben kommen oder sich daraus verabschieden, weil neue Aufgaben an mich herangetragen werden oder alte sich erledigt haben u.v.m. 

Und auch von innen, von mir selbst also kann diese Anfrage kommen, wenn ich nicht zufrieden mit dem Status quo, wenn ich unruhig werde und merke, Veränderung liegt in der Luft wie jener berühmte Ostwind bei Mary Popins, der ihr Kommen und Gehen anzeigt. 

Und es ist dann oft gar nicht so leicht, sich von ihm dann einfach davontragen zu lassen. Denn zum Wesen der Veränderung gehört es, dass sie das Bisherige, die Vorstellungen, Konzepte und Überzeugen auf den Kopf stellt, einmal kräftig schüttelt und wieder neu zusammensetzt. Und das geht meist eben nicht auf Knopfdruck, sondern es gibt diese Phase dazwischen, wo die alten Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten weg sind und die neuen noch nicht gefunden. Und das bedeutet Krise. 

Denn wir werden ganz existentiell, ob wir wollen oder nicht, bewusst oder unbewusst, dann mit der Frage konfrontiert, was eigentlich die Konstante in unserem Leben ist und was bleibt, wenn sich alles ändert. „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu!“ ist in glücklichen Tagen ein geiler Satz. Aber für jene, die mittendrin stecken, stellt sich doch die Frage, wie bleibe ich mir eigentlich treu, ja, wer bin ich denn in all dem?

“To be out of focus” nennt man das im Englischen.  Denn wer im Fokus ist, der weiß, was er will, der hat sein Ziel fest im Blick und sein Leben im Griff. Aber jede Veränderung, selbst die, die in meinem Plan vorgesehen ist, verschiebt den Fokus ein wenig. Und bis ich mich neu darauf eingestellt habe, ist erstmal alles verschwommen. Auch ich selbst. Denn es ist ja noch gar nicht ausgemacht, wie ich aus dieser Veränderung hervorgehen werde. 

Und Woody Allen hat das großartig in Szene gesetzt. Da kann man wirklich seekrank werden. Und auch für die anderen ist das nicht einfach. Auch sie müssen neu sehen lernen. Und manchmal braucht es Brillen, Vermittlungshilfen also, um diese Veränderung meistern zu können.

Wie aber bleibe ich mir in der Veränderung treu? Wem bleibe ich da eigentlich treu? Meinen Mustern oder mir selber? Woran kann ich mich festmachen, wenn ich out of focus gerate?

Woody Allen gibt interessanterweise dieselbe Antwort wie das Evangelium. Nur ist es bei ihm nicht Jesus sondern eine Hure, die Harry dabei hilft, wieder im Focus sein. 

Es ist der Shutdown am Ende des Films. Jetzt entscheidet sich, ob Harry es wagen wird, den nächsten Schritt zu gehen oder nicht. 

Er hat panische Angst. Er gerät out of focus. Und der einzige Mensch, der bei ihm ist, ist eine Prostituierte, weil alle anderen von ihm nichts mehr wissen wollen. 

Und was macht sie? Sie bleibt bei ihm. Sie hält ihm die Hand. Sie redet ihm gut zu. Und sie erinnert ihn daran, wer er ist, nämlich ein großartiger Schriftsteller, der in seiner Kunst zuhause ist.  Ihr Dabeibleiben, ihre „Treue“ ermöglicht Harry, sich selbst treu zu sein und die Veränderung zu wagen.

Und letztendlich ist das auch die Botschaft des Evangeliums.  Da sind zunächst einmal andere die den Blinden zu Jesus bringen. Vielleicht weil er sich selbst schon aufgegeben hat. Und der nimmt ihn bei der Hand und führt ihn erstmal raus aus dem Dort, raus aus den alten Zusammenhängen und raus aus den alten Sehgewohnheiten und blinden Flecken. 

Dann spuckt er ihm in die Augen. Das ist erklärungsbedürftig. Denn manch einer erinnert sich jetzt vielleicht mit Widerwillen daran, wie die Mutter ins Taschentuch spuckt, um dem Kind den Dreck aus dem Gesicht zu wischen. 

Aber wenn wir den Ekel mal beiseitelassen, dann ist das vor allem eine ganz intime Berührung. Da ist einer dem Anderen ganz nah. Und weil Jesus dem Blinden so nahe ist, ihn wirklich ansieht, bei ihm bleibt, immer wieder fragt, „was siehst Du jetzt?“ ist die Veränderung Heilung. 

Denn auch der Blinde ist erstmal out of focus. Er sieht nur verschwommen. Er hält die Menschen für Bäume. Ihm ist schwindelig. All das, was ihm bisher geholfen zu überleben, trägt nicht mehr. Seine Gewohnheiten und Konzepte. Und er muss sich erstmal neu orientieren. 

Aber Jesus bleibt an ihm dran. Er hilft ihm dabei, jetzt ja nicht die Augen wieder zuzumachen. Jesus ist hier die Konstante, an dem der andere sich festhalten und zu sich kommen kann. Und dann sieht er endlich scharf und hat tatsächlich den Mut, nicht wieder in das Dorf zurückzuzukehren, sondern ins eigene Leben hinauszugehen.

Wir brauchen also einer den anderen, damit Veränderungen glücken. Wir brauchen Menschen, die an uns dran bleiben, die uns treu sind, damit wir uns selbst treu bleiben. 

Und ich bin überzeugt davon, dass Gott es ist, der dann am Werk ist, wenn wir uns gelegentlich sogar Brillen aufsetzen, um den anderen nicht aus dem Focus zu verlieren. Denn Gott ist treu. Er ist die Konstante. Er ist Anfang und Ende. Und mittendrin. Bei ihm sind wir immer im Fokus.

Und zum Schluss nun doch noch Hermann Hesse, dessen Gedicht „Stufen“ wohl schon manchen durch Veränderungen begleitet hat. Auch mich. Da heißt am Ende:

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!

Amen

Wir freuen uns auf Ihren Besuch in der Friedenskirche in Offenbach am Main.