Liebe Brüder und Schwestern, manchmal denke ich, dass uns jetzt nur noch ein Wunder helfen kann. Die immer weiter steigenden Infektionszahlen, die hohe Arbeitslosenquote und die wachsende Armut gerade in jenen Ländern, die ohnehin schon nichts haben, legen sich mir ganz eng ums Herz.
Und wenn ich heute unseren wunderschönen Erntedankaltar bestaune, der uns ja daran erinnert, was auch an Gutem in diesem Sommer gewachsen ist, frage ich mich, wo so ein Wunder eigentlich seinen Anfang nimmt. Das wäre ja eigentlich ganz gut zu wissen, weil wir dann wüssten, wo wir suchen müssten.
Und ich glaube, dass uns da das heutige Evangelium vielleicht weiterhelfen kann. Dazu hören wir aber erstmal Markus im O-Ton:
»Zu der Zeit, als wieder eine große Menge da war
und sie nichts zu essen hatten,
rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen:
Mich jammert das Volk,
denn sie harren nun schon drei Tage bei mir aus
und haben nichts zu essen.
Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe,
würden sie auf dem Wege verschmachten;
denn einige sind von ferne gekommen.
Seine Jünger antworteten ihm:
Woher nehmen wir Brot hier in der Einöde,
daß wir sie sättigen?
Und er fragte sie: Wie viele Brote habt ihr?
Sie sprachen: Sieben.
Und er gebot dem Volk, sich auf die Erde zu lagern.
Und er nahm die sieben Brote, dankte,
brach sie und gab sie seinen Jüngern,
daß sie sie austeilten,
und sie teilten sie unter das Volk aus.
Sie hatten auch einige Fische;
und er sprach den Segen darüber
und ließ auch diese austeilen.
Und sie aßen und wurden satt.
Und sie sammelten die übrigen Brocken auf,
sieben Körbe voll.
Es waren aber etwa viertausend; und er ließ sie gehen.«
Liebe Brüder und Schwestern, ich gehe davon aus, dass diese Geschichte von der wundersamen Brotvermehrung den meisten von uns seit Kindertagen vertraut ist. Und der Evangelist Markus erzählt sie gleich zweimal, so beeindruckend ist sie. Beim ersten Mal werden 5000 Menschen mit 5 Broten und 2 Fischen satt, und jetzt sind 4000 mit 7 Broten und ein paar Fischlein. Aber so vertraut uns diese Geschichte auch sein mag, bleibt sie dann nicht doch irgendwie auch fremd? Denn die Not, von der hier die Rede ist, kennen nur die Älteren unter uns, die den Hunger der Kriegs- und Nachkriegsjahre als Kinder und Jugendliche erlebt haben. Wir Jüngeren können aber doch nur erahnen, was es bedeutet, nichts zu beißen zu haben. Wir kriegen vielleicht noch eine Vorstellung davon, wenn wir die Bilder aus Afrika, dem Jemen und den grauenvollen Flüchtlingslagern sehen. Uns ist vielleicht das Klopapier mal ausgegangen und das Weißmehl. Aber Brot, Brot gab es doch immer in Hülle und Fülle.
Was also ist die Botschaft dieser wundersamen Brotvermehrung für uns heute? Wenn sie nicht nur ein schönes Märchen aus längst vergangenen Tagen sein soll, müssen wir uns also fragen, wonach wir hungern, also was uns zum Leben fehlt. Und vielleicht stellen Sie sich mal in einer ruhigen Minute dieser Frage. Ich kann nur sagen, ich hungere gerade nach Nähe, ich hungere danach, Ihnen allen wenigsten mal wieder die Hand geben zu dürfen, am liebsten würde ich Sie alle fest umarmen. Ich hungere nach meinen Freundinnen und Freunden, nach den gemütlichen Abenden mit ihnen an unserem Küchentisch. Ich hungere nach Livemusik und nach Gottesdiensten mit ganz vielen, wo alle so richtig aus voller Kehle singen. Und was mir heute fehlt, ist die Hoffnung, dass diese Nähe und unser unbeschwertes Beisammensein mal wieder möglich werden. Und ich habe den Eindruck, dass das nicht nur mir so geht, sondern vielen anderen auch. Ja, dass uns es uns hier nicht an Brot für den Körper fehlt, sondern an Hoffnung, am Brot für Seele also. Und wenn heute uns Kirchenleuten immer wieder vorgeworfen wird, dass wir nichts zu sagen hätten, dann ist das der Finger in der Wunde. Und die Frage, was denn unsere Hoffnung ist, die uns erfüllt und die uns hilft zu leben, muss auch die von uns Seelsorgenden sein. Ich habe lange darüber nachgedacht und möchte Ihnen heute gerne meine Gedanken über die Hoffnung einmal nahebringen.
Wie würde das heutige Evangelium wohl klingen, wenn wir mit unserem Hunger nach Nähe und unser Sehnsucht nach dem rettenden Wunder zu Jesus kämen wie jene 4000 Menschen, die damals mit ihrem Hunger nach Brot und Leben bei ihm waren? Vielleicht klänge es dann ja so:
»Zu der Zeit, als wieder eine große Menge da ist,
ruft Jesus die Jünger zu sich und spricht zu ihnen:
Mich jammert das Volk,
denn sie harren nun schon so lange bei mir aus
und haben keine Hoffnung.
Und wenn ich sie jetzt ohne Hoffnung gehen lasse, brechen sie unterwegs zusammen, denn der Weg ist noch weit.
Seine Jünger antworten ihm:
Woher sollen wir denn in dieser Einöde Hoffnung nehmen, wo ein Virus mal eben die Welt aushebelt, die Armut der Ärmsten der Armen von Tag zu Tag größer wird und die Erde unter unseren Füßen buchstäblich brennt.
Und er fragt sie: Wie viel Hoffnung habt ihr denn?
Sie antworten: Nicht genug. Es reicht gerade so für uns zum Überleben.
Da gebietet Jesus dem Volk, sich auf die Erde zu lagern und auszuruhen.
Und er nimmt die wenige Hoffnung, die seine Jünger noch haben, dankt und gibt sie seinen Jüngern zurück, damit sie sie an die anderen verteilen.
Und sie halten nichts zurück und geben, was sie haben an das Volk und teilen ihre Hoffnung mit ihnen, wie man Licht austeilt. Und es wird tatsächlich immer heller.
Und sie sammeln die übrigen Hoffnungsbrocken auf,
sieben Körbe voll. Und die Hoffnung reicht für alle.
Und Jesus lässt sie gehen. Denn jetzt weiß er, dass sie den Weg nach Hause schaffen.“
Liebe Brüder und Schwestern, wäre das nicht das Wunder, das wir bräuchten? Beginnt es nicht da, wo wir unseren kleinen Hoffnungsbrocken zusammenlegen, miteinander teilen und uns gegenseitig damit stärken, damit werden alle satt werden? Könnte die Hoffnung dann nicht für alle reichen? Auch für die Menschen in Indien, für die Arbeitslosen, für die an den Grenzen Europas Gestrandeten, für die Einsamen und Verzweifelten?
Welche Hoffnungsbrocken, liebe Brüder und Schwestern, würden wir zu Jesus bringen? Ich brächte den gestrigen Tag mit, an dem wir das 30. Jubiläum des Mauerfalls gefeiert haben, das Rettungsschiff der Kirchen, das wieder Menschen aus den Fluten des Mittelmeers gerettet hat, aber auch die Stimme meiner Freundin, die nach langer Krankheit wieder fest und klar klingt, die zündende Idee meiner Kollegin, wie wir dennoch zusammen Weihnachten feiern können und den bunten Rosenstrauß im Wohnzimmer des alten Herrn, der mir mit einem leisen und stolzen Lächeln erzählt, wie er nach dem Tod seiner geliebten Frau den Haushalt alleine schmeißt. Und je mehr ich darüber nachdenke, fallen mir immer neue kleine Hoffnungsbrocken ein. Und ganz sicher kommen auch Ihnen, liebe Brüder und Schwestern, welche in den Sinn, die Sie dazulegen würden, so wie wir heute Morgen unsere bunten Erntegaben miteinander auf den Altar gelegt haben. Die ersten Gemeinden der Christen, haben das früher übrigens jeden Sonntag gemacht. Regelmäßig haben sie von zuhause Lebensmittel mitgebracht und auf den Altar gelegt, damit am Ende niemand hungrig heimgehen muss. Wie wäre es, wenn wir anfangen würden, uns von dem zu erzählen, was uns Hoffnung macht und stärkt, wenn wir zusammenkommen? Würde dann nicht das Wunder beginnen, das uns aus unserer augenblicklichen Misere retten kann?
Bleiben wir uns gut, liebe Brüder und Schwestern, bleiben wir uns nah und teilen wir miteinander die Hoffnung, die wir haben, und sei sie noch so klein. Denn „ein Funke kaum zu sehn,“ heißt es in einem bekannten Kirchenlied, „entfacht doch helle Flammen; und die im Dunkeln steh’n, die ruft der Schein zusammen. Wo Gottes große Liebe in einem Menschen brennt, da wird die Welt vom Licht erhellt; da bleibt nichts, was uns trennt.“
Amen