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19 August
Sonntag, den 19.08.2018 09:30 Uhr Friedenskirche

Heiland

Predigt zu ApG 3,1-10

Liebe Brüder und Schwestern,

in einem seiner Gedichte nimmt Robert Gernhardt alle Weltverbesserer auf die Schippe, wenn er ihnen ins Stammbuch schreibt:

Ich sprach nachts: Es werde Licht! 

Aber heller wurd‘ es nicht. 

Ich sprach: Wasser werde Wein! 

Doch das Wasser ließ dies sein. 

Ich sprach: Lahmer, Du kannst gehn! 

Doch er blieb auf Krücken stehn. 

Da ward auch dem Dümmsten klar, 

dass ich nicht der Heiland war.

Und auch der Popsänger Tim Bendzko stimmt mit seinem Lied, das seit Jahren ein Hit ist, in diesen leisen Spott Robert Gernhardt ein:  

Muss nur noch kurz die Welt retten

Danach fliege ich zu dir

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Wer weiß was mir dann noch passiert

Denn es passiert so viel

Muss nur noch kurz die Welt retten

Und gleich danach bin ich wieder bei dir.

 

Die beiden Künstler haben da so ihre Fragezeichen, wenn Menschen mit messianischem Eifer drangehen, die Welt verbessern zu wollen. Und sie stehen damit nicht alleine. Ich vermute mal, auch viele von uns teilen ihr Unbehagen:

Wir können die Welt nicht retten. Wir als Einzelne schon gleich gar nicht. Wir überheben uns damit. Ja, wir können sie noch nicht mal wirklich verändern, weil alles so zusammenhängt, dass wir da gar nicht ausbrechen können, selbst wenn wir es wollten.  Und ist es nicht das Vorrecht der Jugend, so idealistisch zu sein, die Welt gerechter und besser machen zu wollen? „Das schleift sich ab!“, meinte ein alter Pfarrer zu mir, als ich mich mit 16 über die Ungerechtigkeit in dieser Welt empörte. „Das schleift sich ab!“ Und wenn ich mich heute so anschaue, muss ich ihm Recht geben. Auch wenn mich das irgendwie traurig macht.

Aber wer diesen Idealismus noch als Erwachsener pflegt, wird, wenn wir ehrlich sind, bestenfalls belächelt. Das Leben ist doch keine Blümlewiese!, sagen die Abgeklärten. Und Hand aufs Herz:  Können wir uns denn überhaupt noch vorstellen, dass unsere Welt einmal besser, friedvoller und gerechter sein könnte? Und trauen wir Gott Wunder zu?

Auch in der Kirchengeschichte wurden diese Weltverbesserer entweder als Schwärmer verlacht oder gar als Ketzer verbrannt. Zu brandgefährlich im wahrsten Sinne des Wortes waren ihre Ideen und Gedanken.

Die allerallerersten Christen aber scheinen da in einem anderen Spirit unterwegs gewesen zu sein als wir heute. Sie waren noch ganz erfüllt von dem, was sie an Pfingsten in Jerusalem am eigenen Leib erfahren haben. Denn da hat der Heilige Geist ihren ganzen Alltag vom Kopf auf die Füße gestellt. Ws damals geschah, hat ihr Lebensgefühl von einem Moment auf den anderen völlig verändert.  

Nichts schien in diesen ersten Tagen und Monaten mehr unmöglich. Von Wundern wird erzählt, die die Apostel im Namen Jesu vollbrachten. Ja, das ganze Gemeindeleben schien wie ein einziges Wunder einer besseren Welt zu sein. Menschen aus allen Nationen bildeten damals in Jerusalem die christliche Gemeinde. Und jeden Tag kamen neue dazu. Aus Fremden wurden Brüder und Schwestern. Sie legten alles zusammen, was sie hatten, und lebten in Frieden miteinander. Ihr Alltag war geprägt vom Gebet im Tempel und vom gemeinsamen „Brotbrechen in den Häusern“,  von einer Tischgemeinschaft also, die etwas von dem  himmlischen Festmahl ahnen ließ, von der Jesus nicht müde wurde, ihnen immer und immer wieder zu erzählen, und die er selbst mit ihnen immer und immer wieder gehalten hatte. 

Von einem dieser Wunder berichtet Lukas im 3. Kapitel seiner Apostelgeschichte ganz ausführlich.  Es ist der Predigttext für heute:

Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit. Und es wurde ein Mann herbeigetragen, der war gelähmt von Mutterleibe an; den setzte man täglich vor das Tor des Tempels, das da heißt das Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen. 

Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen. Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an! 

Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! 

Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. 

Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest,  er sprang auf, konnte stehen und gehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott. 

Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben. Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor dem Schönen Tor des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war.

Meine lieben Brüder und Schwestern, 

mit Verwunderung und Entsetzen reagierten die Menschen damals auf das, was da mitten am Tag vor dem Tor des Tempels passiert ist. Und wir, wir können uns zu ihnen stellen. Geht es uns denn anders als ihnen? Verstehen wir denn, was da geschieht? 

Und unser Verstand fängt sofort an zu arbeiten und nach Erklärungen für diese Heilung des Gelähmten zu suchen.  Und diese Versuche, Wunder erklären zu wollen, füllen mittlerweile nicht nur theologische Bibliotheken. Aber wir kommen einfach nicht dahinter, was damals passiert ist. Und das, das sollten wir auch nicht. Wir sollten es einfach geschehen lassen.

Denn ein Wunder ist etwas, das sich mit dem Verstand nicht erklären lässt und dennoch die Welt in einer Art und Weise verändert, die wir nicht beeinflussen können. Das einfach geschieht und uns hilft, es geschehen zu lassen, damit es uns hilft. Aber all diese Wunder, von denen wir uns immer wieder erzählen, sind Hoffnungsbilder einer heilen Welt.

Und diese Wunder gibt es öfter, als wir das wahrhaben wollen.  Ist es denn nicht ein Wunder, wenn ein Mensch nicht mehr einsam ist? Wenn wir einander zum Lachen bringen?  Wenn einer den anderen zu trösten vermag und die Angst und der Kummer dann kleiner werden?

Für diesen Gelähmten jedenfalls, so sagt uns Lukas,  ändert sich die Welt von einem Moment zum anderen. 

 „Sieh uns an!“ bittet Petrus daher den Bettler und öffnet ihm damit im doppelten Sinne des Wortes die Augen. Der erlebt nämlich vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben ein Miteinander, Gemeinschaft mit Menschen also, die bei ihm stehen bleiben, die ihn nicht sitzen lassen in seiner Einsamkeit, die ihn nicht als den Bettler sehen, sondern als Bruder. Weil sie wissen, wie es ihm geht, weil sie ihm weitergeben, was sie selbst an Pfingsten geschenkt bekommen haben: Gemeinschaft nämlich, Hoffnung und Vertrauen.  

Und so ein Wunder können wir alle vollbringen. Dann nämlich, wenn wir beim anderen stehen bleiben, ihn ernst nehmen mit seinem Kummer und seinen Sorgen, mit seinen Fragen und seinen Zweifeln, mit seinen Träumen und seiner Sehnsucht. Dann nämlich, wenn wir ihn nicht allein lassen, da verändern wir die Welt. Stück für Stück. Denn da wird sie heller, nicht nur für den, der einsam ist, sondern auch für uns. Weil auch unser Horizont ja weiter wird in der Begegnung mit unseren Mitmenschen. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit, aber oft fehlt uns dafür der Mut dazu.

Und vielleicht kann uns die wundersame Heilung des Gelähmten diesen Mut machen. Mut und Hoffnung! 

Hoffnung nämlich, dass unsere Welt nicht so bleibt, wie sie ist, sondern verwandelt werden kann in Gottes Liebe und in seinen Frieden. Hoffnung, die wir heute so dringend brauchen, weil es so wenig davon gibt. Hoffnung, zu der wir als Christen aber berufen sind.

„Im Namen Jesu Christi steh auf!“ sagt Petrus zum Gelähmten und richtet ihn auf. Das gelingt ihm nicht aus eigener Kraft. Und auch uns gelingt das nicht aus eigener Kraft. Da hat Robert Gernhardt schon recht, wenn er hintergründig sagt: „Dann wird auch dem Dümmsten klar, dass ich nicht der Heiland war.“ Und wo Menschen versuchen, aus eigener Kraft auf Biegen und Brechen die Welt besser zu machen, bringen sie sie in Gefahr. Eine Gefahr, in der sie ohnehin schon ist. Aber dazu brauchen wir Hilfe.

„Der Name Jesu befähigt mich dazu,“  wird Petrus später der staunenden Menge erklären. Das klingt geradezu magisch. So, als ob wir nur den Namen Jesu nennen müssten und alles wäre wie durch einen Zauber gut. Darum geht es hier aber nicht. Um zu verstehen, was Petrus meint, müssen wir kurz abtauchen in die biblische Vorstellungswelt. Im brennenden Dornbusch offenbart Gott dem Mose seinen Namen: Ich bin der ich bin da!

Gott hat das Leiden seines Volkes in Ägypten gesehen und beauftragt nun den Mose damit, Israel endlich in die Freiheit zu führen und in das gelobte Land, das Er schon dem Abraham verheißen hat. Und indem dieses Volk Gott nun beim Namen nennen kann, wird es zu seiner Familie. Da schenkt Gott ihnen mit seinem Namen Gemeinschaft, Kommunikation, und sagt ihnen seine Nähe zu.  

Sein Name wird zum Hoffnungszeichen für sie, dass es gut ausgehen wird und dass sie das gelobte Land erreichen werden. Und wo sein Name geheiligt wird, wo Menschen in dieser Hoffnung leben, da verändert sich was, da ist sein Reich des Friedens, der Liebe und der Gerechtigkeit schon da mitten in unserer Welt trotz all ihrer Brüche und Abgründe. Deswegen beten wir doch: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme!“  

Und dieser Name „Ich bin, der ich bin da!“ ist in Jesus Christus für alle Menschen begreifbar geworden, weil Gott in ihm Mensch wurde.  Nicht nur das Volk Israel ist nun Gottes Volk mit ihm, sondern wir alle gehören nun zu seiner Familie, sind Brüder und Schwestern. Sein Name ist unsere Hoffnung, dass Gott unsere Welt in seine Welt verwandeln wird. Sein Name ist unsere Hoffnung, dass wir nie verloren und einsam sind, auch wenn sich das manchmal so anfühlen mag. Sein Name ist unsere Hoffnung, dass wir Zukunft haben – trotz allem.

Und wo wir in diesem Namen Jesu handeln, da handeln wir in der Hoffnung auf diese Zukunft hin. Und wo wir diese Zukunft vor Augen haben, da können wir gar nicht anders, als uns danach zu sehnen und alles dranzusetzen, dass sie endlich anbricht und die Welt sich durch sie zum Guten wandelt auch auf die Gefahr hin, dass andere uns für naive Schwärmer halten.

Wir sind auf den Namen Jesu Christi getauft, liebe Brüder und Schwestern. Und wir feiern gleich die Taufe von Silia. Wir bekennen uns 

Durch diese Taufe dazu, dass Menschen egal welcher Herkunft Brüder und Schwestern sind.  Und wenn wir uns dann auch noch um seinen Tisch versammeln, dann ist  auch das ein Hoffnungsbild und ein Bekenntnis, nämlich das Fremde miteinander das Leben teilen und gemeinsam in Frieden leben.

 Das ist unsere Zukunft, die wir als Gemeinde vor uns haben und die wir heute schon feiern dürfen. Nicht nur in unserem Gottesdiensten, sondern heute auch in unserem Gemeindefest und hoffentlich darüber hinaus auch im Alltag. 

Unsere Zeit braucht solche Hoffnungszeichen, vielleicht wieder mehr denn je. Unsere Zeit braucht Menschen, die sich nicht zu schade sind, als ewige Weltverbesserer und Gutmenschen verlacht zu werden. Unsere Zeit braucht Hoffnungsträger, die stehen bleiben und zupacken: Im Namen Jesu steh auf!

Als sie in Jerusalem am Abend als Gemeinde wieder zusammenkamen, betete Petrus aus vollem Herzen: „Und nun, Herr, gib uns den Freimut, zu reden dein Wort. Streck deine Hand aus und lass Zeichen und Wunder geschehen durch den Namen Jesu Christi.“ 

„Und als sie gebetet hatten,“ schreibt Lukas, „erbebte die Stätte, wo sie versammelt waren, und sie wurden alle vom Heiligen Geist erfüllt und redeten das Wort Gottes mit Freimut.“

Ich wünsche auch uns, liebe Brüder und Schwestern, diesen Geist, der die ersten Christen erfüllt hat. Ich wünsche uns, diesen Freimut, diesen Mut zur Freiheit. Es kann durchaus sein, dass es dann auch mal Widerstände gibt, weil wir gemeinsam neue Wege ausprobieren, Türen öffnen,  Mauern überwinden und Neues wagen. Was ja dann auch schon ein Wunder ist! Und solange wir das gemeinsam in seinem Namen tun, brauchen uns davor nicht zu fürchten.   Solange wir uns immer wieder in seinem Namen evrsammeln, ist er ja bei uns.

Und so wünsche ich uns allen heute ein im besonderen Sinne wunderbares Gemeindefest! Bleiben Sie behütet!

Amen

Wir freuen uns auf Ihren Besuch in der Friedenskirche in Offenbach am Main.