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28 Oktober
Sonntag, den 28.10.2018 09:30 Uhr Friedenskirche

Widersprüchlichkeit

Predigt zum Röm 7,1-7

Liebe Brüder und Schwestern,

Ständig hören wir sie, diese Aufforderung, unsere Lebensgewohnheiten zu überdenken: vom Arzt, der uns nahe legt, doch bitte regelmäßig Sport zu machen,  von der Familie und den Freunden, die uns kaum noch zu Gesicht bekommen. Und die Medien tun ein Übriges, uns mit jenen Schauermärchen zu füttern, die uns an unsere Grenzen bringen.  Darüber hinaus gibt es stapelweise Ratgeberliteratur, die uns versprechen, die richtigen Wege zum richtigen Leben parat zu haben und zwar schon besser vorgestern als übermorgen.

Klimaforscher warnen uns sehr eindringlich, dass die ganze Erde mit Karacho an die Wand, wenn sich nichts ändert! Kann uns denn dann nicht wirklich angst und bange werden? Im Grunde wissen wir doch längst, dass sich was ändern muss.  Haben wir nicht alle längst eine ziemlich genaue Ahnung davon, wie wir leben sollten und eigentlich auch wollen? Im Kleinen wie im Großen. Und wenn das so ist, wieso schaffen wir es dann nicht, diese Ahnung in die Tat umzusetzen.

Wir Menschen sind schon seltsame Wesen: Wir sind für den Tierschutz und kaufen unser Fleisch trotzdem weiterhin im Supermarkt, wohlwissend, dass das aus der Massentierhaltung stammt. Wir fordern die Verringerung von Schadstoffausstoß, wollen aber auf das Auto und das Flugzeug doch lieber nicht verzichten. Wir spüren die Erwärmung der Erde inzwischen am eigenen Leib, produzieren aber weiterhin Plastikmüll ohne Ende. Könnten wir uns nicht wenigstens ab und zu mal ein paar Gedanken darüber machen, was es brächte, wenn wir alle irgendwie an einem Strang ziehen würden.

Vielleicht kennen Sie ja die Fabel von dem kleinen Vogel, der sich völlig anders verhält als die anderen Tiere, als deren Wald brennt. Keins von ihnen, auch der mächtige Löwe nicht rettet ihn. Aber der Allerkleinste, der überlegt sich was. Er fliegt irgendwo hin, wo er Wasser findet, und versprüht die aufgenommenen Tropfen auf dem Brand. „Warum tust Du das,“ fragt der Löwe. „Kannst doch damit den Wald nicht retten.“ Da antwortet der kleine Vogel: „Nein, aber ich habe es wenigstens versucht.“

Und wir Menschen? Wenn wir alle unsere Kräfte zusammennähmen und auf unsere bescheidene Weise etwas verändern würden, kämen wir dann nicht vielleicht auch aus den vielen Widersprüchen heraus, in denen wir leben, damit es nicht zu spät ist?

„Ich bin eigentlich ganz anders, aber ich komme nur  selten dazu,“ lässt der Dichter Ödon von Horvath eine seiner Hauptfiguren in einem seinem Bühnenstück sagen.

„Ich bin eigentlich ganz anders…“ Schon der Apostel Paulus leidet unter dieser Einsicht und kommt uns heute in seiner Zerrissenheit ganz nahe. Im 7. Kapitel seines Briefs an die Gemeinde in Rom schreibt er:

 

Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht.

Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.

Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.

So finde ich nun das Gesetz: Mir, der ich das Gute tun will, hängt das Böse an. Denn ich habe Freude an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen.

Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Verstand und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.

Ich elender Mensch!

Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes?

Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!

Liebe Brüder und Schwestern, das klingt im Grunde hochaktuell, was Paulus vor 2000 Jahren nach Rom schreibt. Den Christen dort will er das Evangelium als Botschaft der Freiheit nahebringen. Und für diese Freiheit wirbt er eindringlich. Da stellt sich damals wie heute die Frage, was ist das für eine Freiheit?

Es ist jene Freiheit, schreibt Paulus, die uns aus dem Griff des Bösen befreien kann. Und dieses hat ja viele Gesichter! Wir spüren es dann, wenn wir das Böse nicht wollen, es aber trotzdem tun: Unser Verstand weiß, dass wir etwas ändern müssen, aber wir haben oft nicht die Kraft dazu.

Und auch wenn uns die Verzweiflung packt, dass wir diese Kraft nicht haben, schaffen wir es oft trotzdem nicht das Richtige zu tun.

„Ich habe Freude an Gottes Gesetz, aber ein anderes Gesetz ist in meinen Gliedern und das hält mich gefangen,“ bekennt Paulus. Und dieses andere Gesetz bringt uns trotz guten Willen leider immer wieder an unsere Grenzen. Es hindert daran, zu sein, wer wir eigentlich sind. Und es entfremdet uns vom Grund unseres Lebens, von den anderen und uns selbst. Diese Entfremdung nennt die Bibel übrigens Sünde.

Ich suche das Gute und tue es aber nicht. Ich suche das Glück und schieße übers Ziel hinaus. Ich suche das Leben und übersehe es so oft. Ich suche die Liebe und kreise doch immer wieder um mich selbst.

Und auch Paulus schraubt sich in diese menschliche Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit hinein, bis es tiefer nicht mehr geht und er in seiner Not hinausschreit: Ich elender Mensch!

Es ist das Elend des Menschen, sich nicht am eigenen Schopf herausziehen zu können. Und alle Ratgeber, die das Gegenteil schön reden, sind auch nur Lügenbarone, und können nicht halten, was sie versprechen.

Wo aber ist der Ausweg? Wie gelingt es uns, zu sein, wer wir eigentlich sind und danach auch zu leben?

Die Antwort von Paulus im Römerbrief klingt wie ein Seufzer nach einem schlimmen Alptraum. Gott sei Dank, dass Jesus Christus bei uns ist und uns hält, wo wir zerrissen sind in den Widersprüchen unseres Lebens.

Denn er, so glauben wir, hat die Macht der Sünde gebrochen. Warum? Weil er uns nicht von der Seite weicht. Weil er bei uns ist und bleibt in unserer Angst, in unserer Gier, in unserer Härte und in unserer Verzweiflung. Er gibt niemanden verloren. Auch nicht über unser Erdenleben hinaus. Er verurteilt uns nicht! Und selbst wenn wir unsere Welt an die Wand fahren, wird uns der liebende Gott entgegentreten. Und der meint es besser mit uns, als wir mit uns selbst. Er hilft uns dabei, auch die kleinen Schritte und Auswege zu finden.

Und dass es diese Auswege wirklich gibt und dass wir tatsächlich durch ihn, der ja ein solcher Ausweg ist, immer öfter dazukommen können, zu leben und zu sein, wer wir eigentlich sind, ahnen wir in jenen Momenten, wo uns das gelingt, wo wir unsere Gewohnheiten umkrempeln und immer wieder, wenn es sein muss, von vorne anfangen. Schritt für Schritt. Und die Hoffnung nicht verlieren. Wo uns die Kraft und der Mut zuwachsen, und wir wissen nicht wie. Wo wir unseren Lebensstil ändern, um den anderen nahe zu sein. Wo wir uns nicht verrückt machen lassen von überzogenen Ansprüchen, sondern im Kleinen beginnen. Wo wir wie jener winzige Vogel aus der Fabel eigenhändig die kleinen Tropfen von A nach B tragen und versuchen, den großen Brand löschen zu helfen.

Dann, liebe Brüder und Schwestern, dann hören wir ihn, der uns immer wieder ruft: Ändert Euer Leben, kehrt um zu mir und glaubt mir! Glaubt mir, dass ich Euch festhalte, wo es Euch schier zerreißt. Glaubt mir, dass ich Euch heraushole, wo Ihr Euch in Widersprüche verstrickt. Glaubt mir doch, dass ich den Tod entmachtet habe und Euch in jene Freiheit führe, die Ihr zum Leben braucht. In jene Freiheit, zu der ich nur vorausgegangen bin.

Wenn wir ihm das glauben, dann ändert sich unser Leben ganz von allein. Denn leben wir auch hier auf Erden schon in jener Freiheit, die uns Kraft gibt, das Gute nicht nur zu wollen, sondern auch zu tun.

Hören wir also seine Stimme bereits in unserem Erdenleben hören, vertrauen wir seinem Wort vertrauen und folgen ihm. Denn er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Amen

Pfarrerin Henriette Crüwell, 28. Oktober 2018   

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