Liebe Brüder und Schwestern,
„jeder Schlag ein Herzschlag,“ meinte der Bildhauer Georg Hüter mit Stolz in der Stimme, als sein Altar endlich bei uns im Pfarrgarten stand. Und wer genau hinschaut und vielleicht sogar sachte mit den Fingern über die rauhe Oberfläche streicht, kann die vielen, unzähligen feinen Spuren ertasten, die der Meißel des Künstlers im harten Stein hinterlassen hat. „Es ist jedesmal eine Suche,“ sagt Georg Hüter, „die Suche nach dem darin Verborgenen, nach dem, was werden will.“ Und das, was daraus wurde, liebe Brüder und Schwestern, ist wirklich wunderbar. An diesem Ort hier werden hoffentlich auch unsere Kinder und Kindeskinder immer wieder den Herzschlag dessen hören, der uns ins Leben geliebt hat und wo wir auch buchstäblich be-greifen können, wie eindrucksvoll sich diese Liebe auch in Zukunft beweist.
Denn der Altar ist aus Muschelkalk, also aus jenem Millionenjahre altem Sedimentgestein, das entstand, als Wasser noch die ganze Erde bedeckte. Und er erinnert damit an jenen Anfang, als Gott mitten in diesen finsteren Chaosfluten seine Firmamente einzog, uns Menschen Raum zum Leben schuf und in alles, was ist, seinen Glanz hineinlegte, damit wir ihn dort suchen und finden können. Wir haben sein Wort, liebe Brüder und Schwestern: „Wenn Ihr von ganzem Herzen nach mir fragt, will ich mich von Euch finden lassen!“ Dieses Wort hat Bestand. An ihm können wir uns festhalten, auch und gerade dann, wenn wir nicht mehr weiterwissen und uns der Boden unter den Füßen verloren geht. Seit den Tagen Noahs gilt sein Versprechen, dass er uns nicht untergehen lässt. „Gott rettet“ ist der Name seines Sohnes. Und Jesus hat sich von nichts und niemandem abbringen lassen, uns immer wieder Gottes Liebe in die Seele zu legen auch und gerade in unseren dunkelsten Stunden.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, liebe Brüder und Schwestern, wie schwer es doch manchmal wird, ihm das zu glauben. Als mir nämlich im übertragenen Sinne das Wasser einmal bis zum Hals stand, kein Land in Sicht war und ich dachte, wo ist er denn, warum hilft er mir denn nicht, habe ich plötzlich gemerkt, dass da einer ist, der mich auffängt und trägt.
Das Buch der Bücher ist voller solcher Rettungsgeschichten. Und die Altäre sind allesamt Erinnerungsorte, dass Gott es ist, der uns hält und Raum schafft, damit wir leben können.
Der erste, der das erfahren hat, liebe Brüder und Schwestern, war übrigens Noah. Und er ist auch der erste, der in der Bibel Gott einen Altar baut. Und so fantastisch seine Geschichte auch klingen mag, kann sie nicht auch unsere heute werden? Und so lesen wir im ersten Buch Mose:
Da gedachte Gott an Noah und an alles wilde Getier und an alles Vieh, das mit ihm in der Arche war; und Gott ließ Wind auf Erden kommen, und die Wasser fielen. Am siebzehnten Tag des siebenten Monats setzte die Arche auf dem Gebirge Ararat auf. Es nahmen aber die Wasser immer mehr ab bis auf den zehnten Monat. Am ersten Tage des zehnten Monats sahen die Spitzen der Berge hervor. Nach vierzig Tagen tat Noah an der Arche das Fenster auf, das er gemacht hatte, und ließ einen Raben ausfliegen; der flog immer hin und her, bis die Wasser vertrockneten auf Erden. Danach ließ er eine Taube ausfliegen, um zu erfahren, ob die Wasser sich verlaufen hätten auf Erden. Da aber die Taube nichts fand, wo ihr Fuß ruhen konnte, kam sie wieder zu ihm in die Arche; denn noch war Wasser auf dem ganzen Erdboden. Da tat er die Hand heraus und nahm sie zu sich in die Arche. Da harrte er noch weitere sieben Tage und ließ abermals die Taube fliegen aus der Arche. Sie kam zu ihm um die Abendzeit, und siehe, sie hatte ein frisches Ölblatt in ihrem Schnabel. Da merkte Noah, dass die Wasser sich verlaufen hatten auf Erden. Aber er harrte noch weitere sieben Tage und ließ die Taube ausfliegen; sie kam nicht wieder zu ihm. Im sechshundertundersten Jahr Noahs am ersten Tage des ersten Monats waren die Wasser vertrocknet auf Erden. Da tat Noah das Dach von der Arche und sah, dass der Erdboden trocken war. Da redete Gott mit Noah und sprach: Geh aus der Arche, du und deine Frau, deine Söhne und die Frauen deiner Söhne mit dir. Alles Getier, das bei dir ist, alle Vögeln, alles Vieh und alles Gewürm, das auf Erden kriecht, das lass mit dir herausgehen, dass sie sich regen auf Erden und fruchtbar seien und sich mehren auf Erden. So ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen seiner Söhne, 19 dazu alles wilde Getier, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, das auf Erden kriecht; das ging aus der Arche, ein jedes mit seinesgleichen. Noah aber baute dem HERRN einen Altar und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
Liebe Brüder und Schwestern, als Noah endlich wieder festen Boden unter den Füßen hat, baut er als Allerstes einen Altar. Ich habe das bisher immer überlesen. Erst seit ich gesehen habe, was für ein Kraftakt es ist, so einen Stein zu bearbeiten, wie viele Herzschläge es braucht, bis er dasteht, begreife ich, warum Noah genau damit angefangen hat, statt sich erstmal in dieser neuen Normalität nach der Sintflut Häuser zu bauen, das Land zu bestellen und alles in Ordnung zu bringen. Aber vielleicht ist es ja einfach richtig, den Neuanfang mit so einer Stätte zu kenntlich zu machen, um sich daran auszurichten und immer vor Augen zu haben, was das Leben immer wieder neu macht.
Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir Ihnen in den vergangenen Wochen davon erzählt haben, dass wir hier in der Friedenskirche für einen Altar im Pfarrgarten sammeln, kam oft auch die kritische Frage: Braucht es das jetzt? Gibt es nicht Dringlicheres? Sollten wir das Geld nicht besser für Hilfsprojekte ausgeben?
Ja, liebe Brüder und Schwestern, es wäre ganz sicher völlig daneben, wenn wir womöglich für einen Altar werben und dabei die Augen und Herzen für die unermessliche Not in unserer Welt verschließen würden. Und um zu beten, brauchen wir ja keinen Altar. Denn Gott hat uns doch versprochen, dass er sich finden lässt, wo immer wir nach ihm fragen und ihn suchen.
Kann nicht auch für uns dieser Stein wie in den Tagen Noahs so etwas wie ein Startpunkt sein für das, was nun vor uns liegt? Denn dieser schöne Altar lässt uns neu sehen und erkennen. Er ist der Ort des Anfangs schlechthin, er ist der Ort des Auferstandenen. Ein Ort, wo wir verbunden mit den Glaubenden aller Zeiten und Orte im Namen des Auferstandenen zusammenkommen werden, auf sein Wort hören, Brot und Wein mit ihm und miteinander teilen, und neu erfahren, was Leben wirklich heißt, um dann gestärkt, aufrecht und mutig, dieses Leben zu leben. Und sollte nicht dieser Stein in unserem Garten auch ein gemeißelter Dank sein für die große Liebe unseres Herrn zu seinen Geschöpfen, obwohl sie seine Erde nicht immer so behandeln, wie er sich das erhofft hat, als er die Menschen in die Freiheit entließ? Ich glaube, dieser Dank gehört auch zu unserem neuen Altar. Damit wir niemals an der Liebe dessen zweifeln, für den wir ihn gebaut haben.
Und so wünsche ich Ihnen und Euch allen, liebe Brüder und Schwestern, dass sein Segen Euch auch weiter begleite auf allen Euren Wegen, dass Ihr nicht aufhört, nach ihm zu fragen und so selbst zum Segen für andere werdet. Und gibt es Wichtigeres, als sich dann von ihm finden zu lassen?
Amen
Dazu begleite uns der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, in Christus Jesus, dem auferstandenen Herrn, unserem Bruder. Amen