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27 September
Sonntag, den 27.09.2020 09:30 Uhr Friedenskirche

Mal sehen!

Predigt zu 2 Tim 1,7-14

Liebe Brüder und Schwestern, seit März stecken wir irgendwie im „Jetzt“ fest. Es gibt die Zeit vor Corona, die sich gerade sehr fern und fremd anfühlt. Und wenn wir uns davon erzählen, hat das ja fast schon etwas Märchenhaftes im Sinne von „Es war einmal…“
Und auch die Zukunft scheint gerade undurchdringlich. Alle unsere Planungen für die kommenden Wochen und Monate stehen unter dem Vorbehalt „mal sehen!“ Mal sehen, wie wir mit all dem fertig werden. Mal sehen, ob, wie und wann der Chor wieder proben und der Frauenkreis sich treffen kann. Mal sehen, wie und wo wir unsere Sonntagsgottesdienste im Herbst und Winter abhalten werden. Mal sehen, was an Weihnachten und Silvester sein wird.
Ja, mal sehen! Wer hätte gedacht, dass diese zwei Wörter einmal unser ganzes Lebensgefühl beschreiben würden, nämlich nichts wirklich planen zu können. Manche, nicht Wenigen von uns, ich auch, fühlen sich buchstäblich gefangen im Hier und Jetzt. Es ist ja auch wirklich schwer, diese schon viel zu lange andauernde Unsicherheit auszuhalten.
Dabei fühlen wir doch im Grunde tief drinnen in uns, dass wir eigentlich schon immer damit leben, nicht zu wissen, was morgen sein wird. Nur machen wir uns normalerweise gar nicht so bewusst, sondern schmieden wie selbstverständlich Pläne für den nächsten Tag, für die kommende Woche, für das neue Jahr. Und das ist ja auch gut so. Denn Pläne geben Halt und Perspektive. Und sie sind ein Teil unseres Lebens. Ganz gleich, was passiert.
Wer schon einmal in einer Krise war, weiß wie belastend das sein kann. Aber viele sagen dann auch, sie hätten dadurch erst gelernt, das Leben neu und mit anderen Augen zu sehen, offen zu sein für das, was kommt und sich überraschen zu lassen. Und manche sagen, was für eine Freiheit sie dadurch gewonnen haben. Die Freiheit nämlich, nach einer solchen Krise wirklich zu leben. Ohne Angst. Und ohne Angst vor der Angst.
Zu dieser Freiheit will uns auch heute der Predigttext aus dem zweiten Brief des Apostel Paulus an Timotheus Mut machen. Der Apostel sitzt im römischen Gefängnis. Seine Hinrichtung ist beschlossene Sache. All seine tollen Reisepläne, das Evangelium bis in den hintersten Winkel zu bringen, sind über den Haufen geworfen. Er sitzt buchstäblich fest. Und aus dieser Not heraus schreibt er an seinen Schüler und Freund Timotheus, der den Mut schon verlassen hat. Ihn hatte er in Ephesos zurückgelassen, damit er dort das Evangelium verkündet. Aber der Plan geht nicht auf. Die Menschen kehren sich von Timotheus ab, sie kritisieren ihn, verleumden und bedrängen ihn. Er kann nicht mehr. Er steckt fest. Er hat einfach Angst. Da kommt dieser Brief von Paulus aus Rom und er liest darin:
Darum rufe ich dir ins Gedächtnis: Entfache die Gnade Gottes wieder, die dir durch die Auflegung meiner Hände zuteilgeworden ist! Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Schäme dich also nicht des Zeugnisses für unseren Herrn und auch nicht meiner, seines Gefangenen, sondern leide mit mir für das Evangelium! Gott gibt dazu die Kraft: Er hat uns gerettet; mit einem heiligen Ruf hat er uns gerufen, nicht aufgrund unserer Taten, sondern aus eigenem Entschluss und aus Gnade, die uns schon vor ewigen Zeiten in Christus Jesus geschenkt wurde; jetzt aber wurde sie durch das Erscheinen unseres Retters Christus Jesus offenbart. Er hat den Tod vernichtet und uns das Licht des unvergänglichen Lebens gebracht durch das Evangelium.
Liebe Brüder und Schwestern, in wenigen Worten erinnert Paulus an alles, was die Frohe Botschaft ausmacht. „Sei nicht verzagt!“ schreibt er an Timotheus. „Denk daran, dass wir Gottes Geist bekommen haben. Er gibt uns die Kraft, die wir jetzt brauchen, um dieses „mal sehen“ auszuhalten und uns überraschen zu lassen. Er gibt uns die Liebe und Freundschaft, die uns gerade auch in den schwersten Zeiten beieinander hält. Und er gibt uns das in solchen Zeiten allerwichtigste. Er gibt uns Besonnenheit. Um einen klaren Kopf zu bewahren und die richtigen Entscheidungen zu treffen dann, wenn sie dran sind. Ich weiß genau, wie Du dich fühlst,“ schreibt Paulus seinem Freund. „Ich sitze auch im Gefängnis. Aber das ist kein Grund, sich deshalb zu schämen. Ich bin ja wegen meines Glaubens hier. Und Gott gibt mir auch jetzt die Kraft, ihm zu vertrauen und alle meine Pläne, den morgigen Tag, die kommende Woche und das neue Jahr in seine Hände zu legen. Und er hat auch dir diese Kraft gegeben. Du musst dich nur immer wieder daran erinnern!“
Auch wir haben in der Taufe diesen Geist empfangen. Und auch wir müssen uns immer wieder mal daran erinnern lassen, um in diesem Geist immer mehr das Leben mit all seinen Möglichkeiten neu zu sehen. Denn da ist einer, an dem wir uns festhalten können. Da ist einer, der uns Halt und Zukunft gibt auch und gerade dann, wenn unsere Pläne Schnee von gestern sind und wir das Gefühl haben, einfach nur festzustecken und nicht mehr weiter zu wissen. Da ist einer, der uns immer wieder dabei hilft, das Unmögliche möglich zu machen.
Denn er hat ja sogar dem Tod die Macht genommen und das unvergängliche Leben ans Licht gebracht, wie Paulus eindringlich an Timotheus schreibt. „Das ist das ganze Evangelium.“
Und weil Gott in Jesus dieses unvergängliche Leben ans Licht gebracht hat, können wir es hier und heute entdecken, wenn wir genau hinsehen und offen sind für die Menschen, denen wir begegnen, für die Aufgaben, die sich uns jetzt stellen, und für die vielen kleinen überraschenden und frohmachenden Momente, wo wir auf einmal spüren, was für eine Zukunft wir doch haben. Und dann wird hoffentlich auch unsere Angst kleiner und mehr noch die Angst vor der Angst. Und dann, dann wird hoffentlich unser Herz ganz weit in seiner Liebe, die keine Grenze kennt. Auch nicht die letzte. Dann glauben wir ihm hoffentlich, dass alles gut ist, weil er uns doch gut ist.
Lassen Sie uns in diesem Sinne also ganz getrost „mal sehen“. Unsere Zeit steht in seinen Händen. Und alles ist möglich dem, der glaubt.
Amen

Pfarrerin Henriette Crüwell

Wir freuen uns auf Ihren Besuch in der Friedenskirche in Offenbach am Main.