Meine lieben Brüder und Schwestern, auf schwarzem Hintergrund hat er bunte Gummibärchen farblich sortiert angeordnet. Von Weiten wirkt das wie ein dreidimensionaler Regenbogen. „Gott hat die Welt erschaffen,“ erklärt der junge Künstler, „und jetzt sieht Gott zu, freut sich, genießt und isst Gummibärchen.“ „Alles und nichts“ heißt ein anderes Bild und auf dem nächsten prangt ein großes schwarzes Fragezeichen.
Während der Konfirmandenfreizeit vor zwei Wochen haben wir lange darüber nachgedacht, wie wir uns Gott vorstellen. Und im Anschluss daran gestalteten die jungen Leute dann ihr jeweils eigenes „Gottesbild“ auf einer kleinen Holzkachel. Und daraus ist eine ganz tolle Galerie entstanden. Und wenn Sie mögen, können Sie die Bilder unten im Foyer anschauen. Ich verspreche Ihnen, es lohnt sich. Vielleicht erzählen Ihnen ja die jungen Künstler etwas über ihre Werke. Sie freuen sich ganz bestimmt über Ihre Meinung. Ich jedenfalls bin sehr dankbar, liebe Konfis, dass Ihr Euch ohne Scheu und sehr tief mit dieser Frage aller Fragen auseinandergesetzt habt.
Auch für Euch ist Gott ein großes Rätsel. Einer, der überall und in allem ist, aber den wir doch nicht begreifen können. Auch Ihr erfahrt ihn als gute Macht, in der wir leben und sind. Und ich hatte den Eindruck, dass der Name , mit dem Gott sich Mose im brennenden Dornbusch vorstellt und damit zu erkennen gibt, dass dieser Name – „Ich bin da“ – auch Euch überzeugte.
Ein solches Gottesbild haben wohl auch viele andere. Er ist da, er ist die Macht und die Kraft, die alles belebt und umfängt.
Und diese Gottesbilder haben auch in der Galerie der Bibel ihren Platz: Der Schöpfer von Himmel und Erde, der nach getaner Arbeit am siebten Tag freut und sich an seinem Werk freut. Der rätselhafte Gott. Der, in dem wir leben, uns bewegen und sind. Der Ewige, der alles in seinen Händen hält. Aber auch noch andere Bilder hängen in der Galerie. Sie zeigen Gott als Hüter Israels, der eben nicht schläft und schlummert, als Richter, der Recht spricht, als guter Hirte, der jedem nachgeht und niemanden verloren gibt und als unser aller Vater. Die biblische Galerie spricht Bände über ihn.
Ein Bild aber steht geradezu im Zentrum dieser biblischen Galerie über die Zeiten hinweg. Es zeigt Gott als Retter, der sein Volk befreit: „Ich bin dein Gott, der ich dich herausgeführt habe aus dem Lande Ägypten, aus dem Hause der Knechtschaft.“ Und dieser Glaube spiegelt sich auch in jenem Bild, das Gott als Todesüberwinder zeigt.
Und Lukas hängt im heutigen Predigttext ein weiteres Bild dazu. Wir finden es im 12. Kapitel seiner Apostelgeschichte: Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie zu misshandeln. Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert. Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm auch Petrus gefangen. Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten Brote. Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Abteilungen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen. Denn er gedachte, ihn nach dem Passafest vor das Volk zu stellen. So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott. Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen. Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir! Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste nicht, dass das wahrhaftig geschehe durch den Engel, sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen. Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Gasse weiter, und alsbald verließ ihn der Engel. Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische Volk erwartete.
Liebe Brüder und Schwestern,
Wunderbar ist das, was Petrus da erlebt: Plötzlich leuchtet ein Licht in der Finsternis, Ketten fallen und Türen öffnen sich ungeahnt, wie von selbst.
Schlafwandlerisch folgt der Apostel seinem Engel durch die erste und zweite Wache und dann durch das eiserne Tor. Erst draußen, eine Gasse weiter, als der Engel schon längst weitergegangen ist, erst dort in der Freiheit kommt Petrus zu sich und weiß wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und ihn aus der Hand des Herodes errettet hat.
Wer war dieser Engel, den Gott ihm geschickt hat? Wir wissen es nicht! Vielleicht war es tatsächlich „nur“ ein Freund, der sich zum Hochsicherheitstrakt heimlich Zutritt verschaffen konnte, der die Wachen bestochen hat oder die geheimen Schleichwege im Palast des Herodes kannte. Wer auch immer es war, entscheidend ist. dass Petrus in ihm den Boten Gottes sieht, um ihn aus der Hand des grausamen Herodes zu befreien. Entscheidend ist, dass beide, Petrus und mit ihm Lukas, der diese Begebenheit aufgeschrieben hat, Gott als Befreier erleben, der Partei ergreift und einschreitet.
Und ich kann mir gut vorstellen, wie die Geschichte dieser wunderbaren Befreiung unter den verfolgten Christen damals die Runde gemacht hat, und wie sie sich damit gegenseitig ermutigt und gestärkt haben: Gott schaut nicht nur zu. Er greift ein. Er schafft Gerechtigkeit. Er wird auch uns in die Freiheit führen, wie er auch Israel einst aus der Hand der Ägypter befreit, Jesus aus dem Tod auferweckt und Petrus in die Freiheit geführt hat. Mit diesem Gottesbild vor Augen war ihr Schicksal nicht mehr ganz so aussichtslos. Mit neuem Mut gehen sie wieder hinaus, riskieren ihr Leben und treten für das Evangelium.
An Gott als ihren Retter hielten und halten sich Menschen zu allen Zeiten. Menschen aller Generationen, die unter Verfolgung leiden, ausgegrenzt und unterdrückt werden, durch Krankheit und Trauer gelähmt sind und am Leben verzweifeln.
Und wir? Halten wir uns denn auch an ihn? Wie steht es mit unserem Glauben?
Immer wieder sagen mir Junge wie Alte, dass sie sich schwer damit tun, Gott als Du zu glauben, als Gegenüber also, das ich ansprechen kann, als eins, das mir antwortet, sich mit mir auseinandersetzt, mich rettet und eingreift in mein Geschick. „Denn Gott antwortet nicht auf unsere Gebete,“ führen sie als Grund an, „wie oft habe ich ihn um Hilfe gebeten und nichts ist passiert.“
Das erfuhr auch die Gemeinde in Jerusalem. Denn Tag und Nacht haben sie für ihre gefangenen Brüder und Schwestern zu Gott gebetet. Und täglich erreichen sie neue Schreckensnachrichten aus den Kerkern des Herodes. Zuletzt trifft es auch Jakobus, der Sohn jener Maria, in deren Haus sie zum Gebet zusammenkommen. Und als Petrus dann tatsächlich leibhaftig und quicklebendig vor ihnen steht, sind sie so entsetzt, wie Lukas schreibt, dass sie ihn erstmal gar nicht erkennen.
Ihn lebend wieder zu sehen, damit hatten sie wirklich nicht gerechnet. Das ist zu schön, um wahr zu sein. Und sie lassen ihn, dem sich die eisernen Tore des Gefängnisses wie von selbst geöffnet hatten, vor lauter Überraschung draußen stehen. Sie können es zunächst nicht glauben, dass Ihr Gebet erhört worden ist, und sind uns über die Jahrhunderte hinweg in ihrem Zweifel sehr nahe.
Denn auch sie haben nicht damit gerechnet, dass Gott einschreitet. Und die Frage steht ja auch im Raum: Warum befreit Gott Petrus, Jakobus aber nicht? Wir, die Gemeinde damals und wir heute, wir müssen aushalten, dass es darauf keine Antwort gibt. Und das kann uns an die Grenzen des Glaubens bringen. Und darüber kann ein Mensch verzweifeln.
Denn wer macht schon die Erfahrung wie Petrus, dass Gott höchstpersönlich einen Engel schickt und ihn in letzter Minute befreit? Können wir mit Gott wirklich rechnen als einem Gegenüber, das uns rettet, so wie damals Petrus?
Wie oft haben wir nicht schon gehofft und Gott angefleht, dass alles gut werden möge: vor der Diagnose im Wartezimmer, nach einem heftigen Streit, sonntags Fürbitten und wo und wann auch immer. Und wie oft sind wir enttäuscht worden. Genau wie die Gemeinde in Jerusalem damals!
Aber sie betet trotzdem weiter. Sie sortiert das Bild, das Gott als Retter und Todesüberwinder zeigt, nicht aus, sondern hält sich daran fest. Sie lässt sich ihren Glauben an diesen Gott nicht nehmen.
Und sie machen uns über die Jahrhunderte hinweg Mut, es ihnen gleichzutun, nämlich von Gott nicht abzulassen, sondern mit ihm zu rechnen, auf ihn zu hoffen gegen alle Hoffnung. Und so wird ihr Gebet und unseres zum Ort des Widerstandes gegen das Böse in der Welt, gegen Angst und Bedrängnis, gegen Willkür und Ungerechtigkeit, gegen Resignation und Verzweiflung. Warum? Weil hier Menschen zusammenstehen und sich stärken im Glauben, dass Gott nicht nur das letzte Wort hat, sondern es auch spricht. Auch wenn wir das nicht immer sofort spüren. Auch wenn wir bisweilen nicht glauben können.
Und vielleicht merken wir dann auch, wie oft Gott seine Engel schickt, selbst wenn wir es nicht spüren: die Freundin, die ungerufen plötzlich vor mir steht und tröstet, der Arzt, der nach langer Suche das richtige Medikament findet, die jungen Leute, die sich erfinderisch und humorvoll gegen rechte Parolen wehren und viele, viele mehr. Sind das nicht das nicht die eigentlichen Engel?
Hand aufs Herz: Wie oft fragen wir, wo Gott ist und warum er nicht hilft? Und wenn sie kommt, diese Hilfe, wem danken wir sie dann? Gott oder uns selbst? Gott oder schlichtweg dem Glück, das uns endlich mal hold war? Ist er uns denn nicht in jedem Engel um uns herum nicht näher, als wir erahnen?
Wir brauchen in der Galerie unserer Gottesbilder ganz besonders jenes, das uns Gott als einen zeigt, mit dem wir rechnen sollen. Das darf nicht fehlen, auch wenn das mit dem großen Fragezeichen, wie es Sie es im Foyer nachher auch bildlich sehen werden, immer direkt daneben hängen wird.
Und brauchen wir unseren Glauben an den Erlöser heute, wo die Freiheit in unserem Land wieder so gefährdet ist, nicht ganz besonders?
Denn dieser Glaube an den, der Gerechtigkeit schafft und für die Schwachen da ist, er ist es doch, der uns im Widerstand gegen das Böse stärkt und uns selbst immer wieder herausfordert.
Ich bin mir ganz sicher, dass auch wir dann einmal mit Petrus sagen werden: „Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Todes errettet hat.“ Und ich bin mir auch ganz sicher, dass der Herr uns diesen Engel auch schon zu unseren Lebzeiten schickt, zumindest dann, wenn er uns immer wieder einmal lächeln lässt. Amen
Pfarrerin Henriette Crüwell, 16. September 2018