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06 Mai
Sonntag, den 06.05.2018 09:30 Uhr Friedenskirche

Blickwechsel

Predigt zu Kol 4,2-6

Meine lieben Brüder und Schwestern,
als Papst Franziskus nach seiner Wahl auf die Benediktionsloggia trat, verzauberte er die Menschen auf dem Petersplatz und vor den Fernsehern überall auf der Welt mit seinem schlichten „Buona Sera!“ Und vollends eroberte er die Herzen auch der letzten Skeptiker, als er vor seinem ersten Segen als Papst um das Gebet jener Menschen bat, die an diesem Abend zu ihm aufschauten. „Betet für mich, Brüder und Schwestern,“ sagte er und neigte seinen Kopf um ihren Segen zu empfangen. Andächtige Stille lag minutenlang über dem Petersplatz, auf dem tausende von Menschen versammelt waren. Und auch mich hat diese Geste damals sehr berührt. Selbst die Theologen, mit denen ich zusammen diesen Moment im Fernsehen während einer Tagung verfolgte, verschlug es denen für einen Augenblick die Sprache. Vorher hatten sie jede Bewegung, jedes kleinste Accessoire und jedes Wort des Neugewählten auf die Goldwaage gelegt. Und nun schwiegen auch sie tief beeindruckt.

In den Wochen darauf wurde Franziskus wegen seiner Demut und Bescheidenheit frenetisch gefeiert. Aber erst in den vergangenen Tagen während der Einstimmung auf den heutigen Predigttext, verstand ich die eigentliche Tragweite dieser Geste. Denn sie ist revolutionär. Sie verändert den Blick und ist im wahrsten Sinne des Wortes evangelisch. Dazu lesen wir bei Paulus im 4. Kaptel seines Briefes an die Gemeinde in Kolossä:

Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! 3 Betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir vom Geheimnis Christi reden können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin, 4 auf dass ich es so offenbar mache, wie ich es soll. 5 Verhaltet euch weise gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit aus. 6 Eure Rede sei allezeit wohlklingend und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt.

Liebe Brüder und Schwestern, auch Paulus bittet um das Gebet seiner Schwestern und Brüder im fernen Kolossä. Es ist eine Gemeinde, die er selber nicht gegründet hat, um die er sich aber sehr sorgt. Und nachdem er seine ganze geistliche Autorität aufgeboten und immer wieder betont hat, dass er doch für sie betet, dreht er am Ende seines Briefes den Spieß um und sagt ihnen unmissverständlich, dass auch er auf ihr Gebet angewiesen sei. Er, der Superapostel, von dem es heißt, dass der Herr ihm höchstpersönlich erschienen ist, und der so vertraut mit ihm ist, dass er sogar sagen kann: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir!“ Er, der unermüdlich für das Evangelium streitet. Er, dem dafür kein Weg zu weit und keine Mühsal zu groß ist, bittet nun ganz normale Gemeindemitglieder um ihre Fürsprache bei Gott.

Und ich höre sie im Stillen damals wie heute antworten: „So fromm bin ich doch gar nicht! Den direkten Draht in den Himmel, den hat doch Paulus nicht ich. Ich bin weiß Gott kein Heiliger!

Dieser Selbstwahrnehmung widerspricht Paulus nun aber entschieden und lädt uns ein, einander und uns selbst mal mit anderen Augen zu sehen, nämlich sozusagen als Lieblingskinder Gottes, die alle so eine enge Beziehung zu ihm haben, dass ihr Wort bei Ihm zählt und sie ihn wirklich um alles bitten können.

Liebe Brüder und Schwestern, es ist genau dieser Blickwechsel, den Jahrtausende nach Paulus auch Franziskus in Rom mit seiner Bitte vollzieht und der so unter die Haut geht. Denn er erinnert uns daran, dass wir ja alle einen direkten Draht in den Himmel haben. Nicht nur der Papst, nicht nur die Pfarrer oder ein paar ganz besonders Fromme, sondern wir alle, die wir getauft sind. Wir können und sollen alle füreinander bei Gott eintreten. Das ist das Geheimnis Christi, von dem Paulus so beflügelt ist.

„Seid beharrlich im Gebet und wachet in ihm mit Danksagung,“ schreibt er der Gemeinde in Kolossä und er schreibt es auch uns. Der Hintergrund seines Rates ist die jüdische Tradition, den Alltag zu heiligen. Für jedes Lebewesen, jede Speise, jede Ding und jede Handlung gibt es im Judentum ein eigenes Dankgebet, das mit den Worten beginnt: „Gepriesen sei der Herr … für den neuen Tag, die warme Dusche, die Tasse Kaffee, den lieben Menschen, der mir am Frühstückstisch gegenübersitzt usw. und so fort von morgens bis abends. Tag und Nacht.

Warum tun sie das? Weil sie Gottes Volk sind, seine königliche Priesterschaft. So heißt es im 2. Buch Mose. Und deren Aufgabe es ist, die Welt mit Dank vor Gott zu bringen, sie so zu heiligen und auf diese Weise, das sein zu lassen, was sie ist, nämlich Seine gute Schöpfung.

Und wenn Paulus der Gemeinde in Kolossä dieses beharrliche Gebet für ihr christliches Leben empfiehlt, dann sagt er ihnen damit: Durch Jesus Christus gehört Ihr nun dazu. Und es ist auch Eure Aufgabe, Gottes Welt durch Euren Dank zu heiligen. Denn auch Ihr seid sein auserwähltes Volk.

Und wieder höre ich die Stimmen, die sagen: „Das kann ich nicht! Ich hab einen Beruf, ich hab Familie, um die ich mich kümmern muss. Ich habe einfach keine Zeit, den ganzen Tag zu beten!“ Aber darum geht es Paulus ja auch gar nicht, sondern es geht ihm um die Einstellung zum Leben. Denn beharrlich betet, so schreibt er ja, wer aus der Grundhaltung der Dankbarkeit lebt. Wer also wach und aufmerksam ist für das Gute und Schöne, das ihm geschieht, wer dafür Augen hat, der lebt in Gottes Gegenwart. Der entdeckt ihn und seinen Segen im eigenen Leben und der vermisst ihn dort, wo er ihn nicht finden kann.

Ich denke, es lohnt sich, liebe Brüder und Schwestern, wenn wir uns ein bisschen Zeit nehmen und einfach mal darauf achten, was wir sehen und was nicht, wofür wir aufmerksam sind und wofür nicht.

Und ich beobachte bei mir selbst und bei anderen immer wieder mit Erschrecken, wie oft wir anstatt des Brotes nur seine Krümel sehen, den Mangel statt dem Reichtum. Warum, so frage ich mich, warum fällt es uns immer wieder so verflixt schwer, zuerst mal das Gute zu sehen, dafür dankbar zu sein und nicht immer nur das, was noch besser sein könnte?
Wie wäre es aber, wenn wir uns einmal die Sichtweise von einem zueigen machen, der in uns die Lieblingskinder Gottes sieht? Sagt uns Paulus nicht auch heute, wie hoch wir bei Gott im Kurs stehen und dass sein Blick auf uns heißt: „Siehe. Es ist alles sehr gut!“? Würde das nicht unserem Leben die Freiheit geben, ohne Angst und ohne Missgunst auf den anderen zu leben?

Aber dieses neue Sehen haben die wenigstens von uns von klein auf gelernt. Es ist ja nicht nur damit getan, Danke zu sagen. Wir müssen auch glauben, dass schon so ein Danke unser Leben verändern kann.

Mir hilft dabei, immer wieder mal für einige Wochen ein so genanntes Glückstagebuch zu führen und dort jeden Abend mindestens sieben Sachen aufzuschreiben, die am Tag gut gewesen sind. In den ersten Tagen muss ich jedes Mal tief in meinem Gedächtnis kramen, bis ich die Sieben voll habe. Aber spätestens nach einer Woche fällt mir icon viel mehr ein, was gut war und wofür ich dankbar bin. Und ich freue mich darüber, dass es mehr war, als ich dachte. Das hilft mir oft sehr, vor allem dann, wenn ich in nicht so guten Zeiten auf diesen Überschuss zurückgreifen kann.

Ich glaube, das ist es, was Paulus meint, wenn er uns schreibt: „Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!“ Und das, das ist dann nicht nur was für die Superfrommen, sondern für uns alle, liebe Brüder und Schwestern.

Diese neue Sicht kann auch unseren Umgang miteinander verändern. Denn wo wir Gottes wärmenden Blick auf uns spüren und daraus leben, können wir dann nicht auch den anderen mit Wärme begegnen? Denn wovon das Herz voll ist, kann der Mund ja nicht schweigen! Und dazu sind wir alle berufen. Nicht nur Paulus und Franziskus, sondern wirklich alle!

Und so gibt uns der Apostel zum Schluss noch einen weiteren wichtigen Rat mit auf den Weg in den Alltag: „Eure Rede sei allezeit wohlklingend und mit Salz gewürzt!“ Und dieser knappe Rat hat es wirklich in sich, liebe Brüder und Schwestern. Das ist ein Auftrag an uns alle! Ein Auftrag, Zeugnis zu geben von dem, was uns selbst zuteilwird, nämlich Gottes liebevoller Blick auf uns.

Unsere Rede soll also wohlklingend sein, freundlich und zugewandt. Und dieses Miteinander soll uns als christliche Gemeinde auszeichnen. Als Hoffnungszeichen in einer Welt, deren Umgangston zunehmend von Engstirnigkeit, Hassrede und Oberflächlichkeit bestimmt wird. Unsere Gesellschaft heute braucht heute dieses dringende Hoffnungszeichen mehr denn je. Wir sollten von ihm künden, wo wir gehen und stehn?

„Eure Rede sei mit Salz gewürzt!“ schreibt Paulus weiter. Wir haben in unserer WhatsApp-Bibelgruppe lange darüber nachgedacht, was das heißen könnte: Salz gibt Geschmack. Ein Essen ohne Salz ist fad. Mit Bedacht verwendet, hilft es nämlich dabei, das Gute herauszuschmecken, was in einer Speise steckt. Der Geschmack wird runder und verliert dann das Fade.

Und die richtige Dosierung zu finden, ist mehr eine Frage des Gefühls als des genauen Abmessens. In den Rezepten wird deswegen Salz nie aufs Gramm genau angegeben, sondern immer als Prise. Fingerspitzengespür ist hier also im wahrsten Sinne des Wortes besser als jedes Rezept. Denn das ist der Moment, wo ein guter Koch ganz genau kosten und schmecken muss, um zu wissen, wieviel Salz es braucht, damit das Essen rund und damit besonders schmackhaft wird.

Eine aus der Bibelgruppe erzählte von ihrer Großmutter, die mit schlafwandlerischer Sicherheit ganze Hände voll Salz in den Teig streute und das Brot doch nie versalzen hat. Warum? Weil sie ein sehr genaues Gespür dafür hatte, wann es genug war.

Wenn unser Reden also, liebe Brüder und Schwestern, mit Salz gewürzt sein soll, dann rät uns Paulus damit, aufmerksam zu sein und genau zu dosieren, um mit unseren Worten das Beste im anderen hervorzuheben und ihn groß sein zu lassen.
Wir alle, liebe Brüder und Schwestern, wir alle haben dieses Salz des Glaubens in uns. Von unserer Taufe an. Es ist die Gabe des heiligen Geistes. Es bringt uns auf den Geschmack. Es macht uns wach für das Gute und das Schöne, das Gott in unserer Welt bereitet hat.

Und wir selbst sind dann das Salz der Erde, wie Jesus über uns einmal gesagt hat. Und wenn das so ist, liebe Brüder und Schwestern, dann können auch unsere Mitmenschen durch uns auf den Geschmack kommen und Gott finden in allen Dingen.

Als Gottes Lieblingskinder, um das Bild vom Anfang noch einmal aufzugreifen, haben wir alle einen ganz besonderen Draht zu ihm. Wir sind ihm wichtig. Unser Wort zählt bei ihm. Er hat sich uns alle ausgeguckt, um sein Evangelium, seine Wärme und seine Liebe in die Welt zu bringen.

Und wo das schwer wird, weil das Leben schwer wird, oder wo wir auf Menschen stoßen, die es uns unmöglich machen, das Gute zu sehen, da können wir wie Paulus bitten: „Betet für mich Brüder und Schwestern!“ Ist das nicht eigentlich ganz einfach?

Amen

Pfarrerin Henriette Crüwell, Rogate 2018

Wir freuen uns auf Ihren Besuch in der Friedenskirche in Offenbach am Main.