Liebe Brüder und Schwestern!
„Ich liebe Dich!“ Wer hört sie nicht gerne – diese drei Worte, die die Welt verändern können?!
„Ich liebe Dich!“ Wer braucht sie nicht – diese drei Worte, die sagen: „Ich find Dich gut, so wie Du bist!
Und doch gibt es welche, die trauen diesen drei Worten nicht. In einem Internetforum schreibt eine junge Frau:
„Mein Freund sagt mir sooo oft „Ich liebe Dich“, dass das für mich mittlerweile wie eine Floskel rüberkommt. Wenn wir z.B. im Auto nebeneinandersitzen und mal nix erzählen, sagt er das oft. Kommt mir fast vor wie ne Übersprungshandlung. Da könnte er auch sagen „Schönes Wetter heute“….
„Ich geh mit Liebesbezeugungen eher sparsam um, „so schreibt die junge Frau nachdenklich weiter, „und hab mittlerweile ein Problem damit zu sagen „Ich Dich auch“, weil mir das so runtergeleiert vorkommt. Es geht sogar so weit, dass es mich anfängt zu nerven…“
Und vielen geht das leider auch in der Kirche so. Da werde, finden sie, heute Sonntag um Sonntag von der Liebe Gottes gesprochen, so dass es nur noch Wortgeklingele sei. Floskeln, denen keiner mehr recht glauben mag. Das schreibt auch der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf in seinem Buch „De Kirchendämmerung“:
„Sprach man auf den Kanzeln einst vom allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde, der zugleich Richter und Retter, gnädiger Vater und zürnender Rächer sei, so wird Gott nun ausschließlich als allumfassende Liebe bezeugt. Viele protestantische Prediger preisen den einen Gott zunehmend als einen Kuschelgott, an dem wer immer sich fröhlich erwärmen kann,“ meint Graf etwas bissig und fährt fort. „Gott ist nun immer nur reine Liebe, Güte, Gnade und Herzenswärme, ein trostreicher Heizkissengott für jede kalte Lebenslage von Mann wie Frau Jungen und Alten.“ So einen Gott könne man nicht ernst nehmen, schreibt ein anderer Theologe. Das sei so ein bisschen wie der Hundebesitzer im Park, der von seinem Hund sagt: „Der ist ist lieb. Der tut nichts.“ Und über die Predigt von Bischof Curry anlässlich der Hochzeit von Harry und Meghan, die in den sozialen Medien gefeiert wurde, heißt es in Theologenkreisen, sie sei nicht wirklich fundiert gewesen, schließlich sei es ja „nur“ um die Liebe gegangen.
Ich gebe zu, liebe Brüder und Schwestern. Ich gehöre wohl zu diesen protestantischen Predigerinnen, die Friedrich Wilhelm Graf im Visier hat. Denn wenn ich ehrlich auf meine Predigten schaue, geht es mir am Ende Sonntag um Sonntag genau um diese Zusage: „Gott liebt Dich!“ Und ich frage mich, wenn ich die Kritiken zu jener schon erwähnten royalen Hochzeitpredigt lese, ob es eigentlich Wichtigeres gibt, über das man stattdessen in der Kirche reden sollte, als darüber dass Gott die Liebe ist.
Deine Eltern, liebe Louisa, haben für Dich als Taufspruch einen Vers aus dem Hohelied der Liebe gewählt. Im ersten Korintherbrief schreibt Paulus: „Die Liebe ist langmütig und freundlich. Die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf. Sie freut sich aber an der Wahrheit. Sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe hört nimmer auf, wo doch prophetisches Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird.“ Das alles wollen Dir Deine Eltern, liebe Louisa, mit auf Deinen Weg geben, weil es das ist, worauf es im Leben ankommt und weil Dir das niemand nehmen kann. Denn „die Liebe hört ja nimmer auf,“ wie Paulus schreibt. Und wir wünschen dir, dass Du das auch immer so erfährst und Dich daran auch dann festhältst, wenn Du Dich einmal allein und verlassen fühlen solltest.
Warum aber, liebe Brüder und Schwestern, warum hört denn die Liebe niemals auf? Weil, wie ein anderer Apostel, nämlich Johannes, schreibt, Gott die Liebe ist. „Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Der tiefste Grund für unsere Zuversicht liegt,“ so sagt Johannes weiter, „der tiefste Grund für unsere Zuversicht liegt in Gottes Liebe zu uns: Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.“
Johannes ist wie Paulus davon überzeugt, dass die Liebe die Botschaft Jesu ist. Für sie hat er sich kreuzigen lassen. Und wenn wir das Neue Testament an irgendeiner beliebigen Stelle aufschlagen, werden wir entdecken, dass es überall und immer wieder um diese Liebe geht. Der Sohn einer Freundin hat im mündlichen Reli-Abi deshalb eine ganz ordentliche Punktzahl erreicht, weil er sich vorher die Mühe gemacht hatte, jede einzelne Seite auf die Liebe hin abzuklopfen. Und siehe da: Die Prüfungskommission war recht beeindruckt. Sehr zum Erstaunen seiner Mutter, die ihren großspurigen Sohn vorher vergeblich davon abzuhalten versucht hatte. Warum? Weil sie meinte, dass die Liebe allein doch keine Punkte bringen könnte. Aber gerade darum war es dem jungen Mann doch gegangen. Er hatte nämlich an etlichen Beispielen in der Bibel die Liebe nachgewiesen.
Und es ist ja nicht so, dass wir erst heute in der Kirche von dieser Liebe reden. In früheren Zeiten ist sie nur leider schnell Moral verkommen. Denn da wurde nicht selten der erste wichtige Satz, mit dem alles beginnt, übersprungen. Statt erstmal zu hören und zu glauben, dass Gott uns liebt, war man schon bei der Antwort: „Ich Dich auch!“ Da wurden die Menschen von den Kanzeln herab angehalten, sich dieser Liebe Gott auch würdig zu erweisen. Dabei beginnt alles doch erstmal beim Glauben, dass dieses „Ich liebe Dich!“ wirklich mir gilt und ernst gemeint ist.
Und erlauben Sie mir eine kurze Nebenbemerkung: Kann es sein, dass wir in der Kirche so oft und so viel von der Liebe Gottes reden, weil wir uns unserer selbst nicht mehr sicher sind? Wir leben in einer Gesellschaft, in der nichts gratis ist, noch nicht einmal der Tod. Wir sind da in erster Linie Verbraucher und Leistungsträger. Was bedeutet es in so einer Zeit, Liebende und zugleich Geliebte zu sein? Was bedeutet es in so einer Zeit, dass Gott uns liebt und zwar ohne Vorleistung und ohne Bedingung? Denn er liebt uns doch auch dann, wenn wir seine Liebe nicht erwidern.
Jetzt kann man einwenden: aber wo erfahren ich diese Liebe in meinem Leben? Es sonntags gesagt zu bekommen, ist das eine. Aber den Worten müssen doch auch Taten folgen, damit die Liebe eben nicht zur Floskel wird.
Und darum geht es auch der jungen Frau, von der ich eingangs erzählt habe. Denn sie schreibt weiter:
„Ganz ehrlich, kann ich mit diesem ganzen „Geschwafel“ sehr, sehr wenig anfangen. Ich ZEIGE meinem Freund lieber, wie viel er mir bedeutet, als dass ich große Rede schwinge.
Ich könnte auch damit leben, wenn er mir nur einmal im Monat sagen würde, dass er mich liebt. Ich finde seine Gesten viel, viel toller. Beispielsweise, dass ich die Einzige bin, die außer ihm sein Motorrad fahren darf. Oder dass er mir am Wochenende bei einer Veranstaltung meines Vereins hilft. Oder dass er mit mir Liebesfilme anschaut, obwohl er die von sich aus nie gucken würde.“
Aber wann schaut Gott, um im Bild zu bleiben, schon mit uns Liebesfilme? Wo erleben wir Gott als Liebhaber? Wann nimmt er uns in den Arm, wenn wir nicht mehr weiterwissen? Wo ist er, wenn uns Schlimmes widerfährt? Wann öffnet er die Tür den vielen da draußen, die Heimat und Sicherheit suchen? Wann beweist er uns, wie viel wir ihm bedeuten?
Die erste ganz entscheidende Antwort lautet: Gott hat es uns in seinem Sohn Jesus Christus gezeigt. Wir bedeuten ihm so viel, dass er Mensch wurde wie wir. Einer, der mit lebt, mitleidet und mit stirbt. Aber das war vor 2000 Jahren, was ist heute?
Die andere Antwort finden wir im ersten Johannesbrief: „Gott ist die Liebe. Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm!“
Das bedeutet doch, dass Gott heute in uns Mensch wird, dass er heute zur Welt kommt, dass er in uns heute seine Liebe zeigt! Darum geht es doch in der Taufe! Gott gibt uns in ihr seinen Geist, damit Christus in uns lebt, und wir in ihm. Und daran glauben wir doch. Und auch Du, liebe Louisa, wirst es spüren durch die Taufe, dass Gott auch Dich meint, Dich als Louisa.
„Gott hat keine anderen Hände als die Deinen!“ sagt ein altes Gebet aus dem 14. Jahrhundert. Wo wir die Liebe immer wieder verschenken, wo wir einander trösten, beistehen, aufbauen, Mut machen, da zeigt uns Gott doch, wieviel wir ihm bedeuten.
„In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir,“ ruft der Apostel Paulus den Athener in der Apostelgeschichte zu. Liebe Schwester und Brüder, Gottes Liebe ist unser Element. Wir brauchen sie, wie die Luft zum Atmen. Lieben und Geliebtwerden sind wie Ein-und Ausatmen. Sie ist es, die unser Leben ausmacht und bestimmt. Auch dann, wenn wir ihr nicht immer in gleicher Intensität begegnen, weil sie uns Menschen ja auch mal abhandenkommen kann. Weil wir eben Menschen sind.
Liebe Louisa, wir wünschen Dir hier alle von Herzen. dass Du in seiner Liebe bleibst und daraus lebst. Und wenn ich in die Gesichter Deiner Eltern und Paten, aber auch in die Deiner Familie und Deiner Gemeinde schaue, dann sehe ich dort diese Liebe, die Dich umfängt und trägt und Dir freundlich jenen Raum gibt, den Du brauchst, um darin zu wachsen und groß zu werden.
Die junge Frau, von der ich eingangs erzählt habe, bekam in jenem Internetforum viele Antworten. Da wurde heiß diskutiert. Der letzte Eintrag kam von einer Mutter. Sie schreibt:
„Ich war jetzt gerade übers Wochenende weg und habe auf Lilis Schultafel ein „Mama hat dich lieb“ geschrieben, in Andis Bett lag ein Zettel für ihn und auf dem Esstisch lag ein Zettel für alle zusammen. Genauso passierts hier, wenn mein Mann das Haus verlässt, bevor wir drei anderen wach sind, dann finden wir auch von ihm einen Zettel auf dem Esstisch….wir brauchen das!“
Und wir, liebe Brüder und Schwestern, brauchen wir diesen Zettel nicht auch? Nicht nur Sonntag für Sonntag sondern jeden Tag? Damit die Angst und der Zweifel verfliegen und wir endlich glauben, dass Gott mich kleinen Menschen wirklich liebt.
Und das wird nie zur Floskel, solange wir nicht aufhören zu fragen, solange wir nicht die Liebe Gottes nur wie Zuckerguss über eine Welt schütten, die seine Nähe oft so schmerzlich vermissen lässt. Was gibt es Wichtigeres als darüber zu sprechen und zu predigen?
Der heutige Sonntag ist der fünfte nach Trinitatis. Also der Fünfte nach dem Fest, an dem wir unseren Glauben an den Drei-einen Gott gefeiert haben. Und was heißt das? Das heißt doch nichts anderes, als dass Gott die Liebe ist. 27 Sonntage nach Trinitatis gibt es. Keine Zeit im Kirchenjahr währt so lange.
Es gibt also viel Zeit also für einen Zettel auf dem Esstisch, eine besondere Blume, ein gutes Wort, einen Extrahändedruck, eine offene Tür, ein liebes Lächeln! Da ist sie dann doch die Liebe Gottes. Wo denn sonst.
Du, liebe Louisa, wirst heute auf den Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft und damit in seine Liebe eingetaucht! Lebe daraus! Erweise sie allen jenen, die Dir in Deinem Leben begegnen. Gott schenkt Dir in der Taufe nicht nur sich selbst und seinen Sohn gibt, sondern er gibt Dir auch noch seinen Geist dazu, der Dich vor Verbitterung und Enttäuschung beschützen und Dir den Glauben bewahren möge, dass Seine Liebe zu uns niemals aufhört.
Und seine Liebe ist es doch, die die Menschen durch ihr Wort und ihr Tun hörbar machen. Immer dann, wenn sie es aussprechen. Denn alles, was Menschen Liebes sagen, ist sein Wort und sein Tun. Wir wünschen Dir, liebe Louisa, sehr von Herzen, dass Du mit ihm auf Sendung bleibst. Dann wirst Du wissen, was er Dir Dein ganzes Leben lang zu sagen hat. Amen
Pfarrerin Henriette Crüwell, 1. Juli 2018