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08 Juli
Sonntag, den 08.07.2018 09:30 Uhr Friedenskirche

Das richtige Leben

Predigt zu Römer 6

Liebe Schwestern und Brüder!

„Leben Sie das richtige Leben?“

fragte der Stern seine Leser. Mit großen roten Lettern prangt diese Frage auf der Titelseite der Zeitung.

 

Glaubt man den Medien, so scheinen sich viele von uns im falschen Leben zu fühlen. Kein Monat vergeht, wo das nicht in irgendeiner Zeitschrift oder Vorabendserie, in irgendeinem Radiobeitrag, Popsong oder Film thematisiert wird. Es ist der Wunsch abzuheben und alles hinter sich zu lassen, der Gedanke, aus dem alten Leben einfach auszusteigen, das Gefühl „das kann es doch nicht gewesen sein!“ Ein jüngstes Beispiel ist der neuste Roman von Peter Stamm „Weit über das Land“, wo ein Mann ohne Vorwarnung Haus, Frau und Kinder verlässt und verschwindet; weit über das Land.

 

Die Frage nach dem richtigen Leben ist in all diesen Beiträgen eine existentielle und nicht nur eine moralische. Denn viele erleben sich heute als die Regisseure ihres Lebens. Wer falsch lebt, ist selbst schuld. Und so lastet die ganze Verantwortung auf den Schultern der Einzelnen. Es geht darum, das Beste aus seinem Leben zu machen. „Du hast ein einziges Leben,“ so beginnt dann auch der eben zitierte Stern-Artikel, „ Du hast ein einziges Leben – und das gibst du her für, ja, wofür eigentlich? Für diesen Partner? Für diesen Chef? Für dieses Auto? Ein einziges Leben. Magst du deins? Von Herzen?“

 

Was für einen Druck das bedeuten kann, können wir ganz aktuell bei den jungen Menschen spüren, die gerade mit der Schule fertig geworden sind und ihr Abiturzeugnis oder einen anderen Schulabschluss druckfrisch in der Tasche haben. „Wie geht’s jetzt weiter?“ fragen sie. „wofür soll ich mich entscheiden? Ich weiß doch noch gar nicht, was aus mir werden soll!“ Denn trotz aller Lebens- und Abenteuerlust schwingt da auch die bange Sorge mit, jetzt nur ja die richtige Weiche zu stellen.

 

Eine ganze Ratgeberliteratur beschäftigt sich ausschließlich mit dieser Frage: Wie findet man das richtige Leben?

 

„Folgen Sie Ihrer Sehnsucht!“ „Kommen Sie in Kontakt mit Ihren Gefühlen!“ „Finden Sie heraus, was Sie wirklich wollen! Entwickeln Sie Ihre eigene Vision!“ sind nur einige der Ratschläge, mit denen wir nahezu buchstäblich überschüttet werden.

 

„Lasst Euch taufen! Und wenn Ihr schon getauft seid, lebt daraus!“  ist zusammenfassend der Rat des Apostel Paulus, der an die Gemeinde in Rom wörtlich folgendes schreibt:

„Ihr wisst doch:

Bei unserer Taufe wurden wir förmlich in Christus Jesus hineingetaucht.

So wurden wir bei der Taufe in seinen Tod mit hineingenommen.

Und weil wir in der Taufe mit ihm gestorben sind,

wurden wir auch mit ihm begraben.

Aber Christus ist durch die Herrlichkeit des Vaters vom Tod auferweckt worden.

Und so sollen wir jetzt in diesem neuen Leben wandeln.

Denn wenn wir in der Gleichheit seines Todes mit ihm verwachsen sind, so werden wir es auch mit seiner Auferstehung sein.

Wir wissen doch:

Der alte Mensch,

der wir früher waren,

ist mit Christus am Kreuz gestorben.

Dadurch wurde der Leib vernichtet,

der im Dienst der Sünde stand.

Jetzt sind wir ihr nicht mehr unterworfen.

Wer gestorben ist, auf den hat die Sünde keinen Anspruch mehr.

 

Wenn wir nun mit Christus gestorben sind,

dann werden wir auch mit ihm leben.

Das ist unser Glaube.

Wir wissen doch, dass Christus nicht mehr sterben wird,

nachdem er vom Tod auferweckt wurde.

Der Tod hat keine Macht mehr über ihn.

Denn dadurch, dass er gestorben ist, ist er für die Sünde ein für alle Mal tot.

Aber das Leben, das er jetzt lebt, lebt er ganz für Gott.

Genau das sollt Ihr auch von Euch denken:

Für die Sünde seid Ihr tot.

Aber ihr lebt für Gott,

weil ihr zu Christus Jesus gehört.

 

Das, liebe Schwestern und Brüder, hat Paulus vor fast 2000 Jahren geschrieben. Die Gedanken, die er hat, erschließen sich uns vielleicht nicht sofort. Deswegen möchte ich sie mit Ihnen zusammen noch einmal etwas genauer anschauen.

Seine Worte richten sich an Menschen, die getauft worden sind und nun verstehen wollen, was dabei eigentlich geschehen ist.

„Bei der Taufe wurden wir in Christi Tod mit hineingenommen,“ schreibt Paulus und fährt fort. „Und weil wir in der Taufe mit ihm gestorben sind, wurden wir auch mit ihm begraben.“

 

Paulus will uns damit sagen, dass wir als Getaufte vor dem Grab Jesu stehen und wissen: „da liegen auch wir!“ Und das heißt: wir sind in unserem Tod nicht mehr einsam und allein. Wir werden Gott auch dann nicht los. Der Tod kann uns nicht mehr entfremden. Wir sind mit Jesus zusammengewachsen, so drückt es Paulus aus. Wir sind also ein Organismus, haben eine Lebensgemeinschaft mit ihm.  Und weil Gott in Jesus unser Schicksal teilt, haben wir auch Anteil an seinem. Und seins ist das ewige Leben. Und deshalb ist das Grab auch leer. Und Paulus schreibt weiter: „Denn wenn wir in der Gleichheit seines Todes mit ihm verwachsen sind, so werden wir es auch mit seiner Auferstehung sein.“ Und das bedeutet: Wir gehören ein für alle Mal zu Jesus. Das ist das neue leben. Das richtige! Als Getaufte leben wir schon darin. Wir können also ganz entspannt sein. Die eine wirklich wichtige Entscheidung ist getroffen. Wir müssen jetzt nur noch danach leben.

 

Wie ist das dann aber mit der „Sünde“? „Die Sünde kam durch Adam in die Welt,“ schreibt Paulus an einer anderen Stelle des Briefes. Adam und Eva haben im Paradiesgarten vom einzigen Baum gegessen, von dem sie nicht essen durften. Und diese Geschichte ist das Bild für die Sünde des Menschen schlechthin. Denn in dieser Übertretung des ersten Menschenpaares kommt die Haltung der Welt gegenüber zum Ausdruck, dass alles, aber auch wirklich alles nur dafür da ist, gegessen zu werden. Die Welt ist nichts mehr als ein Supermarkt. Und der Mensch ein Konsument darin.

 

„Sünde“ meint also dieses gestörtes Verhältnis zu Gott und damit auch zur Welt ist. Und wo wir Menschen aufgehen im Haben und Besitzen und uns im Hamsterrad des Immer-mehr und Immer-weiter abstrampeln, da fühlen wir uns aus dem Paradies vertrieben und im falschen Leben angekommen.

Hand aufs Herz, liebe Brüder und Schwestern. Wenn ich in mein eigenes Leben sehe, dann kann ich für mich sagen: Da läuft auch nicht alles rund. Meine Taufe hat mich nicht davor bewahrt, Gott immer wieder mal aus dem Blick zu verlieren und mein eigenes Ding machen zu wollen. Was erzählt Paulus da also, dass wir für die Sünde tot seien?

 

Paulus behauptet nicht, dass es in unserem Leben fortan keine Sünde mehr gibt, sondern dass sie mit der Taufe keine Macht mehr über uns hat. Sie kann uns dann nicht mehr zerstören. Und wenn wir Menschen uns noch so verrennen, bleibt Christus mit uns verwachsen. Er lässt uns nicht im Stich. Er hat sich für uns entschieden, auch wenn wir uns noch so oft falsch entscheiden sollten.

 

Wenn wir uns daran immer wieder erinnern lassen, dann leben wir mit einem anderen Horizont. Der Tod ist nicht unsere Grenze.

 

Aber in der Taufe geschieht noch viel mehr als ein Blickwechsel.

In dem eingangs schon zitierten stern-Artikel kommt eine Karriereexpertin zu Wort, die berichtet, dass viele ihrer Kunden schier daran verzweifeln, nicht zu wissen, was sie werden sollen. Der Mensch könne das aber nicht wissen. Das Leben sei da try and error, also Versuch und Irrtum. „Es gab nur einen einzigen Menschen, der wusste, was seine Bestimmung ist, nämlich Jesus von Nazareth,“ sagt sie zum Schluss.

 

Das sieht Paulus anders. Dreimal im heutigen Text beharrt er: „Wir wissen es auch!“ Wir wissen, was aus uns werden soll. Denn wir sind getauft. Wir gehören doch zu diesem Jesus von Nazareth. Und weil er vom Tod auferweckt worden ist, sollen auch wir jetzt in diesem neuen Leben wandeln und führt aus, wie dieser Wandel aussehen könnte. „Macht Euch nicht mit der Welt gleich,“ schreibt er im 12. Kapitel des Römerbriefs.

Auf Facebook machte vor einiger Zeit die zornige Rede „Ich will mich nicht gewöhnen!“ vom Kabarettisten Christoph Sieber die Runde. Ich höre sie mir seitdem von Zeit zu Zeit an. Immer dann nämlich, wenn ich drohe, mich an Unrecht zu gewöhnen und mein Herz verhärten zu lassen. Jüngst wieder in der vergangenen Woche, wo die Schiffe der Retter in Malta festgehalten werden und sie selbst wie Kriminelle angeklagt werden und währenddessen Menschen im Mittelmeer ertrinken. Und das ganze Drama ist noch nicht mal trotz Sommerloch eine Schlagzeile wert…

Mit dieser Rede im Ohr verstehe ich jedenfalls besser, was Paulus uns schon damals sagen wollte.

„Ich will mich nicht an die Barbareien der globalisierten Welt gewöhnen,“ trotzt Christoph Sieber da, „Ich will mich nicht gewöhnen an die Ausplünderung armer Länder, die Waffenlieferung, die Unterstützung brutalster Despoten und Diktatoren. Ich will mich nicht flüchten in den Zynismus derer, die sagen: „Da kannste nichts machen. Das war schon immer so! Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der man tatsächlich glaubt, dass, wenn Jeder an sich denkt, dann ist an Alle gedacht. (…) Und ich frage mich am Ende: was wird man über uns sagen in zwanzig, dreißig Jahren? Wer werden wir gewesen sein? Die, die zugeschaut haben, wie schon so oft? Werden wir die gewesen sein, die einfach weitergemacht haben, weil es so bequem war? Oder werden wir die gewesen sein, die gerade nochmal rechtzeitig die Kurve bekommen haben und die Reißleine gezogen haben, als es noch nicht zu spät war? Ich bin mir nicht sicher,“ sagt Christoph Sieber abschließend, „aber eins weiß ich gewiss. Siri – das ist die Roboterstimme vom iPhone – hat darauf keine Antwort!“

Unsere Aufgabe als Getaufte ist also, um diese Worte aufzugreifen und auf uns zu wenden, dass wir die Kurve kriegen und uns nicht gewöhnen an das Unrecht, Leid und Gewalt.

In der Taufe lassen wir uns von Gott in Anspruch nehmen. Denn er braucht unsere Hände, um anzupacken, wo Hilfe Not tut. Er braucht unsere Füße, um den Frieden auf den Weg zu bringen. Er braucht unser Herzen, um für die anderen da zu sein. Er braucht unseren Mund, um seine Botschaft der Gerechtigkeit und der Liebe allen zu sagen, egal, ob sie es hören wollen oder nicht. Er braucht uns, um allen Menschen zu zeigen, das sie, egal welcher Herkunft, Nationalität und Religion, doch alle seine Söhne und Töchter sind. In der Taufe haben wir für diesen Dienst doch seinen Geist bekommen, der uns immer wieder drängt, im richtigen nicht im falschen Leben zu sein. Wir wissen, dass er uns behütet und uns die Kraft gibt, die wir dafür brauchen.

Und nun ein Wort noch zu dem schon erwähnten Roman von Peter Stamm. Der Mann kehrt schließlich nach Jahrzehnten der Wanderschaft wieder nach Hause zurück. Seine Frau Astrid sieht ihn schon von weitem. „Und plötzlich war sie sich sicher, dass Thomas all die Jahre kein anderes Leben geführt hatte. Wie sie hatte er gewartet auf diesen Moment, diesen kurzen Augenblick des Glücks, in dem er die Hand auf die Türklinke legen und sie herunterdrücken würde. Diesen Moment, in dem die Tür sich öffnete und sie ihn sah als verschwommene Silhouette im hellen Mittagslicht.“

Möge diese Tür für uns alle offen bleiben. Amen

Pfarrerin Crüwell, 8. Juli 2018

 

Wir freuen uns auf Ihren Besuch in der Friedenskirche in Offenbach am Main.