Meine lieben Brüder und Schwestern,
„aus dem Mund der Unmündigen und Weisen kommt die Wahrheit. Und es kommen Fragen ohne Ende. Und davon möchte ich Ihnen heute erzählen. Denn auch in diesem Jahr haben wir wieder Konfis, die einfach große Klasse sind. Mit ihnen lässt herrlich diskutieren. Die anderthalb Stunden, die wir jeden Dienstag miteinander verbringen, vergehen mit dieser tollen Truppe wie im Flug!
Vor zwei Wochen stand Martin Luther und die Reformation bei uns auf dem Programm. Schnell drehte sich unser Gespräch darum, was es eigentlich heißt, an Gott zu glauben, und wie schwer dieser Glaube manchmal sein kann. Und wir haben uns gefragt, was müsste passieren, damit wir Menschen einfach an ihn glauben können, ohne ihn immer wieder zu hinterfragen.„Gott müsste sich heute einfach mal wieder zeigen!“ meinte einer der Konfis. So wie er sich Adam und Eva, Abraham und Sarah, Mose und Israel, den Propheten und all den anderen in der Bibel gezeigt und seine Wunder getan hat.
Die anderen in der Runde nickten zustimmend.
Und haben die jungen Leute damit nicht ausgesprochen, was manche von uns Großen nicht mal zu denken wagen? Mich hatten sie jedenfalls sofort. Denn wie oft sehne ich mich danach, dass Gott sich uns zeigen möge wie Abraham und Mose. Hier und heute in all diesen Krisen, wo eine klare Ansage von oben auf welche Weise auch immer mal wirklich mehr helfen würde, als zwischen den Zeilen der Bibel zu lesen.
Mit dieser Sehnsucht sind wir in guter Gesellschaft. Denn schon im 85. Psalm, der unser Predigttext für heute ist, wünschen sich Menschen lange vor uns dasselbe. In ihrem Gebet erinnern sie Gott daran, dass er sich früher doch auch offenbart habe. Warum also nicht auch Ihnen heute?
Ich lese uns den Anfang des Psalms:
Herr, der du bist vormals gnädig gewesen deinem Lande
und hast erlöst die Gefangenen Jakobs; der du die Missetat vormals vergeben hast deinem Volk und all ihre Sünde bedeckt hast; der du vormals hast all deinen Zorn fahren lassen.
Hilf uns, Gott, unser Heiland,
und lass ab von deiner Ungnade über uns!
Willst du denn ewiglich über uns zürnen und deinen Zorn walten lassen für und für? Willst du uns denn nicht wieder erquicken, dass dein Volk sich über dich freuen kann? Herr, zeige uns deine Gnade und gib uns dein Heil!
Liebe Brüder und Schwestern,
wir wissen, dass die Psalmen uralte Gebete sind, die Juden und Christen miteinander teilen. Seit Jahrtausenden werden sie gelesen, gemurmelt und gesungen. Sie sind fast so was wie ein Kaffeesatz menschlicher Erfahrung, weil durch ihre Worte unzählige Menschentränen der Freude und der Trauer, der Angst und der Liebe hindurchgeflossen sind. Und auch wir heute können sie uns deshalb zu eigen machen und in dieses Gebet aus vollen Herzen einstimmen:
Ja, Gott, bitte noch einmal! Wie damals bitte heute wieder! Wie Du damals Israel aus Ägypten befreit und sicher durch die Wüste geführt hast, so leite auch uns den Weg in Zukunft. Wie Du damals immer und immer wieder mit den Menschen neu angefangen hast, so beginne auch mit uns neu. Wie Du damals getröstet und den Menschen Mut gemacht hast, so tröste uns auch bitte jetzt!
Was für eine Sehnsucht, liebe Brüder und Schwestern! Der Psalm ist voll davon. Seit Jahrtausenden gibt es diese Sehnsucht, dass Gott wiederholt, was er doch damals schon versprochen hat. Er wollte sich uns und seiner Welt doch zuwenden und zeigen. Mit der Einmaligkeit seiner Macht, damit es kein Vertun mehr gibt und endlich alle an ihn glauben.
Aber wie müsste er sich uns zeigen, lieber Brüder und Schwestern, damit wir ihm alle wirklich glauben und darauf vertrauen, dass er bei uns ist?
Auch darüber haben unsere Konfis lange diskutiert. „Wenn sein Gesicht wie die Sonne am Horizont aufgehen würde, dann würden ihn doch alle sehen können,“ meinte einer. Aber sofort widersprach ein anderer: „Ach, auch dann gibt es sicher immer noch welche, die ihn nicht sehen wollen und behaupten, dass das nur eine Täuschung ist! Oder eine Verschwörung! Schau Dir doch nur die Querdenker an!“
„Und wenn überall auf der Welt endlich Frieden wäre, so ganz ohne Waffengewalt, wäre es dann nicht klar, dass es Gott wirklich gibt?“ fragte eine der Konfis schließlich nachdenklich in die Runde. Und es wurde plötzlich für einen Moment ganz still. Ich konnte mit den Händen greifen, was sie dachten. Wenn doch nur rund um den Globus Frieden wäre. Nicht nur kein Krieg, sondern ein Friede, wo niemand mehr Angst haben muss. Wo alle satt sind und glücklich. Nicht nur die Menschen, auch die Tiere. Wo es gerecht zugeht, niemand auf Kosten der anderen lebt und alle sich gut sind. Ja, wäre dann nicht klar, wer uns da unter die Arme greift?
Und wie ein Echo ist unser Psalm, der weiter betet:
„Könnte ich doch hören, was Gott der Herr redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf dass sie nicht in Torheit geraten.“
Ja, liebe Brüder und Schwestern, könnten wir doch mit unseren Ohren doch hören, was Gott redet, dass er Frieden zusagt uns und der ganzen Welt. Damit wir endlich so klug werden, wie wir uns das wünschen und unser Leben ändern, all die vielen Kehrtwenden eingeschlossen, die schon längst überfällig sind. Eine dieser überfälligen Wenden stand ja in der vergangenen Woche wieder einmal auf dem Programm des UN-Klimagipfels. Und wieder wurde vertagt. Dabei ist jetzt für uns alle rund um den Globus doch die Zeit mehr als reif, lieber vorgestern als übermorgen, zur Besinnung zu kommen! Und es gänzlich anders zu machen als bisher.
Ach, könnten wir doch alle hören, was Gott sagt!
Aber können wir ihn denn wirklich nicht sehen und hören?
Das große Anliegen von Martin Luther und seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern war es ja, dass alle, die wollen, die Bibel lesen können. Weil wir ja eigentlich hören könnten, so ihre Überzeugung, was Gott sagt. Von Urzeiten an. Aber auch das müssen wir glauben.
„Wer sagt uns denn eigentlich, dass diese Geschichten wahr sind?“ fragte deshalb ein Konfi. Ist das nicht eine berechtigte Frage?
Wir haben daraufhin ein kleines Gedankenexperiment gemacht. Das ich nun gerne mit Ihnen gemeinsam wiederholen möchte. Lange hatten wir davor nämlich darüber diskutiert, ob wir jemandem, den wir nicht kennen, vertrauen würden, wenn unsere Eltern, Freundinnen oder Freunde für diesen Menschen einstehen, also sagen würden: „Dem kannst Du getrost vertrauen! Denn ich kenne ihn. Für den lege ich die Hand ins Feuer.“
Und dann waren wir uns ziemlich einig, dass diese Antwort uns sehr beruhigen würde.
Und was wäre nun, wenn wir diese Kette des Glaubens weiterspinnen würden?
Also immer eine Generation der anderen sagt: „Dem kannst Du vertrauen. Den kenne ich!“
Denn dann kämen wir ja irgendwann bei jenen an, die mit Jesus unterwegs waren, die ihn gekannt und ihre Erlebnisse schließlich aufgeschrieben haben, weil sie in seiner Nähe spürten: „Hier ist Gott mit uns! Hier hören wir ihn auf ganz besondere Weise! Hier zeigt sich, was Gott uns zu sagen hat.“
Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir uns im Glaubensbekenntnis zur apostolischen Kirche bekennen, dann tun wir uns genau in dieser Kette des Vertrauens und dazu, dass der Glauben immer vom Hören kommt. Und wir hören, indem wir aufeinander hören. Über Jahrtausende hinweg.
Und was hören wir? Wir hören die Sehnsucht, die doch in uns allen wohnt. Und der Jesus ein Gesicht gegeben hat. Und ist nicht unsere Sehnsucht nach Frieden, nach Liebe, nach Gerechtigkeit und einem guten Leben nicht der schönste Gottesbeweis? Sollen wir nicht auf dem Weg, den wir hier auf der Erde gehen, nicht diese Sehnsucht immer haben, um nicht zu zweifeln oder sogar, und wie oft ist das so, zu verzweifeln?
Und so hören wir nun die Schlussworte des 85. Psalms.
„Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue; dass uns auch der Herr Gutes tue und unser Land seine Frucht gebe; dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe und seinen Schritten folge.“
Liebe Brüder und Schwestern, wo wir also unserer Sehnsucht folgen und nicht aufhören nach Gott zu fragen, werden wir selbst zu seinen Zeuginnen und Zeugen seiner Gegenwart. In der Zuversicht, dass Gottes Wort auch uns gilt: „Wenn Ihr mich von ganzem Herzen sucht, will ich mich finden lassen!“
Oder wie ein bekanntes Kirchenlied unseren Psalm weiterdichtet: „Wo Menschen sich verschenken. Die Liebe bedenken. Und neu beginnen, ganz neu. Da berühren sich Himmel und Erde, dass Frieden werde unter uns.“
Passen Sie gut aufeinander auf. Bleiben Sie behütet und bewahrt.
Amen