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01 Dezember
Sonntag, den 01.12.2019 09:30 Uhr Friedenskirche

Wach auf!

Predigt am 1. Advent zu Röm 13,11-14

Wie wachen Sie morgens auf, liebe Brüder und Schwestern? Was lässt Sie an diesen dunklen und kalten Wintermorgen dennoch frohgemut und guter Dinge sein?

Ich gebe offen zu, ich brauch gewöhnlich lange, um wirklich wachzuwerden und mich zurechtzufinden in diesen neuen Tag. Zu meinem Glück weiß das auch mein Mann. Und er bringt mir deshalb den ersten Capuccino direkt ans Bett, sooft er kann.

Dann fängt der Tag für mich gut an. Denn er duftet nach Kaffee und Wohlwollen. Mit so einem liebevollen Erwachen und der heißen Tasse in den Händen bin ich gewappnet für den Tag mit all seinen Aufgaben, den schönen und den schweren.

Liebe Brüder und Schwestern, von einem Weckruf ganz anderer Art ist in diesen Tagen die Rede. Die jungen Leute von Fridays for future hatten ihn für den vergangenen Freitag angekündigt, als sie anlässlich der UN-Klimakonferenz in Madrid wieder zu einem Protest rund um den Globus aufgerufen haben. „Wacht endlich auf!“ mahnen sie. Aber es ist kein sanftes Erwachen, das sie da fordern. „Ich will, dass Ihr Panik kriegt!“ hat Greta Anfang des Jahres gesagt. Und die haben mittlerweile viele und sehen für die Zukunft der Menschheit und des Planeten nur noch schwarz.

Eine Melancholie des Weltuntergangs hat sich breitgemacht. Und vor lauter Panik und Verzweiflung, dass es eh zu spät ist, möchte man die Decke am liebsten wieder über den Kopf ziehen, die Augen festzumachen und nur noch tiefer in die Kissen sinken. Denn was für ein Morgen bricht da um Himmels willen für uns an?

Aber just dann, wenn die Nächte am schwärzesten und längsten sind, im Dezember nämlich, feiern wir Weihnachten und den Anbruch einer neuen Zeit. Und die Wochen des Advents, die nun vor uns liegen, sind wie jene ersten Minuten in der Morgendämmerung, wo wir noch im Bett liegen und langsam die Augen öffnen, uns erst noch zurechtfinden müssen und bereitmachen für den neuen Tag und für das, was er mit sich bringt.

Und so hören wir heute, wenn das erste Adventslicht brennt, wie Paulus nicht nur der Gemeinde in Rom, sondern auch uns heute schreibt:
Bedenkt die gegenwärtige Zeit. Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts!

Liebe Schwestern und Brüder, ganz behutsam steht der Apostel neben uns. Er brüllt uns nicht ins Ohr. Auch seine Worte duften nach Wohlwollen. Er schreckt uns nicht auf, sondern sagt sanft aber sehr bestimmt: „Es ist Zeit aufzustehen und wachzuwerden!
„Bedenkt die gegenwärtige Zeit,“ murmelt er im Dunkel des Morgens. Reibt Euch den Schlaf aus den Augen und denkt erstmal nach.

Und seine Worte treffen, so meine ich, uns heute ganz besonders. Denn fehlt uns nicht gerade diese Nachdenklichkeit zur Zeit sehr?
Die Stimmung in unserem Land ist aufgeheizt. Ein Wort gibt das andere, nicht nur in den sozialen Medien sondern auch auf der Straße und beim Mittagessen. Viele schwanken zwischen Panik und Gleichgültigkeit hin und her. Jeder hat eine Meinung, aber niemand scheint dem anderen wirklich noch zuzuhören.
Da braucht es Menschen, die sich Zeit lassen, alles in Ruhe bedenken und nichts überstürzen, um nicht mit dem falschen Bein aufzustehen.

Wir Christen können und dürfen uns diese Zeit zum Denken und damit zum Wachwerden lassen, weil wir glauben, dass Gott sie uns schenkt. Und weil wir glauben, dass er in Jesus nicht nur in unsere Welt, sondern auch in unsere Zeit kommt, sie aufbricht und uns damit in einen anderen, viel weiteren Horizont stellt, nämlich in den seinen.

Aber weil wir diesen Horizont nicht immer vor Augen haben, fällt es so schwer das zu glauben. Insbesondere dann, wenn überall an unseren Wänden nur Menetekel steht und der Weltuntergang von vielen heraufbeschworen wird.

Nicht nur wir heute leben aber in so einer Zeit. Auch vor uns haben Menschen diese Angst gehabt. Und sie haben Halt gefunden in der Hoffnung, dass der neue Tag mitten in der Nacht anbricht, dann, wenn man ihn noch gar nicht sehen kann, weil ringsum alles noch finster ist. Das ist da irgendwo im Dunkeln einen Stern gibt und ein Kind in der Krippe.

„Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern! So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern! Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein!“ heißt es in einem der wohl bekanntesten Adventslieder.

Jochen Klepper hat sich diese Verse aus dem Römerbrief am Vorabend des 1. Advents 1937 in sein Tagebuch notiert. Sie haben ihn in der dunkelsten Nacht, die bisher über uns hereingebrochen ist, getragen.
Und sie schließen mit der Einsicht: „Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“

Der Advent, den wir nun vor uns haben, ist die Zeit, nach diesem Stern Ausschau zu halten im Nachdenken, im Miteinanderreden und Aufeinanderhören, im Stillsein und im behutsamen Wachwerden.

Niemand anderes als der Frankfurter Philosoph Theodor Adorno schreibt, dass der einzige Weg aus der Verzweiflung angesichts der Welt sei, sie im Licht der Erlösung zu sehen. Und ich glaube, er hat recht, liebe Brüder und Schwestern.
Denn das ist doch unsere Weltanschauung. Oder besser: das sollte sie sein. Und die Wochen vor Weihnachten sind eine Gelegenheit, sich den Schlaf aus den Augen zu reiben und alles einmal in diesem Licht zu betrachten.

„Handeln statt hoffen. Aufruf an die letzte Generation,“ so lautet der Titel des Buches von Carola Rakete, die im Sommer als Kapitänin der Seawatch sehr mutig gehandelt und Menschen buchstäblich vor dem Untergang gerettet hat. Wie der Titel schon verrät, hält sie nicht viel von der Hoffnung, sondern plädiert stattdessen dafür, endlich zu handeln. „Denn man hofft immer nur in Situationen, in denen man selber nicht glaubt, dass man Einfluss haben kann,“ sagte sie in einem Interview.

Ich kann gut verstehen, woher ihr verzweifelter Wunsch kommt, dass endlich alle die Ärmel hochkrempeln und etwas tun, um das Schlimmste zu bewahren. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass wir das überhaupt nur können, wenn wir Hoffnung haben. Ohne die Hoffnung, dass der Tag gut wird, ist das Aufstehen doch schier unerträglich. Ohne die Hoffnung, dass der Tag gut wird, fällt jeder Handgriff schwer.

„Die Nacht ist vorgedrungen. Der Tag ist nicht mehr fern!“ Das ist unsere Hoffnung, liebe Brüder und Schwestern. Gott kommt. Und sein Weckruf ist das letzte Wort der Bibel: „Maranatha. Amen, komm, Herr Jesus.“ Aus dieser Hoffnung auf seine Zukunft werden wir leben und handeln. Denn wer möchte diesen Tag verschlafen? Da hält einen doch nichts mehr in den Kissen!

„Auf,“ hören wir Paulus sagen. Und es ist der Schluss unseres heutigen Predigttextes. „Auf! Zieht Euch an! Lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Neid; sondern zieht an den Herrn Jesus Christus.“

„Schlüpft hinein in seine Nähe wie in einen warmen Mantel und geht,“ rät er uns also. Geht, weckt alle anderen, erzählt von der Hoffnung, die Euch bewegt, von dem Stern, den ihr schon am Himmel seht. Damit sich alle den Schlaf aus den Augen reiben und wachwerden, und es mitten in der Nacht nach Wohlwollen duftet. Weil einer dem anderen gut ist. Weil einer dem anderen zuhört. Weil einer den anderen hält und ihm Mut macht, keine Angst mehr zu haben.
Von der Autorin Hildegart Wohlgemuth gibt es ein Gedicht, das uns in den nächsten Wochen begleiten möge und dass mir aus der Seele spricht.
Wer nach Betlehem
fliegen will
in den Stall
und wer meint
dort ist auf jeden Fall
der Frieden billig zu kriegen
der sollte woanders hinfliegen

Wer nach Betlehem
reisen will
zu dem Sohn
und wer glaubt
dort ist die Endstation
mit Vollpension für die Seelen
der sollte was anderes wählen

Wer nach Betlehem
gehen will
zu dem Kind
und wer weiß
dass dort der Weg beginnt
ein jedes Kind nur zu lieben
der könnte es heute schon üben

Schauen wir mit jenen, die vor uns geglaubt und gehofft haben, in den Himmel und sehen den Stern, der unsere Wege hin zur Krippe beleuchtet. Und mit ihnen allen singen wir: „Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf! Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf von Anfang an verkündet.“

Dieser Weckruf hilft uns wirklich wachzuwerden und lässt uns frohgemut und guter Dinge sein.
Und so wünsche ich Ihnen allen eine gesegnete und behütete adventliche Zeit.
Amen

Pfarrerin Henriette Crüwell am 1. Advent 2019

Wir freuen uns auf Ihren Besuch in der Friedenskirche in Offenbach am Main.