Liebe Brüder und Schwestern,
Sie sind mir sicher eine Woche vor Weihnachten um Meilen voraus. Ich muss Ihnen gestehen, dass ich in diesem Jahr noch später dran bin als sonst. Was mir vor allem zu schaffen macht, ist, dass ich noch immer keine Überraschung für meinen Mann habe. Dabei nehmen wir uns eigentlich jedes Jahr wieder vor, einander nichts zu schenken, und dann, dann liegt doch wieder etwas unter dem Baum. Denn es macht einfach zu viel Spaß, sich für den anderen etwas ausdenken.
Und das gilt nochmal mehr für unsere Kinder, obwohl die ja inzwischen auch schon erwachsen sind. Es ist aber einfach schön, wenn wir Eltern uns dabei ertappen, dass wir fast dieselben Ideen haben für die Drei, Geschenke, mit denen sie nicht rechnen und die sie dann wie in alten Zeiten selig bejubeln. Wie die Flitzebögen sind wir dann gespannt auf die Kulleraugen von früher. Und es wird so.
Aber je älter sie werden, desto schwieriger wird‘s herauszufinden, was sie sich wirklich wünschen. Das war bis vor kurzem irgendwie einfacher. Da gingen die Wunschzettel ans Christkind schon im Oktober auf die Reise: Ein Barbiehaus, Schlittschuhe, Playmobil und alles, was ein Kinderherz sonst noch so begehrt.
Heute ist das nicht mehr so einfach. Selbst wenn die greifbaren Sächelchen im Weihnachtspapier noch ebenso begeistern. Die echten Herzenswünsche, wie etwa das gute Examen, der Partner fürs Leben oder der Erfolg im Beruf, die können wir Eltern ihnen ohnehin nicht mehr unter den Baum legen. Darum müssen sie sich schon selbst kümmern. Das gehört leider zum Erwachsenwerden dazu. Wer weiß das nicht. Und wer kennt sie nicht, die Enttäuschung, wenn der Wunsch nicht in Erfüllung geht.
Und aus Angst vor dieser Enttäuschung tun sich manche heute schwer mit dem Wünschen. Ja, und die ganz großen Wünsche verschwinden dann in den Tiefen des Herzens und sind manchmal so geheim, dass wir sie oft für uns behalten, weil wir denken, dass wir uns, wenn wir sie aussprechen, vielleicht angreifbar machen.
Wie schön wäre es da, wenn wir einfach mal wieder selbst zum Kind würden und sagen könnten, wie es uns ums Herz ist. Ganz unbedarft und voller Hoffnung, dass uns die Großen und der liebe Gott schon helfen werden. Denn die Kleinen wünschen sich vom Christkind auch nicht nur den Legokasten und die Babypuppe. In Engelskirchen, im Postamt des Christkindes, gehen jedes Jahr ganz andere Wünsche, viel größere, ein: „Ich wünsche mir, dass mein Opa 100 wird“, „ich wünsche mir, dass der Klimawandel gestoppt wird,“ „ich wünsche mir, dass meine Eltern sich wieder vertragen.“
Und auch die Bibel, liebe Brüder und Schwestern, die macht uns vor, wie das geht.
Da wünschen sich Unfruchtbare selbst noch im hohen Alter ein Kind, Unterdrückte die Freiheit, vom Krieg Gebeutelte den Frieden und die Verängstigten neuen Mut. Da kommen Menschen mit dem, was sie bedrückt, zu Gott und erhoffen sich von ihm, dass er das Unmögliche doch bitte möglich mache. Und heute, eine Woche vor Heiligabend, möchte ich Sie dazu einladen, es ihnen gleichzutun.
Ich habe Ihnen allen ein kleines Päckchen mitgebracht. In ihm ist Ihr Herzenswunsch. Nur Sie können ihn sehen. Gleich werden unsere Konfis Ihnen dieses Päckchen überreichen, Herr Roth wird Sie dazu ein bisschen einstimmen und Sie, Sie brauchen sich dabei nur ein paar Minuten einzulassen auf diese kleine Auszeit, um sich zu befragen, was Sie sich denn da tief drinnen an Weihnachten wünschen.
Stille & Musik
Liebe Brüder und Schwestern, auch im heutigen Predigttext geht es Paulus um einen besonderen Herzenswunsch und den spricht er den Römern im 15. Kapitel seines Briefes an sie eindrucksvoll zu:
Der Gott der Geduld und des Trostes schenke euch die Einmütigkeit, die Christus Jesus entspricht, damit ihr Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, einträchtig und mit einem Munde preist. Darum nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes.
Denn, das sage ich, Christus ist um der Wahrhaftigkeit Gottes willen Diener der Beschnittenen geworden, damit die Verheißungen an die Väter bestätigt werden. Die Heiden aber rühmen Gott um seines Erbarmens willen; es steht ja in der Schrift: Darum will ich dich bekennen unter den Heiden /
und deinem Namen lobsingen. An anderer Stelle heißt es: Ihr Heiden, freut euch mit seinem Volk! Und es heißt auch: Lobt den Herrn, alle Heiden, /
preisen sollen ihn alle Völker. Und Jesaja sagt: Kommen wird der Spross aus der Wurzel Isais; /er wird sich erheben, / um über die Heiden zu herrschen. / Auf ihn werden die Heiden hoffen. Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und mit allem Frieden im Glauben, damit ihr reich werdet an Hoffnung in der Kraft des Heiligen Geistes.
Liebe Brüder und Schwestern, der Apostel bringt es in diesem Brief auf den Punkt. Er wünscht sich für uns, dass wir Menschen um der Wahrhaftigkeit Gottes willen reich werden an Freude, Hoffnung und Friede. Juden und Heiden, Vertraute und Fremde, Feinde und Freunde sollen eine große Menschenfamilie sein, die Gott nahe sind.
Und spricht uns Paulus da nicht aus dem Herzen? Wer wünschte sich denn jenen Frieden im Grunde nicht herbei? Gerade in diesen Tagen vor Weihnachten.
Aus dem zweiten Weltkrieg ist eine ganz besondere Weihnachtsgeschichte überliefert: Als die Welt durch Hitler brannte, sangen am Heiligen Abend Franzosen und Deutsche vor einem zwischen die Schützengräben winzigen Bäumchen gemeinsam „Stille Nacht“ . Was für eine unglaubliche Symbolik steckt doch in diesem überlieferten Ereignis.
Und nun befinden wir uns wieder zwischen tausend Fronten. Wieder sind die Menschen dabei, den Frieden und damit die Liebe auszugrenzen. Und wieder und wieder werden sie es tun. In Straßburg gab es gerade eben vor unserer Haustür mitten zwischen Weihnachtslichtern die nächsten Toten. Und wenn wir die Kreise des Pulverdampfs erweitern auf den gesamten Globus: Wo ist er denn da, der wahre Frieden? Der darf doch nicht nur in der Bibel zu finden sein, liebe Brüder und Schwestern!
Paulus wünscht sich diesen Frieden vor allem im Glauben. Und den, den können wir nicht machen. Denn können wir uns nur immer wieder und immer wieder um Gottes- und der Menschheitswillen erhoffen. Lieblosigkeit, Gier, Neid und Hass sind von Menschen gemacht. Und genau deshalb legt uns Gott das Kind, den Retter der Welt, Jahr für Jahr neu in die armselige Krippe in Betlehem. Hier wird unserer Herzenswunsch nach Frieden wahr. „Nehmt einander an, wie Christus Euch angenommen hat!“ schreibt Paulus. In Jesus Christus hat Gott uns nämlich angenommen als die, die wir sind. Wir müssen Gott und diesem Kind nichts beweisen. Ihm nichts vormachen. Wir dürfen uns einfach fallen lassen in seine Hände.
Er hält uns. Er nimmt uns an. Er trägt uns, wenn uns die Füße versagen. Er fängt uns auf. Er ist es, der uns jenen Frieden schenkt, den die Welt nicht geben kann!
„Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ lässt Johannes Jesus im heutigen Evangelium fragen. Der sehnlichster Wunsch in der Dunkelheit des Kerkers, in dem der Täufer gefangen ist, geht an die Adresse des Retters der Menschheit. Und seine Antwort bringt nicht nur Licht in die Dunkelheit des Gefängnisses, sondern auch in jene Dunkelheit, in der wir alle so oft eingeschlossen sind.
„Ja,“ sagt Jesus, „ich bin das!“ Erzählt dem, der im Dunkel lebt, vom hellen Licht, ruft er den Jüngern des Täufers und damit uns zu. Erzählt ihm, der im Dunkel lebt, dass Blinde und für das Gute Blindgewordene wieder sehen, dass Lahme und von Kummer Gelähmte wieder gehen, dass Aussätzige und Einsame wieder fröhlich sind, dass Taubstumme und durch Stress und Sorgen taub Gewordene endlich wieder hören.
Erzählt ihm, dass Tote und Ausgebrannte wieder leben und den Armen die Frohe Botschaft verkündet wird. Richtet ihm all das aus, damit er getröstet ist und die Hoffnung nicht verliert: Denn das Himmelreich ist nahe!
Erzählt ihm und allen, die im Dunkeln leben, dass der Himmel für sie offen ist.
Und manchmal braucht es ja gar nicht viel, liebe Brüder und Schwestern, um das einander zu zeigen. Manchmal reicht schon ein bisschen „Lieben von Mensch zu Mensch,“ wie Albert Schweitzer sagt. Denn die ist mehr als alle Liebe zur Menschheit. Ein Händedruck, ein kleines Dankeschön, ein warmherziges Lächeln im Auto an der Ampel zum anderen hin, ist das nicht eigentlich unser aller Herzenswunsch? Dann ist doch wirklich Weihnachten.
Heute ist Euch der Heiland geboren, sagen die Engel ja nicht nur den Hirten auf dem Feld, sondern uns allen. Ein Kind ist Euch geschenkt, das Euch den Frieden bringt, den Ihr Euch doch so ersehnt.
Gott macht uns das größte Geschenk, das er hat.
Nehmen Sie es mit heim, liebe Brüder und Schwestern, geben Sie es weiter an alle jene, die daran teilhaben möchten. Und hängen Sie sich, wenn Sie mögen, das kleine Paket, das Sie in Händen halten, dorthin, wo Sie es gut sehen können. Möge es Sie an jenen Herzenswunsch erinnern, den Sie in sich bewahren möchten. Möge es Sie immer daran erinnern, dass Gott diesen geheimsten Wunsch auf seine Weise erfüllt.
Und nun noch ein Wort zu einem kleinen Text, den ich einmal fand, der mich sehr berührt hat und den ich Ihnen heute Morgen weiterschenken möchte. Da heißt es: „Mach anderen Freude und Du wirst erfahren, dass Freude freut.“
Schauen Sie es sich doch an, das Kind in der Krippe: Es lächelt. Gott lächelt. Was für eine Freude! Er freut sich, wenn wir uns freuen. Können wir ihm das nicht einfach nachmachen – eine Woche vor dem Heiligabend und darüber hinaus?
Ich wünsche Ihnen einen schönen gesegneten 3. Advent! Amen
Pfarrerin Henriette Crüwell, 16. Dezember 2018