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29 Dezember
Sonntag, den 29.12.2019 09:30 Uhr Friedenskirche

Christ, der Retter ist da?

Predigt zu Hiob 42,1-6

Liebe Brüder und Schwestern,
„Christ, der Retter ist da!“, haben wir in der Heiligen Nacht miteinander gesungen und uns über das Kind in der Krippe und über den Christbaum gefreut.

Es war auch in diesem Jahr so schön, mit Ihnen allen zusammen zu singen und hier in der Friedenskirche wieder einmal zu erleben, was wir aneinander haben. Wir stehen hier zusammen mit unserem Glauben und unserer Hoffnung. Und wo Menschen so zusammenstehen und ihre Stimmen vereinen, kann es doch nur gut werden. Und ich hoffe, Sie haben das an Weihnachten auch ein wenig erleben können und hatten in diesem Sinne wirklich friedliche und fröhliche Feiertage.

Aber wir wissen leider, dass uns die Nachrichten aus aller Welt wieder einholen. Das Herz kann uns schwer werden angesichts der Hiobsbotschaften aus nah und fern.

Wir singen zwar voller Hoffnung alle Jahre wieder „Christ, der Retter ist da!“, aber so leicht zu glauben ist das gar nicht, wenn der Alltag wieder zurückkehrt. So vieles spricht dagegen. Unüberhörbar ist am Ende dieses Jahres 2019 die allgegenwärtige Meinung, dass unsere Welt nur durch ein Wunder noch zu retten ist. Und das brauchen wir dringend! Vielleicht noch dringender als in den letzten Jahren.

Ja, wo ist er denn, unser Retter?
Warum greift er nicht ein?
Warum macht er den Kriegen in Syrien und in der Ukraine kein Ende?
Warum rettet er nicht jene, die untergehen nicht nur in den Fluten des Mittelmeers, sondern auch in ihrer Verzweiflung?
Warum schafft er keine Gerechtigkeit für die Entrechteten in den Flüchtlingslagern und an den Grenzzäunen?
Und warum rettet er uns Menschen nicht vor uns selbst?

Es sind Hiobs Fragen auf Nachrichten, die uns buchstäblich den Boden unter den Füßen wegziehen können. Es sind Hiobs Fragen, die seine Klage auch heute zur Anklage werden lassen: Wo bist Du, Gott?

Nicht nur Hiob sucht nach Antwort auf die Frage aller Fragen, sondern alle, die sich nach Rettung sehnen und keinen Ausweg mehr sehen. So fragen doch auch wir: Wo bist du, Gott?

Und wenn wir auf Gott zeigen, weisen drei Finger auf uns zurück: Wo bist Du, Mensch? Diese Frage müssen wir uns gefallen lassen, liebe Brüder und Schwestern. Immer wieder. Aber ganz ehrlich: Übersteigt die Not dieser Welt nicht unsere menschliche Möglichkeiten? Was kann ich denn wirklich tun, damit die Kinder in den Flüchtlingslagern endlich wieder lachen und spielen können? Was kann ich wirklich tun, damit die Erde auch weiterhin unser blauer Planet bleibt? Was kann ich denn tun in den nicht enden wollenden Kriegen rund um den Globus? Schrecklich ohnmächtig fühle ich mich da und entsetzlich ratlos.

All diese Fragen gehören an die Krippe.
An Weihnachten, so glauben wir, gibt Gott uns nämlich Antwort darauf. Er legt uns das Kind in die Hände und sagt: Hier bin ich! Das bin ich für Euch!

Und die Tiefe dessen, was das für uns und unsere Welt bedeutet, verstehen wir vielleicht erst, wenn wir mit Hiob zusammen als Fragende und Zweifelnde an der Krippe stehen und ihm unsere Angst, unsere Schuld und unsere Not bringen, weil wir von ihm die Antwort erhoffen.

Und deswegen ist es so richtig, dass Hiobs Worte in der neuen Leseordnung unserer Kirche der Predigttext für heute ist. Die vier Verse aus dem letzten Kapitel seines Buches erinnern uns nämlich auf ihre Weise daran, nicht zu schnell den Stall und den Stern, die Engel und die Hirten, Maria und Josef, vor allem aber dieses neugeborenen Kind in der Krippe hinter uns zu lassen, sondern dranzubleiben und verstehen zu wollen.

Denn von Hiob können wir lernen, dass wir allein durch unsere Fragen und Zweifel sehen und verstehen, wer Gott für uns ist. Hiob lässt nämlich nicht locker. Er setzt alles auf eine Karte und fordert von Gott eine Antwort. Und am Ende bekommt er sie auch, weil er wie wir mit dem Fragen nicht aufhört. Und Hiob sagt daraufhin:
Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen, ist dir zu schwer. Wer ist der, der den Ratschluss verhüllt mit Worten ohne Verstand? Darum habe ich ohne Einsicht geredet, was mir zu hoch ist und ich nicht verstehe. So höre nun, lass mich reden. Ich will dich fragen, lehre mich.
Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen, aber nun hat mein Auge dich gesehen.

Hiob konnte seine Bibel in und auswendig. Er war ein frommer Mann. Aber in der Rückschau sagt er selbst von sich: Ich kannte Gott bisher nur vom Hörensagen.
Gott war also bisher für ihn jemand, über den man redet. Erst durch seine Fragen und Zweifel entdeckt er Gott als Gesprächspartner, als einer, mit dem er reden kann, der ihn sieht und ihm Antwort gibt. „Nun hat mein Auge Dich gesehen!“ sagt er zum Schluss. Gott ist damit auf Augenhöhe gekommen. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ hat er zuvor schon gesagt. Jetzt aber fühlt er sich gesehen. Und dieses Sehen und Gesehenwerden ist seine Rettung.

Und es ist wie ein Echo der Worte, die der greise Simeon im heutigen Evangelium sagt, als er das Kind in den Händen hält: „Meine Augen haben den Retter gesehen!“ Denn in diesem Kind sehen wir Gott in die Augen und er uns. Dieses Kind ist sein Versprechen, dass er uns sieht und niemanden verloren gibt. Dieses Kind ist seine Antwort auf unsere Fragen.

Hiob und Simeon machen uns Mut, nach diesem Gott zu fragen, der oft so geheimnisvoll weit weg scheint. Unserer Sehnsucht zu folgen, die in diesen Fragen liegt, und sie auszuhalten, weil sie uns erst zum Menschen macht. Zu Menschen, die hinsehen, auch dann, wenn wir lieber wegschauen wollen, weil es wehtut, weil es uns ratlos macht, und wir dann merken, wie wenig wir es doch in der Hand haben, das Rechte zu tun.

Aber erst wenn wir sehnen und fragen, bleibt es auch für uns nicht beim Hörensagen. Erst dann ist die Weihnachtsgeschichte für uns mehr als nur eine schöne Geschichte für die Feiertage. Erst wenn wir uns in sie hineinfragen „Wo bist Du, Gott, in unserer Welt?, erst dann gehen uns die Augen auf und wir sehen ihn im Menschenkind.

An Weihnachten geht es um dieses Sehen. An Weihnachten schaut Gott uns nämlich durch die Augen eines Menschenkindes in die Augen.

„Die Hirten priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten,“ so endet die Weihnachtserzählung nach Lukas. Und was das für uns heute bedeuten könnte, mag eine Meldung anschaulich machen, die am ersten Weihnachtstag auf Facebook die Runde machte. Es geht um die schrecklichen Luftangriffe im syrisch-türkischen Grenzgebiet just an Weihnachten, durch die Unzählige wieder ihre Heimat verloren haben. Und die Nachricht endet mit einer Bitte: „Wir möchten an dieser Stelle nicht um Spenden bitten. Wir werden nach Kräften helfen. Was die Menschen aber jetzt brauchen, ist endlich gesehen zu werden. (…) Kriegsverbrechen werden zur Norm und zum Alltag, wenn es niemanden mehr kümmert!“

Liebe Brüder und Schwestern, kümmern wir uns! Christ, der Retter ist ja da! In den Augen jener, die hinsehen und denen das Leid der anderen nie egal wird. In den Augen derer, die aufeinander achten und niemanden verloren geben. In den Augen all jener, die Hilfe suchen und Ausschau halten nach ihm, weil sie wissen, dass sie ohne ihn nichts sind.

Ich habe Ihnen allen ein kleines Bild mitgebracht. Vielleicht kennen Sie es schon. Es war in der letzten Ausgabe von Chrismon, der Zeitungsbeilage der evangelischen Kirche in Deutschland. Ein helles Licht bricht durch die dunklen Wolken, die sich über den schwarzen Wellen des Meeres zusammenballen. Es ist, als ob sich ein Sonnenstrahl durch den dichten Nebel gekämpft hat als kleiner Vorbote, dass es bald aufklart und wieder hell wird. Bei genauerer Betrachtung aber erkennen wir, dass es der Suchscheinwerfer eines Hubschraubers ist, der das Meer nach Schiffbrüchigen absucht, um sie da rauszuholen und zu retten.

Möge Sie dieses Bild ins neue Jahr als Hoffnung und Ermutigung begleiten, die Augen offenzuhalten, in unserer Welt immer wieder nach ihm zu fragen und uns an ihm festzuhalten. Und dazu möchte ich ein Gedicht aus China ans Herz legen, das auch um diese Sicht des Glaubens weiß, und dessen Engel Hiob heißen könnte:
Ich sage dem Engel,
der an der Pforte des neuen Jahres stand:
Gib mir Licht,
damit ich sicheren Fußes der Ungewissheit
entgegengehen kann!
Aber er antwortete:
Gehe nur hin in die Dunkelheit
Und lege deine Hand in die Hand Gottes.
Das ist besser als ein Licht
Und sicherer als ein bekannter Weg.

So bleiben Sie nun behütet und getröstet auch im neuen Jahr. Legen Sie in jeder Dunkelheit Ihre Hand in jede, die sich Ihnen hineingestreckt. Wir wissen doch, von wem sie kommt.
Amen

Pfarrerin Henriette Crüwell, 29.12.2019

Wir freuen uns auf Ihren Besuch in der Friedenskirche in Offenbach am Main.