Meine lieben Brüder und Schwestern,
neulich erzählte mir ein Kollege, der in Rheinhessen Pfarrer ist, wie sehr er sich schon auf die Predigt am Faschingssonntag freuen würde. Da gehe er nämlich immer als Narr auf die Kanzel. Mit Narrenkappe, roter Nase – halt mit allem, was dazugehört. Und das sei einfach nur toll. „Weißt Du, da kann ich einmal im Jahr ganz offen all das ansprechen, was sonst wunde Punkte sind. Und niemand ist mir böse. Im Gegenteil! Alle finden‘s klasse.“ Warum predigst Du denn dann nicht immer so? fragte ich ihn. „Weil du den Leuten nur als Narr den Spiegel vorhalten darfst,“ antwortete er.
Warum, liebe Brüder und Schwestern, warum ist das so? Warum darf nur ein Narr so unverblümt die Wahrheit sagen?
Weil so einer, wie der Sprichwort sagt, sich nichts Böses dabei denkt. Und wenn die Wahrheit, die er sagte, zu schmerzhaft ist, kann jeder sagen: „Es ist ja nur der Narr, der da redet!“
Deshalb muss in seinem Spiegel muss nämlich niemand Angst haben, das Gesicht zu verlieren. Und so können wir hineinschauen, weil der, der ihn uns hinhält, das nicht von oben herab tut.
Darum weiß auch Paulus. Auch er schlüpft deshalb in die Rolle des Narren, um der Gemeinde in Korinth den Spiegel vorzuhalten. Denn die laufen den falschen Aposteln hinterher. Während seiner Abwesenheit sind die nach Korinth gekommen und predigen nun einen Glauben, der ohne das Kreuz auskommt. Denn das braucht es nicht, um das Heil zu erlangen, sagen sie. Sie geben damit an, dass sie den Himmel schon in der Tasche haben und durch eigene Leistung und tolle visionäre Schau Gott ganz nahe sind. Die Korinther hängen an ihren Lippen, lassen sich von ihnen blenden und fragen sich, wieso dieser Paulus, der noch nicht mal gut predigen kann, mit seiner Botschaft vom Gekreuzigten ausgerechnet in ihrer Stadt eine Gemeinde gründen konnte. Und so schreibt er ihnen seine so genannte Narrenrede, die wir im zweiten Brief an die Korinther als Predigttext für heute hören:
„Hört mich an als Narren.
Dann kann ich wenigstens auch einmal ein bisschen angeben! Was ich jetzt sage, ist nicht im Sinne des Herrn. Ich rede wie ein Narr. Aber das liegt ja in der Natur der Angeberei.
Weil so viele mit ihren eigenen Vorzügen angeben, will ich es auch einmal tun.
So klug wie ihr seid,
lasst ihr euch doch die Narren gerne gefallen.
Denn ihr lasst euch ja so einiges gefallen:
Dass man euch wie Diener behandelt, euch ausnutzt und hereinlegt.
Ihr ertragt sogar anmaßendes Auftreten
Und lasst euch förmlich ins Gesicht schlagen.
Zu meiner Schande muss ich sagen, dass wir dazu nun wirklich zu schwach waren.
Was auch immer jemand in seiner Anmaßung vorbringt –
Ich rede jetzt als Narr:
Das kann ich genauso gut vorbringen.
Diese Leute sind Hebräer?
Ich auch.
Sie sind Israeliten?
Ich auch.
Sie sind Nachkommen Abrahams?
Ich auch.
Sie dienen Christus?
Ich noch viel mehr.
Ich habe mich weit mehr abgemüht.
Ich war öfter im Gefängnis.
Ich habe viel mehr Schläge bekommen.
Ich war wieder und wieder in Lebensgefahr.
Von den Juden habe ich fünfmal die 39 Peitschenhiebe bekommen.
Dreimal habe ich Schiffbruch erlitten.
Einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem offenen Meer.
Ich war oft auf Reisen.
Dabei drohten mir Gefahren durch reißende Flüsse und Räuber.
Meine Landsleute wurden mir ebenso gefährlich wie die Heiden. Gefahr drohte in der Stadt, in der Wüste und auf dem Meer. (…)
Wenn man schon angeben muss, dann will ich mit dem Zeichen meiner Schwäche angeben. Und der Gott und Vater des Herrn Jesus – er sei in Ewigkeit gelobt – weiß, dass ich nicht lüge.
In Damaskus ließ der Bevollmächtigte des Königs Aretas sogar die Stadt der Damszener bewachen, um mich festzunehmen. Ich wurde in einem Korb durch ein Fenster außen an der Stadtmauer hinuntergelassen. So entkam ich seinem Zugriff.
Man muss wohl angeben, auch wenn es nichts bringt.“
Meine lieben Brüder und Schwestern, die Rede des Paulus trieft nur so vor Selbstbeweihräucherung. Er macht genau das, was er den Gegnern vorwirft. Aber während die anderen sich selber pausenlos ins rechte Licht zu stellen und sich gerade so zum Narren machen, nimmt Paulus die Rolle des Narren an und rühmt und rühmt sich, auch wenn das eigentlich zu gar nichts nütze ist, wie er gleichzeitig augenzwinkernd feststellt. Es ist eine großartige Parodie. Denn dessen er sich da rühmt – erniedrigende Schläge, Schiffbruch, Gefängnisaufenthalt – ist nach menschlichen Maßstäben ja nun wirklich nicht rühmenswert.
Und dann diese Geschichte, wie er in einem Korb durch ein Fenster an der Stadtmauer hinuntergelassen wird, ist Narretei pur. Damals wurde nämlich der Soldat als Sieger gefeiert, der bei der Belagerung einer Stadt als Erster auf der Mauer stand. Und Paulus rühmt sich nun just als jener, der als Erster von dort hinuntergelassen wurde und die Flucht antritt.
Und er geht in dieser Narrenrede sogar noch weiter. Er erzählt, wie er in den dritten Himmel entrückt und sogar im Paradies war, aber nun mal leider keine Worte dafür findet, davon zu erzählen. Weil das, was er da erlebt und gehört hat, ja so unaussprechlich herrlich sei!
Ich stelle mir vor, liebe Brüder und Schwestern welchen Spiegel uns Paulus heute vorhalten würde. Denn gerühmt muss ja werden – heute wie damals. Und ich höre ihn förmlich, wie er auch zu uns sagt: Wenn Ihr angeben wollt, dann tut es halt! Macht ruhig weiter so, als ob Ihr immer alles im Griff habt. Prahlt ruhig weiter damit, stets leistungsstark und erfolgreich, stets reich und schön, stets fit und gesund zu sein, auch wenn Ihr dabei auf der Strecke bleibt. Glaubt nur weiter, dass Ihr es euch nicht leisten könnt, krank zu sein, weil Ihr ja so unentbehrlich seid. Spielt Euch ruhig als Götter auf, stabile „Geniusse“, die ihr allesamt seid.
Aber plötzlich, mitten in dieser parodistischen Einlage, schlägt seine Tonlage ins Gegenteil um. Sie mündet in etwas ganz anderes, liebe Brüder und Schwestern. Hören Sie selbst, wie Paulus sich outet. Ich lese die Fortsetzung:
„Im Hinblick auf mich selbst kann ich nur mit meiner Schwäche angeben,“ schreibt Paulus weiter. Wenn ich allerdings tatsächlich angeben wollte,
würde ich mich damit noch nicht einmal zum Narren machen. Ich würde einfach nur die Wahrheit sagen.
Ich verzichte aber darauf.
Denn man soll mich nur nach dem beurteilen,
was man direkt von mir sieht und hört –
auch wenn diese Offenbarungen wirklich außergewöhnlich sind.
Aber damit ich mir nichts darauf einbilde, ließ Gott meinen Körper mit einem Stachel durchbohren. Ein Engel des Satans darf mich mit Fäusten schlagen, damit ich wirklich nicht überheblich werde.
Dreimal habe ich deswegen zum Herrn gebetet, den Engel des Satans wegzunehmen.
Aber der Herr hat zu mir gesagt:
Lass Dir an meiner Gnade genügen. Denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.
Ich gebe also gerne mit meiner Schwäche an.
Denn dann kann die Kraft von Christus bei mir einziehen.
Deshalb freue ich mich über meine Schwäche –
Über Misshandlung, Not, Verfolgung und Verzweiflung.
Ich erleide das alles um Christi willen.
Denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“
„Wenn ich schwach bin, so bin ich stark“.
Das ist ein überraschender Schluss, liebe Brüder und Schwestern. Da ist nichts mehr närrisch. Es ist, als ob Paulus mitten in seiner Rede seine Narrenkappe absetzt. Er zeigt sich, wie er ist. Ganz ungeschminkt. Er spricht davon, wie sehr ihn seine Krankheit nervt und belastet, weil sie ihm deutlich macht: „Du hast Grenzen, lieber Paulus. Du kannst nicht alles leisten!“
Er erzählt, wie oft er auf den Knien gelegen und darum gebetet hat, nicht mehr so schwach zu sein. Denn niemand will schwach sein. Auch er nicht.
Aber mal ganz ehrlich, sind wir das nicht alle irgendwie und irgendwann in unserem Leben? Wir alle kommen doch an unsere Grenzen. Schon allein deshalb, weil wir endliche Grenzen haben. Wo wir die überspielen, werden wir gnadenlos – uns selbst und den anderen gegenüber. Denn dann werden Krankheit, Scheitern, Alter und Armut zum Makel, und den, den man verstecken muss, solange es geht. Auf Gedeih und Verderb…
Wo wir aber wie Paulus unsere Grenzen annehmen und zu unseren Schwächen stehen, da geben wir auch anderen die Möglichkeit, sich zu zeigen, wie sie sind. Mit ihren Sonnen- und Schattenseiten, mit ihren Erfolgen und mit ihrem Scheitern.
Wie das ja auch ein Narr tut, eben weil er der Narr ist. Denn: Er lässt uns stark sein, auch wenn wir schwach sind! Er entlarvt unser Starkseinwollen als Schwäche. Deshalb wurde er ja auch an Königshöfen geduldet. Als einer, der sich nichts Böses dabei denkt …
Und ist deswegen Paulus nicht der größte Schüler seines Herrn? Denn ist der nicht der größte Narr? Der Gottessohn, der am Kreuz stirbt und damit doch unser ganzes Konzept von Stärke und Schwäche so gründlich auf den Kopf stellt. Hält uns sein Kreuz nicht jenen Spiegel vor, in dem wir uns erkennen und annehmen können als die, die wir sind?
Er nimmt doch unsere Schwachheit auf sich, damit wir uns nicht länger als Götter aufspielen, sondern endlich als Menschen leben. Im wahrsten Sinne des Wortes: endlich als Menschen leben.
Der Philosoph Adorno hat dazu einmal gesagt: „Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren!“ Wo Menschen das erfahren, wächst ihnen jene Kraft zu, die sie zum Leben brauchen wie die Luft zum Atmen. Da werden wir selbst frei, die Liebe zu leben, die ja im Schwachen mächtig ist.
„Lass dir an meiner Gnade genügen. Denn meine Kraft ist in der Schwachheit mächtig,“ bekommt Paulus als Antwort auf sein Gebet. Das griechische Wort, das Paulus hier verwendet und das wir mit Schwachheit übersetzen, meint ganz allgemein unsere menschliche Verfassung. Weil wir im Unterschied zu Gott, der stark und mächtig ist, als Menschen schwach und verletzlich sind. Immer auf Schutz und Wohlwollen angewiesen. Und damit auf seine Liebe. Und diese Liebe verspricht Christus dem Paulus.
Und nicht nur ihm, liebe Brüder und Schwestern …. Denn sein Versprechen gilt auch für uns alle. Du bist wie du bist – mit deinen Schwächen und Problemen, mit deinen Grenzen und mit deinen Möglichkeiten. Ich liebe Dich so, wie du bist. Einzigartig, anders als die anderen. Meine Kraft ist in dir, wenn du mich lässt. Denn was hast du, was Du nicht von mir geschenkt bekommen hast? So glaube mir doch, dass Dir meine Gnade genügt!
Ich wünsche uns, liebe Brüder und Schwestern, dass auch wir um Christi willen Narren sind und unsere Gemeinde ein Ort ist, an dem wir uns so zeigen dürfen, wie wir sind. Auch dann, wenn es uns nicht so gut geht, und wir nicht wissen, wie wir da wieder herauskommen. Denn wenn zwei und zwei zusammen sind, dann ist er, wie wir glauben mitten unter uns. Dann ist er mit seiner Gnade bei uns. Dann wirkt sein Geist auch in uns.
„Zeig Dich!“ – 7 Wochen ohne Kneifen – unter diesem Motto steht in diesem Jahr die Fastenaktion der evangelischen Kirche. Mit inspirierenden Texten und Bilder lädt sie ein, in den Wochen vor Ostern, das Visier runterzulassen und Gesicht zu zeigen. Hier in der Gemeinde wird es Mittwochabends ein Treffen für all jene geben, die das einmal ausprobieren wollen. Es ist eine Gelegenheit, selbst einmal herauszufinden, was das heißt: Wenn ich schwach bin, bin ich stark