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03 Februar
Sonntag, den 03.02.2019 09:30 Uhr Friedenskirche

Treue

Predigt zu 1 Kor 1,4-9

„Sex mit Stiefmutter, Prostituierter und mehreren Partnern – Korinth geht denBach runter“ – so könnte die Bildzeitung titeln, wenn es die zu biblischer Zeit schon gegeben hätte. In der griechischen Hafenstadt Korinth am Mittelmeer ging es damals heiß her. Aus den Briefen des Paulus lässt sich einiges über die Umschweife der Korinther herauslesen: Sexuelle Beziehungen innerhalb von Familien, also Inzest. Dazu Menschen, die mit mehreren Partnern in sexuellem Kontakt standen – heute würde man es „Polyamorie“ nennen. Und auch Prostitution war ein florierendes Geschäft in der damaligen Metropole. Paulus passt ganz und gar nicht, was in Korinth vor sich geht. Auf vielen verschiedenen Wegen versucht er die wilden Korinther zu bändigen. Mal schlägt er vor, die Störenfriede zu verbannen, wenn er sagt: „Ihr sollt diesen Menschen dem Satan übergeben zum Verderben des Fleisches, auf dass sein Geist gerettet werde am Tage des Herrn.“ (1. Kor 5,5). Mal appelliert er an das Gewissen der Korinthermit dem bekannten Satz: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf.“ (1. Kor 10,23f.).

Ich kann Paulus gut verstehen. Er hat große Visionen davon, wie das Leben in einer Gemeinde eigentlich aussehen soll. Davon ist in Korinth nichts zu sehen. Eine Traumgemeinde wäre für Paulus, wenn die Menschen in Frieden zusammenleben. Jeder bringt etwas von seinen Begabungen in die Gemeinde ein. Die Gemeindemitglieder helfen sich gegenseitig und sind auf das wohl ihres Nächsten bedacht. Die Umstände in Korinth dagegen bringen Paulus zur Verzweiflung. Zügellosigkeit, Neid, Gier – so sieht die Realität in Korinth aus. Die Korinther sind für Paulus wie ein Sack Flöhe, die immer wieder herauswuseln und sich seinen Ratschlägen zu widersetzen scheinen. Paulus ist darüber sicher

sehr wütend und enttäuscht. Und vielleicht fühlt er sich zwischenzeitlich auch einfach heillos überfordert…Paulus hat sich aber auch viel aufgeladen. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Botschaft in die Welt zu tragen, die lautet: Gott liebt seine Schöpfung, deshalb hat Gott seinen Sohn auf die Welt geschickt, um das den Menschen mitzuteilen. Das einzige, was die Menschen jetzt tun sollen, ist Gott dafür zu lieben, den Nächsten zu lieben und sich selbst. „So schwer kann das ja wohl nicht sein“, hat sich Paulus vielleicht am Anfang gedacht. Doch jetztstößt sein Idealismus auf die Realität. In Korinth scheint die Botschaft überhaupt nicht anzukommen. Gott lieben, den Nächsten lieben, sich selbst lieben? Von all dem sieht Paulus in Korinth nichts. Paulus ermahnt die Menschen vor Ort: „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.“ (1. Kor 6,19f). Paulus scheintwirklich frustriert und sauer zu sein. Er kann nicht verstehen, wie die Menschen die Liebe Gottes ausschlagen können. Das ist doch eine wunderbare Botschaft. Überall könnte so viel Liebe sein, doch die Menschen scheinen das garnicht zu wollen. Dass Paulus darüber sauer ist und einigen Gemeindemitgliedern den Satan an den Hals wünscht, kann ich schon fast nachvollziehen. Die Korinther scheinen für die Botschaft von der Liebe Gottes und der Nächstenliebe einfach nicht empfänglich zu sein. Ich könnte es gut verstehen, wenn Paulus Korinth jetzt einfach den Rücken zukehrt. Bei den Korinthern, da ist doch eh Hopfen und Malz verloren!

Mit diesem Bild von Paulus und der Gemeinde in Korinth habe ich den Bibeltext für den heutigen Sonntag zum ersten Mal gelesen. Und ich war völlig verwirrt. So spricht Paulus die Prostituierten und sexuell Umtriebigen in Korinth an? Doch hört selbst:

Ich lese aus dem 1. Korintherbrief (1. Kor 1, 4-9):
4 Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus,
5 dass ihr durch ihn in allen Stücken reich gemacht seid, in allem Wort und in aller Erkenntnis.
6 Denn die Botschaft von Christus ist unter euch kräftig geworden,
7 sodass ihr keinen Mangel habt an irgendeiner Gabe und wartet nur auf die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus.
8 Der wird euch auch fest machen bis ans Ende, dass ihr untadelig seid am Tag unseres Herrn Jesus Christus.
9 Denn Gott ist treu, durch den ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.

Spricht Paulus hier wirklich die Korinther an, von denen ich eben gesprochen habe? In dem Brief sagt er: „Ihr habt keinen Mangel an irgendeiner Gabe“ und „ihr seid in allen Stücken reich gemacht“. Ist das Ironie? Paulus kann doch damit unmöglich die ungezügelten Korinther meinen. Wie kommt es, dass Paulus so milde Worte findet? Eine Perspektive eröffnet sich im Blick auf den letzten Vers. Dort steht: „Gott ist treu“. Paulus stellt sich mit dieser Aussage in die jüdischeTradition. An mehreren Stellen im Alten Testament werden Versuche gewagt,Gott zu beschreiben. Sehr häufig wird Gott dort als „treu“ bezeichnet – in den Büchern Mose, in den Prophetenbüchern und Psalmen. Im Hebräischen wird dafür häufig von אמךנה (ämuna) gesprochen. Das bedeutet so viel wie Beständigkeit oder Festigkeit. אמךנה finden wir heute noch in unserem „Amen“ – das so viel heißt wie: „(so) steht es fest“. Das Gebet wird damit bekräftigt und bestätigt. Schon in vorchristlicher Zeit galt Gott als derjenige, der beständig ist. Der Bestand hat. Der feste steht. Spannend finde ich, dass das sich dieses

Gottesbild in Zeiten entwickelt hat, in denen Menschen bedroht wurden. Fremde Völker und Herrscher verübten Angriffe auf das kleine Volk Israel. Der Glaube an einen Gott, der auch in dieser Situation da ist. Der da bleibt. Das war damals etwas Neues. Denn meistens ging man damals davon aus, dass es Gottes Strafe ist, wenn es einem schlecht geht. Doch schon vor der Zeit Jesu entstand dieser Glaube an einen Gott, der treu ist, der sich nicht entzieht. Der da bleibt. Doch was hat dieser treue Gott, den Paulus kannte, mit den Korinthern zu tun? Ich glaube, dass das Gottesbild der Schlüssel dazu ist, warum Paulus überhaupt an den Korinthern dranbleibt. Paulus glaubt nicht nur an einen treuen Gott, er übt sich auch selbst in Treue. Die Korinther geben Paulus allen Grund das Handtuch zu werfen. Doch Paulus gibt nicht auf. Er ist den Korinthern treu. Er bleibt mit ihnen in Kontakt. Aber er tut dies nicht, indem er alles glattbügelt und schönredet. Paulus findet auch sehr klare Worte über das, was ihm nicht gefällt.Paulus kann man also nicht als „treudoof“, wie man das heute sagen würde bezeichnen, denn er verkauft weder sich noch die Gemeinde für „doof“. Er sagtganz ehrlich, was ihn stört. Damit bleibt er nicht nur sich und seiner Vision vom Gemeindeleben treu. Sondern eben auch der Gemeinde, denn er nimmt sie ernst und mutet ihnen die Kritik zu. Er traut ihnen etwas zu. Spannend ist, dass Paulushier in keinem Wort von „Liebe“ spricht. Weder von der Liebe Gottes, noch vonder Nächstenliebe, nach der doch die Menschen leben sollen. Vielleicht ist die Liebe einfach ein zu großes Wort. Gott lieben, sich selbst lieben, den anderen lieben – das schaffe ich selten. Dazu kommt, dass wir heute ein Bild von der romantischen Liebe haben, dass zwar schön, aber auch ziemlich unrealistisch ist. Rosa Wölkchen, Schmetterlinge im Bauch, ein Tanz auf dem Regenbogen – liebe Gemeinde, ich erlebe so etwas ehrlich gesagt selten bis nie…und vielleicht sindwir mit dieser Vorstellung von Liebe gar nicht so weit weg von der der Korinther. Anstatt von Liebe, von Treue zu sprechen, finde ich deshalb ganz charmant von

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Paulus. Alles und jeden immer zu lieben, das ist doch total unrealistisch! Aber diese Treue, von der Paulus spricht und die er selbst vorlebt, das kann man schoneher schaffen. Wie gesagt, damit meine ich nicht, „treudoof“ alles hinzunehmen.Eher im Gegenteil: Treue heißt für mich, sich und anderen etwas zuzuTRAUEN. Darauf zu VERtrauen, dass das Band zwischen mir und dem anderen da ist. Auch wenn der andere mich gerade auf die Palme bringt. Mir gibt das Kraft. Denn so muss ich nicht zwanghaft ständig alles und jeden toll finden. Ich muss nicht zwanghaft lieben. Wut, Enttäuschung, Genervtheit, Frustration – das gehört auch alles zu Beziehungen dazu. Mich entlastet dieses Bild von Beziehung. Es macht mich frei davon, es mir, anderen oder Gott ständig recht machen zu müssen. Und vielleicht nimmt Paulus genau daraus die Kraft, den Korinthern –neben aller Kritik – mild und fast liebevoll zu begegnen.

Treue ist deshalb eigentlich keine Eigenschaft, denn Treue kann sich in vielen Facetten zeigen: darin, sich zu streiten. Sich dem anderen zuzumuten. Sich liebevoll dem anderen zuzuwenden. Sich auszuhalten. Geduldig zu sein. Sich wieder zu versöhnen. Zum Treu-Sein brauchen wir also keine besondere Begabung oder ein Talent. Treue beschreibt eher die Einstellung zu mir, zu dem anderen und zu Gott, die sagt: Ich bin da. Manchmal ist es anstrengend mit dir. Und manchmal bist du mir fremd. Aber ich bleibe hier. Ich gehe nicht weg. Unsere Beziehung hat Bestand. Ich bleibe treu. אמךנה (ämuna). Amen.

Vikarin Lena Moers

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