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25 Februar
Sonntag, den 25.02.2018 09:30 Uhr Friedenskirche

Enttäuschte Liebe

Predigt zu Jes 5,1-7

Wie weh tut doch enttäuschte Liebe, meine lieben Brüder und Schwestern. Und wie verheerend sind ihre Folgen. Wir alle können vermutlich ein Lied davon singen. Denn wo Liebe im Spiel ist, ist auch das Risiko, gekränkt zu werden, nicht weit.

Eine Mutter erzählt, wie sie kurz davor steht, ihren heranwachsenden Sohn mit Sack und Pack vor die Tür zu setzen. Angedroht hat sie es ihm schon. Neulich Abend, als ihr der Kragen platzte. Immer war sie für ihn da, immer hat sie ihn umsorgt und gefördert. Nie hat sie Dank erwartet. Denn sie macht es ja gerne. Sie hat sich auch nicht beschwert, als er nach dem Abi zuhause wohnen blieb. Im Gegenteil. Aber dass er nun auf ihre Bedürfnisse keine Rücksicht nimmt, sondern sie als Hotel Mama behandelt, ein- und ausgeht, wie es ihm beliebt, das kränkt sie schon sehr.

Eine Frau erzählt, wie sie vor dem Scherbenhaufen ihrer Ehe steht. 21 Jahre lang hat ihr Mann sie auf Händen getragen und ihr jeden Wunsch von den Lippen abgelesen. Rechtmachen aber konnte er es ihr nie. Immer gab es irgendwas, mit dem sie nicht zufrieden war. Nachdem die Kinder aus dem Haus waren, hat auch er seine Sachen gepackt. Und sie bleibt mit der Einsicht zurück, die viel zu spät kommt, „hätte ich doch…!“

Ein Mann erzählt, wie er an einem Montagmorgen allein in seiner Wohnung sitzt und seine Kündigung in den Händen hält. Hineingekniet hat er sich in das Unternehmen. Die Arbeit war sein ein und alles. Da war nicht viel Platz für ein Privatleben. „Hast du keine Familie?“ fragten die Kollegen lachend, wenn er abends noch im Büro blieb, um ein Projekt abzuschließen. Und jetzt? Jetzt hält er nach 35 Jahren Zugehörigkeit als Erster die betriebsbedingte Kündigung in den Händen und ist so wütend, dass er den ganzen Laden am liebsten abfackeln würde.

Meine lieben Brüder und Schwestern, wenn wir ins Erzählen kämen, dann könnten wohl viele von uns solche Geschichten aus dem eigenen Leben beisteuern. Wie schmerzhaft enttäuschte Liebe ist, wie hoch die Wogen der Emotionen zwischen Zorn und Trauer, Scham und Wut hin- und herschwanken und wie zerstörerisch die Folgen sind, das weiß jeder, der diese Enttäuschung am eigenen Leib schon erfahren hat.

Auch der Prophet Jesaja kann davon ein Lied singen. Und sein so genanntes Weinberglied ist der Predigttext für heute:

 

Wohlan, ich will von meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe.

Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.

Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg!

Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?

Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er kahl gefressen werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde.

Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.

Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

Meine lieben Brüder und Schwestern,

ist es nicht ein Liebeslied, das Jesaja hier singt? Eins, das auf Hochzeiten gerne gesungen wird? Und freuen seine Zuhörer sich dann nicht auf eine romantische Geschichte mit einem Happy End – eine, die so richtig ans Herz geht? Und es fängt ja auch gut an. Da legt einer einen Garten an, gräbt, pflanzt und baut eine schützende Mauer drum herum. Sogar einen Turm stellt er in die Mitte. Der Gärtner kniet sich voll rein, scheut keine Mühe, ist sich für nichts zu schade und tut alles, damit sein Weinberg reiche Frucht bringen kann.

Aber dann, dann wird das Liebeslied zum Liebeskummerlied. Die Liebe schlägt um in bittere Enttäuschung und Wut. Der Weinberg bringt nämlich keine süße Frucht, sondern nur saure Beeren hervor. Die Liebe bleibt unerwidert. Und wie ein enttäuschter Liebhaber wendet sich der Besitzer schließlich ab und überlässt seinen Weinberg sich selbst. Zurückbleiben Scherbenhaufen, Wüste und Ödnis. Als Folge enttäuschter Liebe.

Gott ist, so stellt Jesaja am Ende klar, dieser enttäuschte Weinbergsbesitzer, dessen Mühen ins Leere laufen, dessen Liebe unbeantwortet bleibt und ja sogar verraten wird.

Der Weinberg ist, wie es immer wieder heißt, von alters her ein Bild für das Volk Gottes. Und damit eben auch für das Leben, das Gott uns geschenkt hat. Als blühenden Garten hat er ihn angelegt wie am Anfang den Paradiesgarten, für den er höchstpersönlich sorgt. Nicht als Hobby, nicht zum Zeitvertreib, nicht aus Langweile, sondern aus Liebe.

Und Gott wartet darauf, dass dieser Garten gedeiht und schöne Früchte bringt. Darauf also, dass seine Liebe von uns erwidert wird. Denn der Wein steht für Lebensfreude und Dankbarkeit. Das sind die guten Früchte. Gott sehnt sich danach, dass wir uns an dieser Liebe freuen. Und wer sich freut, der will, dass sich alle freuen.

Aber: „Er hoffte auf Rechtsspruch, doch siehe da: Rechtsbruch!“ erzählt der Prophet Jesaja und fährt fort: „Gott hoffte auf Gerechtigkeit, doch siehe da: Schlechtigkeit! Er hoffte auf Gutregiment, doch siehe da: Blutregiment!“

Warum, liebe Brüder und Schwestern, singt Jesaja uns denn dieses Lied von der enttäuschten Liebe Gottes? Weil die Gesellschaft, in der er lebt, weit davon entfernt ist, sich an Seiner Liebe zu freuen und daraus zu leben, sondern stattdessen zusammenrafft, was sie kriegen kann, stets nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Eigennutz, Gier und Geiz, das sind die schlechten Früchte, die der Prophet überall wachsen sieht, damals wie heute.

Wo der Mensch sich nämlich als Eigentümer des Gartens aufspielt, da ist nur noch ödes Land. Und wenn wir uns auf unserer Erde umschauen, dann steht uns doch sehr deutlich vor Augen, wie wahr das ist.

Passt auf! Irgendwann ist Schluss mit lustig! mahnt Jesaja mit seinem Lied und hält uns den Spiegel vor. Hört auf, um euch selbst zu kreisen. Hört auf, alles für Euch haben und besitzen zu wollen aus lauter Angst, nicht genug zu kriegen. Ihr könnt doch nicht aus eigener Kraft leben. Fangt endlich an, zu vertrauen, zu lieben, zu staunen, Euch hinzugeben und denkt nicht vorher an sämtliche Risiken. Freut Euch doch endlich am Leben!

Und wenn Ihr das nicht als Geschenk begreift, dann ist es tatsächlich so, wie wenn Gott sich von Euch abwendet. Der Weinberg verfällt und bleibt sich selbst überlassen! Weil Ihr auf Euch selber setzt statt auf ihn.

So traurig und hoffnungslos endet das Weinberglied, liebe Brüder und Schwestern. Es endet in einem großen Hilfeschrei. Es ist Gott selbst, der da in dem Einsamen und an den Randgedrängten, in dem Unterdrückten und Ausgebeuteten schreit und alle anklagt, die statt gute Frucht zu bringen und seine Liebe zu erwidern, nur um sich selbst kreisen.  Und wie ein enttäuschter Liebhaber wendet er sich ab und verweigert seinen Schutz und seine Hilfe.

Wir haben seit einigen Wochen eine WhatsApp Gruppe in unserer Gemeinde, in der wir die jeweiligen Predigttexte diskutieren. Und in den vergangenen Tagen hat immer mal wieder jemand versucht, Hinweise darauf in dem Text zu entdecken, dass es eben nicht Gott ist, dem die Hutschnur platzt, sondern irgendein anderer wütend die schützende Mauer einreißt und den Weinberg den wilden Tieren preisgibt. Weil das so gar nicht passen will zu unserem Glauben an einen Gott, der Geduld mit uns hat und der gnädig mit uns umgeht. Ist nicht Gott selbst jener Prophet, der da als gekränkter Liebhaber vor lauter Enttäuschung alles kurz und klein schlägt, weil niemand auf ihn hören wollte?

Jesaja ist hier unmissverständlich. Es ist Gott, der zornig ist, sagt er. Und dieser Zorn ist die Folge seiner Liebe. Wir sind Gott nämlich nicht gleichgültig. Er will, dass wir uns an seiner Liebe freuen und zufrieden sind. Wie jeder, der einen anderen Menschen liebt, sich danach sehnt, dass der sich lieben lässt und eben nicht gierig immer mehr nur für sich haben will. Denn am Egoismus zerbricht die Liebe.

Meine lieben Brüder und Schwestern, Gott sei Dank ist diese Liebesgeschichte hier nicht zu Ende. Jesus spinnt sie weiter. In seinem Gleichnis zwischen dem Winzer und seinem Weinberg, das wir im heutigen Evangelium gehört haben.

 

Auch er erzählt ja von jenem Winzer, der sich voll reinkniet und liebevoll einen Weinberg anlegt, mit einer bergenden Mauer drum herum und einem Turm in der Mitte, in dessen Schutz die Weinstöcke wachsen und Frucht bringen können. Aber Gott wendet sich hier nicht ab. Seine Geduld ist nicht so schnell am Ende. Er zieht sich nicht zurück. Immer wieder erinnert er die Menschen daran, dass sie doch seine große Liebe sind und dass er sich nach ihrer Liebe sehnt. Danach, dass sie aus seiner Liebe leben und glücklich werden und all das Erfahrene großherzig weiterschenken, ohne auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein.

 

Immer wieder schickt Gott deshalb seine Knechte in den Weinberg, erzählt Jesus. Doch immer wieder werden seine Boten geschlagen, verspottet, gesteinigt und getötet. Nicht nur damals, sondern auch heute. Weil das, was sie zu sagen haben, unbequem ist, die Routine des Alltags durchbricht und uns zum Nachdenken bringt, wie und woraus wir leben. Und die ehrliche Antwort darauf kann ganz schön schmerzhaft sein.

 

Schließlich sendet Gott sogar seinen eigenen Sohn, weil er hofft, dass die Menschen zumindest auf ihn hören werden. Aber sie tun es nicht. „Sie packten ihn und warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um“, so endet die Geschichte und sie erinnert uns an die Kreuzigung Jesu vor den Toren Jerusalems.

 

Aber wir würden Jesus gründlich missverstehen, wenn wir jetzt sagen würden: „Das war damals!“

Jesu Frage, was der Besitzer des Weinbergs wohl mit jenen untreuen Pächtern des Weinbergs machen wird, wenn er selbst zur Ernte kommt, richtet sich nämlich auch an uns: Bringt Ihr denn Frucht? Erwidert Ihr denn Gottes Liebe? Hört Ihr denn auf mich, seinen Sohn, der euch in diese Liebe ruft? Gott kommt, um zu ernten. Seid Ihr dann bereit, ihm Antwort zu geben?

Aber, liebe Brüder und Schwestern, wie bringen wir denn gute Frucht? Der Evangelist Johannes weiß da einen Rat für uns. „Bleibt in mir und ich in euch,“ so lässt er Jesus sagen. „Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. Ich bin der Weinstock. Ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt, der bringt reiche Frucht.“ Wenn wir uns also an Jesus halten, dann werden wir aus der Liebe Gottes leben, dann können wir gar nicht anders, als für den guten Wein zu sorgen, damit alle froh und glücklich sind und unsere Welt zum blühenden Garten wird.

Liebe Brüder und Schwestern, „Reminiszere“ heißt der heutige Sonntag. So benannt nach einem Wort des Psalms für heute: „„Reminiscere miserationum tuarum, Domine“. Übersetzt heißt das: „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit.“ Und dieses Gedenken, dieses Erinnern ist im biblischen Sprachgebrauch immer auch mit Zuwendung und Kümmern verbunden. Es ist die Bitte, dass Gott sich nicht abwenden und uns uns selbst überlassen möge, sondern sich uns immer wieder zuwende, auch dann, wenn wir ihm aus Eigennutz, Gier und Geiz ihm den Rücken gekehrt haben.

Und es braucht vielleicht manchmal nicht mehr als diese Bitte aus ganzem Herzen. Denn Gott wartet auf diese Bitte, auf unsere Umkehr also, wie jene Mutter, die ihrem Sohn mit dem Rauswurf gedroht hat. Als der nämlich am nächsten Abend mit einer Flasche Rotwein in der Küche stand und bat, „Ach, Mama, sei mir doch bitte nicht mehr böse!“, da war ihr Ärger verraucht. Und die beiden saßen in dieser Nacht noch lange zusammen, lachten und redeten über all das, was in der Zwischenzeit passiert war.

Und auch wenn es zwischen uns Menschen immer wieder Scherbenhaufen enttäuschter Liebe gibt, die sich nicht mehr kitten lassen, dürfen wir doch glauben, dass Gott treu ist und uns immer wieder in seine Arme schließt. Auch wenn wir uns noch so sehr selbst im Weg stehen.

Jeden Tag also gilt es, für ihn bereit zu sein und ganz bewusst auf seine Barmherzigkeit zu hoffen, Denn wenn wir all das Gute und Schöne in unserem Leben als kostbares Geschenk betrachten und achtsam sind für jene Momente zu sein, in denen wir anderen Gutes tun können, dann leben wir sie doch diese Barmherzigkeit, die Gott uns immer wieder schenkt. Dann wird unser Leben immer mehr zu einer Liebesgeschichte werden mit einem glücklichen Ausgang.

Amen

 

Wir freuen uns auf Ihren Besuch in der Friedenskirche in Offenbach am Main.