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29 September
Sonntag, den 29.09.2019 09:30 Uhr Friedenskirche

Sorgt Euch!

Predigt zu 1 Petr 5,5b-11

Liebe Schwestern und Brüder,
„sorgt Euch nicht!“ hören wir Jesus im Evangelium. Wenn das doch so einfach wäre. Manchmal wünsche ich mir besonders in jenen Nächten, wo das Gedankenkarussell sich immer schneller dreht so einen Schalter, der auf Knopfdruck die Sorgen einfach abschaltet. Denn von denen gibt es ja mehr als genug. Nicht nur im persönlichen Leben, sondern inzwischen weit darüber hinaus.

Aus Sorge um die eigene Zukunft und die unseres Planeten, sind allein in Deutschland am vergangenen Wochenende 1,7 Millionen Menschen auf die Straße gegangen.
Und das schmale Mädchen mit den langen Zöpfen, das bebend vor Wut vor der UN-Klimakonferenz in New York steht und mit ihren Tränen kämpft, ist das Gesicht dieser globalen Sorge, die mittlerweile Menschen auf der ganzen Welt erfasst hat. Und ich finde es zutiefst beschämend, was sich die 16 Jährige nicht erst seit ihrer sehr emotionalen Rede in New York immer wieder an Häme gefallen lassen muss. Der menschenverursachte katastrophale Klimawandel lässt sich doch nun wirklich nicht mehr wegdiskutieren. Er ist längst zu einer echten Gefahr für die kommenden Generationen geworden.

Und ich hoffe von ganzem Herzen, dass Greta und die anderen Jugendlichen solange nerven, bis auch dem Letzten die Augen aufgehen. Und wir Großen verstehen, dass es unsere Sorge sein muss, jetzt alles dran zu setzen, um das Ärgste zu verhindern. Schlimm genug, dass erst diese junge Schwedin kommen musste, um die Sorge um unsere Welt so auszusprechen, wie sie es nun Gott sei Dank tut. „Ich will, dass ihr Panik kriegt,“ sagt sie. Und das sagt sie wütend, zornig und auch böse. Weil sie verzweifelt an der Trägheit der Verantwortlichen.

Wenn Jesus rät, „sorgt Euch nicht“, dann meint er damit nämlich ganz sicher nicht jene Unbekümmertheit, mit der auch jetzt noch welche achselzuckend und über die Sorgen der Jugend spottend einfach weitermachen wie bisher.

Ich glaube, Jesus wäre genauso fassungslos wie all diese Jugendlichen, die gerade die schmerzliche Erfahrung machen, dass sie mit ihrer Sorge einfach nicht durchdringen können und immer noch nicht ernstgenommen werden. Und die Heiligsprechung von Greta ist auch nur eine andere Art und Weise, ihre Botschaft nicht ernst zu nehmen.
„Seid wachsam!“ sagt auch Jesus. Und schärft uns das immer wieder ein!

Steckt nicht in der Provokation von Greta auch ein Fünkchen dieser Wahrheit Jesu, nämlich um Himmels willen wachsam zu sein und jetzt nicht mehr wegzuschauen? Hat er nicht selbst voller Zorn die Tische der Geldwechsel im Tempel umgeworfen?

Mir scheint, manchmal braucht es nämlich erst diese Form Sorge, um uns die Augen zu öffnen für die greifbare Realität. Manchmal das „Sichsorgenmachen“ auch eine Voraussetzung dafür, dass es ein „Sichkümmern“ gibt. Und wenn wir nicht endlich anfangen uns ernsthaft um diese Welt zu kümmern, die uns Menschen doch anvertraut ist, dürfen wir uns über die Folgen nicht wundern.

Die Frage ist aber: Wohin dann mit den Sorgen, wenn sie uns zu schwer werden und wir sie allein nicht mehr tragen können?

Die einen tragen sie von der Schule auf die Straße, andere versuchen es mit sich selber auszumachen, wieder andere verarbeiten ihre Befürchtungen in unzähligen Strategiepapieren, und viele glauben sogar, ihre Sorgen loszuwerden, indem sie andere dafür verantwortlich machen.

Im Petrusbrief lautet der Rat des Apostels aber: „Alle Eure Sorgen werft auf ihn, auf Gott. Denn er kümmert sich um euch!“

Was mir direkt auffällt, ist, dass auch bei ihm „Sichsorgen“ und „Sichkümmern“ zusammen gehören. Die Ängste auf der einen Seite und die Fürsorge auf der anderen. Das Sorgen scheint also zwei Seiten zu haben.

So wie Greta ihre Sorgen den Mächtigen dieser Welt vorwirft, so sollen wir die unsrigen auf Gott werfen. Das steht da im Griechischen tatsächlich so da: „sie auf Gott werfen“. Ihm also alles klagen, was uns belastet.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir uns das gar nicht so richtig trauen, vor Gott zu klagen, auch anzuklagen und wütend zu sein. Aber Petrus ermutigt uns dazu!

Das Wort, das hier im Griechischen steht, ist ein Ausdruck, der im Altertum gebraucht wurde, wenn einer schwere Säcke und Lasten auf seinen Esel wirft, damit er sie für ihn trägt. Jene, die den Petrusbrief als Erste in den Händen hielten, werden sofort dieses Bild vom Lastenesel im Kopf gehabt und die Erleichterung körperlich gespürt haben. Denn die Schritte werden einem dann leichter. Der Atem freier. Und der Blick kann endlich wieder nach vorne gehen, wenn der Esel die lasten trägt.

Und wer sich schon mal alles von der Seele reden konnte, hat vielleicht eine Ahnung davon, was hier damit gemeint sein könnte. Es tut gut, die Sorgen abzuwerfen. Und Gott hilft uns sie zu tragen!

Vielleicht sind wir ihm oft nicht laut genug. Vielleicht wartet er darauf, dass wir ihm sagen, wie wenig wir selbst tun können und wie viel wir falsch machen. Vielleicht überhören wir auch, wann und wie er uns etwas sagt.

Es ist immer noch fünf vor 12. Aber wir müssen die Sorge nicht mehr alleine tragen. Gott kümmert sich darum. Das ist die Zusage, die gilt, wenn wir an sie glauben und nicht verzweifeln.

Und ich würde mir so wünschen, dass wir wirklich spüren, wie nahe uns Gott ist. Hörbar und greifbar. Im Händedruck eines aufmerksamen Nachbarn. Im arglosen Blick eines Kindes. Im Klang einer Symphonie. Aber eben auch im aufrüttelnden Wort einer Greta.

Und wo können wir diese Erfahrung noch machen? Petrus schreibt: in der Gemeinde! Er stellt diese Zusage, dass wir unsere Sorgen auf Gott werfen können, in den Raum einer Gemeinschaft. In den Raum der Vielfalt des Miteinanders. In Räume also, wo Menschen ihre Sorgen teilen können. Petrus schreibt uns:
Begegnet einander in Demut! Denn Gott tritt den Stolzen entgegen, den Demütigen aber schenkt er seine Gnade. Beugt euch also in Demut unter die mächtige Hand Gottes, damit er euch erhöht, wenn die Zeit gekommen ist. Werft alle Sorgen auf ihn, denn er kümmert sich um euch! Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht um wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann. Leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glaubens! Wisst, dass Eure Brüder und Schwestern in der ganzen Welt die gleichen Leiden ertragen müssen! Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird Euch, die ihr eine kurze Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen und auf festen Grund stellen. Sein ist die Macht in Ewigkeit.

„Begegnet einander in Demut!“ rät Petrus. Auf den ersten Blick hat das mit der Zusage, dass wir auf Gott unsere Sorgen werfen, weil er sich kümmert, erstmal gar nichts zu tun. Aber nur auf den ersten Blick.
Und zwar aus zwei Gründen:
Erstens: Demut bedeutet, wie das Wort schon sagt, der Mut zu dienen. Der Mut also, hinzuschauen, die Not meiner Nächsten zu sehen, ihre Klage nicht nur zu hören, sondern auch ernstzunehmen, mich berühren zu lassen und tragen zu helfen. Und auch wenn wir manchmal tatsächlich nicht mehr tun können als zuzuhören, immer und wieder. Und uns nicht genervt abzuwenden, weil wir die Klage nicht mehr hören können.

Zweitens: Bei der Demut geht es um unsere Stellung als Menschen in der Welt und vor Gott.
Es gibt ja eine lange und sehr unglückliche Tradition in der Kirche, die Demut als Unterwürfigkeit versteht und die als weibliche Tugend von der Kanzel herab besonders den Frauen ans Herz gelegt wurde. Petrus aber empfiehlt sie allen. Denn sie ist das Gegenteil von Stolz.

Der Stolz nämlich ist zerstörerisch. er macht Gemeinschaft unmöglich. Weil er von jener Sorglosigkeit geprägt ist, die einen ignorant werden lässt für die Menschen und die Welt.
Und in der Sorge zeigt sich das. In einer Krise, in die uns die Sorgen ja stürzen können, braucht es nämlich die Bereitschaft, die eigenen Werte, das eigene Handeln und die eigenen Gewohnheiten in Frage stellen zu lassen, zu überdenken und dann neue Wege zu gehen. Wer stolz an alldem festhält, sich nicht hinterfragen lässt, wer versucht überheblich sorglos zu bleiben, zerbricht in der Krise.

„Dem Stolzen tritt Gott entgegen, dem Demütigen schenkt er seine Gnade,“ heißt es in unserem Predigttext. Bei der Demut geht es also um eine realistische Selbsteinschätzung des Menschen, der weiß, dass er auf Gottes Gnade angewiesen ist, und der sich zugleich der Würde bewusst ist, die daraus erwächst.

Und die christliche Gemeinde soll, so Petrus, so ein Raum sein, wo Menschen diese Demut als Haltung zum Leben miteinander einüben. „Zieht die Demut an,“ sagt er wörtlich und rät, wie Kinder, die Verkleiden spielen, einfach mal hineinzuschlüpfen in diese Haltung der Demut, bis sie uns vielleicht irgendwann wirklich in Fleisch und Blut übergeht.

Wie aber können wir diesen Mut, einander die Sorgen zu tragen, gemeinsam üben? Ich glaube, es fängt damit an, dass wir uns gegenseitig zuhören, einander Gelegenheit geben, die Sorgen auszusprechen, die uns belasten, und dann in dieser Gemeinschaft die Erfahrung machen, dass da Menschen sind, die tragen helfen, weil sie jenem hinterhergehen, der von sich selbst gesagt: „Kommt her! Lernt von mir! Denn ich bin von Herzen demütig! So werdet Ihr Ruhe finden für Eure Seelen!“

Und wie können wir einander tragen helfen, liebe Brüder und Schwestern?
„Seid nüchtern!“ rät Petrus. Nachdenklich also sollen wir sein und bleiben. In dem Sinne, dass wir immer wieder gemeinsam einen Schritt zurücktreten und uns darüber austauschen, was wir wirklich wollen im Leben und worauf es ankommt. Und das ist ja heute gar nicht so einfach. Ja, das war vielleicht noch nie einfach. Denn die Versuchung ist immer da, panisch den Kopf zu verlieren oder lieber wegzuschauen, sich zu betäuben und gedankenlos weiterzumachen wie bisher.

Ich wünsche mir für unsere Gemeinde, dass wir uns gegenseitig immer wieder daran erinnern, vor wem wir stehen und dass wir um des Himmels und der Erde willen nachdenklich bleiben. Gott gibt uns die Kraft dazu. Er stellt uns auf festen Grund. Ihm können wir alles sagen, wenn wir vor lauter Sorgen nicht mehr weiterwissen.
Und wenn wir das miteinander tun, dann, liebe Brüder und Schwestern, dann sind wir gemeinsam wach. Dann schauen wir gemeinsam hin. Auch auf das, wovor wir lieber die Augen verschließen würden. Dann hören wir aufeinander und sorgen wir uns füreinander und für unsere Welt, weil Gott sich mit uns, für uns und um uns sorgt. Dann können uns auch Tod und Teufel keine Panik machen. Denn: Dann können wir gelassen sein, weil unsere Zukunft in Gottes Hand liegt.

Und weil uns diese Gelassenheit bisweilen abhandenkommt, weil die Sorgen uns keine Ruhe mehr geben, dann mag uns allen jenes alte Gebet helfen, das viele von Ihnen vielleicht kennen und wegen seiner tiefen Wahrheit auch so ins Herz geschlossen haben wie ich. Ich möchte es Ihnen und allen Jugendlichen dieser Welt, aber auch den Verantwortlich für die weitere Existenz unsere Erde mit auf den Weg geben:
„Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit das eine vom anderen zu unterscheiden.
Amen
Pfarrerin Crüwell, 29.9.2019

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