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13 Januar
Sonntag, den 13.01.2019 09:30 Uhr Friedenskirche

Über den Jordan?

Predigt zu Jos 3,5-15

Liebe Brüder und Schwestern,

kraftvoll und im schönsten Blau zieht sich der Jordan durch unsere Kinderbibeln. Schon die Kleinsten im Kindergarten kennen ihn.

Dabei ist dieser denkwürdige Fluss zwischen Israel und Jordanien doch gar nicht so mächtig. Aber die Jahrhunderte und Jahrtausende haben ihn derart angefüllt mit Bedeutung, dass er zur Grenze schlechthin wurde, jener zwischen hier und dort, Diesseits und Jenseits. „Über den Jordan“ sagt man, wenn ein Vorhaben gescheitert, eine Sache nicht mehr zu reparieren oder ein Mensch gestorben ist. Und mit den Jahren ist der Jordan in unserer Vorstellung immer breiter und unüberwindbarer geworden. Wer ihn überquert, kommt nicht wieder, wer ihn überquert, scheint verloren.

 

Dabei war das nicht immer so. Im Gegenteil. Einst saßen die Menschen an seinem Ufer und träumten sich hinüber in jene neue Welt, ins gelobte Land, ja, ins Himmelreich, das Gott verheißen hat.

 

Und die beiden Lesungen des heutigen Sonntags führen auch uns an den Jordan, und fragen uns, was wir erhoffen und am anderen Ufer glauben und erzählen von seiner  magische Anziehungskraft hinüber in die Zukunft des neuen Lebens.

 

Und dort am Ufer sehen wir Jesus, der mitten in diesem Fluss steht und sich von Johannes taufen lässt. Der Himmel öffnet sich, erzählt Matthäus im heutigen Evangelium und wir hören wie die Stimme aus den Wolken sagt: Das ist mein geliebter Sohn!

 

Und der Predigttext aus dem Josuabuch stellt uns mitten hinein in das Volk Israel, das nach seiner schier endlos scheinenden Wanderung durch die Wüste endlich angekommen ist und nun auf der anderen Seite des großen Stroms schon das Land vor Augen hat, zu dem sie all die Jahre unterwegs waren. Im dritten Kapitel lesen wir:

 

Und Josua sprach zum Volk: Heiligt Euch. Denn morgen wird der HERR Wunder unter Euch tun. Und Josua sprach zu den Priestern: Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her! Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her.  Und der HERR sprach zu Josua: Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein. Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen. Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des HERRN, eures Gottes! Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter: Siehe, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde wird vor euch hergehen in den Jordan. Und die Priester, die die Lade des Bundes des HERRN trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan. Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.

 

Liebe Brüder und Schwestern,

hinter Joshua und dem Volk liegen 40 Jahre in der Wüste und vor ihnen am anderen Ufer breitet sich jenes Land aus, das Gott ihnen versprochen hat. Und der Jordan, an dem sie nun stehen, ist die Grenze zwischen diesen beiden Welten, der alten und der neuen. Hoffnungsfroh schauen sie hinüber, aber auch besorgt. Denn das Unbekannte macht ihnen Angst. Sie fürchten vor den vielen fremden Völkern, auf die sie treffen werden. Sieben an der Zahl sind es. Sieben unaussprechliche Namen, die Josua aufzählt. „Sieben“ das heißt in der Bibel „alles“. Überall scheinen die Feinde zu lauern Gefahr und Tod also auch? Gehört das auch zum verheißenen neuen Leben, in dem Frieden und Sicherheit sein sollen, fragen sie sich. Da hören sie Joshua sagen: „Siehe, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde wird vor euch hergehen in den Jordan.“

 

Diese Bundeslade war für die Israeliten auf ihrem beschwerlichen Weg durch die Wüste ein sichtbares Zeichen, dass Gott bei ihnen ist. Und nun ist sie es, die mitten hinein in das Wasser des Jordan vorausgetragen wird. Das hieß und heißt für uns alle, dass Gott selbst vorangeht, mitten im Fluss stehen bleibt und mitten auf der Grenze dafür sorgt, dass ohne nasse Füße zu hinüberkommen. Gott selbst schlägt die Brücke zwischen hier und dort, zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen alter und neuer Welt. Gottbringt sein Volk ans andere Ufer bringt.

 

Und wenn in den Evangelien Jesus bei seiner Taufe durch Johannes in den Jordan gestellt wird, dann weil er  der neue Joshua ist, der auch uns hinüberbringt. Jesus ist unsere Bundeslade, in Jesus ist Gott mit uns auf unserem Lebensweg. Jesus ist die Brücke über den Jordan, über die Grenze des Todes. Und er steht dort, ohne unterzugehen, bis wir alle auf die andere Seite hinübergelangt sind. Denn er ist im wahrsten Sinne des Wortes unser Mittler. Er ist bei uns in der Angst. Er ist bei uns in der Verzweiflung, Er ist bei uns hier und dort. Er gibt niemanden verloren. Er führt uns ans andere Ufer. Der Himmel steht uns offen.

 

Was aber erwarten wir, liebe Brüder und Schwestern, an jenem anderen Ufer? „Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt“ bekennen wir im großen Glaubensbekenntnis. Und was sehen wir da?

 

Der bekannte Theologe Karl Barth hat in vielen seiner Vorträge darüber gesprochen, dass wir Menschen mit der Antwort auf diese Frage weit über uns selbst hinausgreifen- Trifft er damit nicht mitten ins Schwarze? Kommen wir mit dieser Frage nicht an die Grenze unseres Vorstellungsvermögens?

 

„Aber das ist’s gerade,“ sagt Barth weiter, „wenn wir überhaupt dem Inhalt der Bibel näher treten wollen, müssen wir es wagen, weit über uns selbst hinauszugreifen.“ Denn das Buch der Bücher voller Verheißungen dieser neuen Welt. Von der ersten Seite an, als Gott Himmel und Erde erschuf

 

Unsere Hoffnung bliebe blass, liebe Brüder und Schwestern, wenn wir uns dieser Frage nicht stellten und nicht einfach zu erzählen anfangen, was wir denn erwarten, wenn wir beten „Dein Reich komme!“ Wir tun uns in der Regel ja deshalb so schwer damit, weil wir unsere Grenzen kennen und vielleicht auch, weil wir uns vor Enttäuschungen fürchten. Auch in der Kirche wagen wir es kaum, uns diese Zukunft auszumalen. Aber wir müssen es. „Wir sollen  um Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können wissen und eben damit Gott die Ehre geben“, hat Karl Barth nicht nur den Theologen unter uns ins Stammbuch geschrieben, sondern uns allen.

 

Wir sind doch in unserer Taufe mit Jesus durch das Wasser des Jordan hindurchgegangen. Damit ist doch seine neue Welt schon mitten unter uns. Und damit ist doch sein neues Leben schon in uns. Wir haben etwas zu erzählen. Und es ist unsere Aufgabe, heute auch Hoffnungsträger zu sein, die damals mitten im Fluss stehen blieben und die Bundeslade hochhielten. Denn die braucht es in unserer Welt mehr denn je.

 

Seit Menschengedenken ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft das Leitmotiv des Fortschritts und der Antrieb der Gesellschaft gewesen. Heute aber ist diese Hoffnung der Angst vor der Zukunft gewichen. Denn nur noch 12 Prozent der Deutschen schauen – laut einer aktuellen Umfrage – optimistisch ins neue Jahr. Bemerkenswert ist ein allgemeiner Trend. Die Zukunft wird eher skeptisch gesehen. Dazu gehören die großen Probleme des Klimawandels ebenso wie die Sorge um den schwindenden Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Dafür sind zu viele Fragen offen und ungelöst. Es fehlt schlicht an Vorstellungskraft, wie all das gut werden kann. Und da sind wir als Glaubende gefragt, von einer Welt zu erzählen, in der alle in Frieden und ohne Angst miteinander leben können.

Wie aber machen wir das?

 

„Heiligt Euch!“ fordert Joshua die Israeliten damals auf, bevor sie sich auf machen, den Jordan zu überqueren. „Heiligt Euch. Denn morgen wird der HERR Wunder unter Euch tun!“ Was aber heißt „sich heiligen“? Wir Protestanten tun uns damit ja traditionsgemäß schwer, zu sehr klingt das danach, dass wir unser Heil selbst bewirken könnten.

 

Dabei bedeutet „sich heiligen“ erstmal. einen Schritt zurückzutreten, innezuhalten und aufmerksam zu werden für all das Gute, das schon da ist, und darin die Spuren jener neuen Welt zu entdecken, in die Gott uns bringen will.

 

Und wie das gehen könnte, zeigt eine kleine Geschichte, die ich Ihnen nun gerne mitgeben möchte. In dem Dokumentarfilm „Was die Welt nicht sieht“ werden Menschen auf der Straße angesprochen und gefragt, was ihnen heilig sei. Ein junger Mann antwortet: Was mein Großvater macht, ist heilig. Ein Kamerateam besucht daraufhin den Alten. Man sieht ihn in seiner Werkstatt stehen, wie er die Lesebrille auf der Nasenspitze behutsam einen Nagel nach dem anderen aus der Schublade nimmt,  jeden einzelnen ans Licht hält und behutsam die Spitze mit seinen Finger prüft. Dann wählt er das Holz ebenso behutsam aus und streicht liebevoll über die Maserung jedes einzelnen Stücks. Planke für Planke. Und als er schließlich das passende Holz und die passenden Nägel gefunden hat, beginnt er, die Dinge mit großer Sorgfalt aneinanderzufügen. Selbst der kleinste Nagel ist bei diesem alten Herrn etwas ganz Besonderes.

Nach einem Artikel in der Jüdischen Allgemeinen[1] zufolge bedeutet „heilig“ zu leben, alles um sich herum besonders zu machen. Und das hängt zusammen mit der Fähigkeit, sich zu begeistern und staunen zu können, zu lieben und geliebt zu werden. Und diese Fähigkeit können wir üben, indem wir immer wieder mal mitten im Alltag, innehalten, wahrnehmen, was wir gerade in der Hand halten, mit wem wir gerade im Gespräch sehen, was wir sehen, hören, schmecken. Und dafür danken.

 

Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir das können, dann haben wir Bilder für unsere Hoffnung, dann greifen wir weit über uns hinaus. Dann schauen wir hinüber auf die andere Seite des Jordan, der kraftvoll und im schönsten Blau nicht nur durch unsere Kinderbibeln fließt, sondern auch durch unsere Welt. Und schon in ihr und nicht erst über dem Jordan steht Jesus mittendrin. Wovor also sollten wir uns dann fürchten?

Amen

 

Pfarrerin Henriette Crüwell, 13.1.2019

[1] Baruch Rabinowitz, Die Energie der Liebe, in: Jüdische Allgemeine 17/07, S.14f

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