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11 August
Sonntag, den 11.08.2019 09:30 Uhr Friedenskirche

Das Loch in der Jacke

Predigt zu Jes 5,1-5

Liebe Schwestern und Brüder,
in meiner Jugend war die Angst vor einem Atomkrieg allgegenwärtig. Es war die Zeit des so genannten kalten Krieges, der aber alles andere als kalt war. Und ich hatte auf meinem Ranzen wie viele Jugendliche damals auch so einen Sticker der Friedensbewegung zwischen Sarah Kay Bildchen und Boris Becker kleben. Vielleicht erinnern Sie sich auch noch an diesen Aufkleber: Ein mächtiger Schmied ist darauf zu sehen, der weit ausholt, um aus einem großen Schwert einen Pflug zu machen.

Er war in den 80er Jahr das Symbol der Friedensbewegung in Ostdeutschland und später auch im Westen. Unter dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ protestierten auf beiden Seiten der Mauer unzählige gegen dieses Wettrüsten der Großmächte, die sich an eben dieser innerdeutschen Mauer gegenüberstanden. Als Aufnäher trugen die Menschen dieses Symbol an ihren Jacken, was die DDR Regierung ihnen sofort verbot und es als Widerstand gegen die Staatsgewalt wertete.

Die Vision von einem echten Frieden zwischen den Völkern konnten sie ihnen aber nicht verbieten. Denn die Gedanken sind Gott lob frei. Und so haben die Menschen den Aufnäher einfach rausgeschnitten und stattdessen ein kreisrundes Loch in der Jacke getragen. Jeder wusste, was es bedeutet. Und die Botschaft vom Frieden war fortan ebenso gegenwärtig wie der Krieg.

Über Jahrzehnte hinweg hielten sich Menschen in Ost und West an dieser Friedensvision fest. Gott sei Dank! Denn weil sie darauf vertraut haben, gibt es die Mauer seit 30 Jahren nicht mehr, und wir dürfen heute in einem wiedervereinigten Deutschland leben.

Diese Vision von Schwertern, die zu Pflugscharen werden, ist aber damit nicht überholt. Im Gegenteil. Sie ist auch heute ganz aktuell. Auch wir brauchen diesen Traum von einem Frieden, der nicht mit Angst und Schrecken und mit Waffengewalt durchgesetzt werden muss. Denn auch heute wird wieder überall aufgerüstet, werden Mauern hochgezogen und Menschen in Gefahr gebracht. Auch heute folgt wieder eine Provokation der anderen, bis der Krieg unausweichlich scheint. Nicht nur in El Paso und Ohio eskaliert die Gewalt. Und wieder wähnt sich jeder im Recht, aufzurüsten, weil es die anderen ja auch machen. Und wieder zucken viele mit den Achseln und behaupten, dass unsere Welt nun mal keine friedliche sei, und jeder Krieg unausweichlich sei.

Vielleicht ist es daher auch wieder an der Zeit, und das eigentlich schon längst, uns an die Worte des Propheten Jesaja erinnern zu lassen und heute einmal intensiv einzutauchen in seine Bilder von einer friedlichen Welt, wo die Menschen endlich ihre Waffen beiseitelegen und jede einzelne Bombe eine zuviel ist.

Und so hören wir ihn, den Propheten, wie er durch den Lauf der Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch auch uns ermutigen will, in unsere Jacken ein kleines Loch zu machen als Zeichen dafür, dass wir uns die Hoffnung nicht nehmen lassen:
Dies ist das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, schaute über Juda und Jerusalem. Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinaufgehen zum Berg des HERRN, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des HERRN!

Liebe Brüder und Schwestern,
wie schön wäre das! Wenn sie einfach aufhören würden, die Konflikte, die Gewalt und der Hass.
Wie schön wäre das, wenn wir morgen aufwachen könnten und niemand wüsste, wie Krieg geht, und niemand mehr lernen müsste, dass Angriff die beste Verteidigung ist.
Zu schön, um wahr zu sein?

Zu schön, um wahr zu sein, werden sich die Landsleute des Propheten gedacht haben. Denn unruhige Zeiten waren es. Und um genau zu sein: Es gab eigentlich kaum je ruhige Zeiten für sie. Denn dieser kleine Landstrich an der Küste des Mittelmeers zwischen Afrika und Asien war für sämtliche Großmächte enorm wichtig, weil er zwischen ihnen die Brücke war. Und so zogen nicht nur die Ägypter und die Assyrer nach Jerusalem, um es gewaltsam einzunehmen, sondern auch die Babylonier und das Römische Reich. Jerusalem war ein Spielball der ganz Großen.

Wie oft haben die Bewohner dieser Stadt schon die Völker von allen Seiten mit ihren Heerscharen auf sie zurollen sehen. Und wenn sie wieder am Horizont auftauchten, bedeutete das in der Regel nichts Gutes, sondern wieder und wieder Zerstörung.

Dieses Schicksal hat sich tief ins Bewusstsein Israels eingegraben. Sie wussten wie wohl kaum ein anderes Volk, wie schnell aus Pflugscharen Schwerter und aus Winzermessern Mordwerkzeuge werden. Sie wissen wie wohl kaum ein anderes Volk, wie schnell Menschen den Krieg erlernen und Nachbarn das Morden. Jahr für Jahr gedenkt es daher bis heute einmal im Jahr all der Katastrophen. All jener, die es zu ertragen hatte. Dieser Gedenktag fällt übrigens in diesem Jahr auf den heutigen Sonntag. Sie gedenken, um nicht zu vergessen und Gott an seine Gerechtigkeit zu erinnern und daran, dass er ihnen Frieden verheißen hat. Jerusalem nämlich heißt übersetzt Stadt des Friedens.

Denn ebenso tief ins Bewusstsein Israels eingegraben sind auch die großen Visionen ihrer Propheten, die Frieden und Heil verkünden. „Nächstes Jahr in Jerusalem!“ so lautet der Abschiedsgruß am jüdischen Sederabend und am Versöhnungstag und hält die Hoffnung wach, dass es gut wird auch dann, wenn alles dagegen spricht.

Ich kann den Frieden schon sehen, sagt der Prophet. Nicht in fernen Zeiten oder an einem fernen Ort, sondern hier bei Euch. In Eurer Stadt wird er Einzug halten. Auch Jesaja sieht die fremden Völker von allen Seiten nach Jerusalem kommen. Auch er sieht die Schwerter und Spieße in ihren Händen. Aber er sieht sie nicht zum Krieg kommen, sondern um gemeinsam mit Israel den Frieden zu lernen und die Tora zu studieren, also gemeinsam die Schulbank zu drücken und bei Gott in die Lehre zu gehen.

Was für ein grandioses Bild das ist, können wir heute vielleicht ein bisschen ermessen, wenn wir uns vorstellen, dass Trump, Johnson, Putin, Merkel, Macreau, Kim Jong-un und wie sie alle heißen, zusammen ein Seminar „Wie man den Krieg verlernt“ besuchen.

Aber diese Vision des Jesaja, so schön sie ist, hat es in sich. Sie verlangt allen auch unglaublich viel ab. Der Friede, den der Prophet sieht, ist keine falsche Harmonie. Von Israel verlangt er das Vertrauen, diesen fremden, ja, feindlichen Völkern, die Tore zu öffnen und ihnen zu glauben, dass sie diesmal in guter Absicht kommen. Das ist ein großer Vertrauensvorschuss, den dieses kleine Volk jenen Großen geben soll, die es bisher nur unterdrückt haben.

Denn es heißt bei Jesaja ja nicht, dass die Fremden ihre Waffen draußen lassen müssen und erstmal Bedingungen für den Frieden ausgehandelt werden. Davon ist keine Rede. Die Völker kommen, werden empfangen und lernen Seite an Seite mit Israel den Frieden, wie Gott ihn sich wünscht.

Aber auch den anderen mutet der Prophet mit seiner Friedensvision einiges zu. Denn die vielen Völker kommen nicht nur, um zu lernen, sondern um sich von Gott richten zu lassen. Echten Frieden nämlich gibt es nicht ohne Gerechtigkeit.

Aber wo Gott Recht spricht, und das ist das eigentlich Visionäre, wo Gott Recht spricht, verurteilt er nicht, sondern baut auf und zeigt Wege in die Zukunft.
Und weil das so ist, sollten endlich alle Völker abrüsten und ihre Schwerter nicht nur beiseitelegen, sondern sie umschmieden in Werkzeuge, die dem Leben dienen.

Als ich meinen Sechstklässlerinnen im Religionsunterricht diese Vision des Jesaja nahebrachte, überlegten wir zusammen, wie so eine Abrüstung heute aussehen könnte. Und die Mädchen malten Panzer, die zu einem Bällebad umfunktioniert werden. Und wo aus den Kanonenrohren riesig große Seifenblasen kommen. Wir hatten großen Spaß, uns das auszumalen. Und die Kinder zeichneten tolle Bilder von einer Welt, in der Friede ist, und die Menschen zusammen fröhlich sind.
Und wir haben dann zusammen diese Vision weitergesponnen, wie das wäre, wenn wir alle abrüsten, den anderen immer wieder einen Vertrauensvorschuss geben und miteinander und voneinander so den Frieden lernen würden. Alle waren sich einig, dass wir zusammen träumen, und dass dieser Traum kein Traum bleiben muss.

Liebe Brüder und Schwestern, ich fürchte, wir haben uns dieses Träumen gründlich abgewöhnt. Zu allgegenwärtig scheint der Krieg auf unserem blauen Planeten zu sein, zu allgegenwärtig immer und immer wieder die Gewalt auf der Straße und der Hass in der Sprache.

Aber wir brauchen solche Friedensvisionen, wie Jesaja sie hatte, um uns überhaupt vorstellen zu können, dass die Welt, so wie sie ist, auch ganz anders sein kann. Wir brauchen solche Hoffnungsbilder, um einander zu vertrauen und wir brauchen den Glauben, dass Gott über uns allen seine Hand hält. Obwohl er fassungslos ist, was wir seiner Schöpfung antun. Denn nicht er hat sich das Böse ausgedacht, sondern Menschen haben aus ihr ja gemacht, was sie ist.

Und auch wenn uns das Träumen schwerfällt und uns die Hoffnung auf Frieden genommen scheint, können doch auch wir ein kleines Loch in unsere Jacken schneiden und uns gegenseitig wünschen: „Nächstes Jahr in Jerusalem! Ich bin ganz sicher, dass dann wenigstens ein bisschen von Gottes Licht in unsere Welt dringt, und wir an der Seite von Israel mit diesen Licht und in diesem Licht unsere Wege gehen und den Blick von diesem Licht nicht abwenden.
Amen
Pfarrerin Henriette Crüwell, 11.August 2019

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