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07 Juni
Sonntag, den 07.06.2020 10:15 Uhr Friedenskirche

I warmly smile under this mask

Predigt am Trinitatissonntag

Liebe Brüder und Schwestern, nach diesen Wochen des Abstandhaltens ist die Wiedersehensfreude bei allen riesengroß.
Als ich einigen von Ihnen nach so langer Zeit an Pfingsten endlich wieder in die Augen schauen konnte, kamen mir fast die Tränen, so sehr habe ich mich gefreut, Sie alle wohlbehalten vor mir zu haben. Und ich kann die Kleinen so gut verstehen, die sich auf dem Spielplatz einfach um den Hals fallen, weil sie endlich wieder beisammen sind. Wir Großen sind da zwar etwas umsichtiger. Aber auch uns fällt es doch ganz schön schwer, weiterhin Abstand zu halten. Vielen von uns wird gerade sehr schmerzlich bewusst, wie sehr uns die Begegnung von Angesicht zu Angesicht doch gefehlt hat. Es gibt zwar mittlerweile die tollsten Möglichkeiten, sich beim Telefonieren auch zu sehen. Und viele haben mir erzählt, wie wichtig für sie der tägliche Skype-Anruf der Enkelkinder oder das Familientreffen auf Zoom war. Aber es ist doch einfach nicht dasselbe. Wir können uns auf digitalem Wege zwar sehen, aber nicht wirklich in die Augen schauen.
Das geht jetzt Gott-sei-Dank wieder. Wenn da bloß nicht diesen Masken wären, hinter denen es sich so schwer atmen lässt und die, was noch schlimmer ist, fast das ganze Gesicht verdecken, so dass man gerade noch so die Augen sehen können. Das ist doch sehr gewöhnungsbedürftig.
Denn wir sind es ja gewohnt, in der Mimik der anderen lesen zu können und schon in ihren Mundwinkeln die Freude, den Ärger, das Wohlwollen aber auch die Zurückweisung zu entdecken, bevor sie überhaupt anfangen zu reden.
Und weil ich das so schlimm finde, niemanden richtig anlächeln zu können, obwohl ich das so gerne tun würde, habe ich mir eine Maske gekauft, auf der in leuchtenden Buchstaben leider nur in Englisch geschrieben steht: „I warmly smile under this mask.“ Auf Deutsch: „Ich schenke Ihnen hinter dieser Maske gerade mein wärmstes Lächeln.
Und tatsächlich lächeln die meisten zurück, wenn sie es auf meinem Gesicht entdecken. Und wir schauen uns dann noch mal eine Spur wärmer in die Augen.
Liebe Brüder und Schwestern, vielleicht brauchen wir ja heute noch mehr als sonst solche behutsamen Worte, die uns buchstäblich ins Gesicht geschrieben stehen, damit wir den Glauben an das Wohlwollen hinter den Masken nicht verlernen und uns nah bleiben.
Auch Gott zeigt uns mit eben solchen liebevollen Worten sein Gesicht. Wir hören sie deshalb am Ende jeder unserer Gottesdienste. Und eine ältere Dame meinte neulich zu mir, dass sie manchmal nur wegen dieser Worte sonntags in die Kirche käme, weil sie wie ein warmer Mantel seien, in denen sie sich die Woche über regelrecht „einkuscheln“ könne. Es ist der Segen, mit dem Gott sich seinen Geschöpfen offenbart.
Auf dem langen und anstrengenden Weg zwischen Ägypten und dem Jordantal, zwischen Gefangenschaft und Freiheit, fragt das Volk Israel nach ihm und seiner Nähe, aber er bleibt ihnen dort in der Wüste immer wieder seltsam verborgen und rätselhaft. Als es schließlich am Fuß des Berges Sinai Rast macht, ist der Gipfel wolkenverhangen. Er ist wie ein Spiegel ihrer Frage nach Gott. Aber von dort oben, aus eben dieser Wolke bringt Mose Gottes Worte mit. Worte, in denen er sich Israel zeigt als jener, der mit ihnen geht, sie führt und leitet.
Das schönste Wort aber hebt er sich bis zum Schluss auf, als Israel gerade aufbrechen will. Und ich stell mir vor, wie es mit großen Lettern quer über dieser Wolke steht, in die Gott sich immer wieder hüllt, weil wir Menschen ihn nicht fassen können. Es ist sein „I warmly smile under this mask“. Und so hören wir im heutigen Predigttext, was er durch Mose auch uns sagen lässt:
Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
Liebe Brüder und Schwestern, Gott zeigt uns in diesem Segen sein Gesicht. Und in Zeiten, wo wir nach ihm und nach dem Sinn in alldem, was wir erleben, ganz besonders fragen, sind das Worte, an die wir uns halten können, damit wir den Glauben an seine Güte ja nicht verlieren.
Es sind sechs Segensworte, die alles umfassen, was wir Menschen zum Leben brauchen: Schutz und Bewahrung, Nähe und Gnade, Zuwendung und Frieden. Zusammen ergeben sie ein wunderbares Bild: Ein Gesicht leuchtet im Dunklen und Verborgenen auf und wendet sich uns voll Liebe zu.
Es ist das Bild einer Mutter, die sich in der Nacht über das Bett ihres weinenden Kindes beugt. Das Kind sieht sie, ist getröstet und lächelt. Denn das Gesicht der Mutter leuchtet über ihm, und alles ist gut.
„Da geht die Sonne auf!“ sagen wir ja auch, wenn plötzlich Menschen vor uns stehen, an denen wir uns einfach nur freuen. Und wenn sie nicht bei uns sind, ist alles irgendwie grau und leer ohne sie. Wir sehnen uns nach ihrer Nähe. Und wenn sie dann wieder da sind, sind wir froh, ob mit oder ohne Maske. Das ist bei den Kleinen wie den Großen so.
Was wir im Deutschen mit „segnen“ übersetzen, heißt im Hebräischen „barach“. Und das hat seine Wurzel im Wort für „ansehen.“ Und wer möchte nicht angesehen sein, natürlich auch im doppelten Sinn des Wortes? Übersehen werden, tut weh und ist kränkend. Und oft ist ein warmer Augen Blick dann schon Ansehen genug.
Erlauben Sie mir eine kurze selbstkritische Anmerkung: Wir hätten als Kirche entschiedener dafür einstehen müssen, dass auch in dieser Zeit des Abstandshaltens niemand einsam sterben darf. Wir hätten uns als Kirche entschiedener einsetzen sollen für die Kranken und Alten, die in dieser schweren Zeit ohne ihre Lieben waren und teilweise immer noch sind. Und wir müssen als Kirche uns heute fragen, wen wir da womöglich aus dem Blick verlieren.
Da sind z.B. die Geflüchteten an den Grenzzäunen Europas aber auch in den Sammelunterkünften in unserem Land, da sind die vielen Kinder, die in den vergangenen Wochen ohne Schutz waren und jene in den von der Krise hartgeschüttelten Länder unserer Erde. Wir alle brauchen einander. Denn wir sollen füreinander Segen sein und uns das Lächeln weitergeben, das Gott uns zeigt, wo immer wir es wahrnehmen. Denn Gottes Lächeln wirkt in uns allen und sieht uns alle an. Diesem Lächeln der Liebe zu glauben, heißt dann nicht nur, mich selbst neu zu sehen, sondern auch die anderen. Denn sie sind ja ebenso angesehen wie ich.

Auf die Frage, was es heißt, gesegnet zu sein, antwortet der evangelische Theologe Fulbert Steffenski mit einer kleinen Geschichte, die heute wieder ganz aktuell ist. Steffenski spricht da von einem Freund, der mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert wird. Einer der Krankenpfleger, ein junger Mann von erfrischender Direktheit sagt zu dem Kranken: „Alter Graukopf, du machst jetzt gar nichts. Du denkst nicht, du bewegst dich nicht, du sorgst dich nicht.“ Der Freund sagte später: ‚Die Aufforderung des Pflegers empfand ich in diesem Moment der Gefahr wie einen großen Segen.“
Warum, wohl, liebe Brüder und Schwestern, hat der Kranke diese Aufforderung des jungen Mannes wie einen Segen empfunden? Vielleicht weil der ihn wirklich gesehen hat in seiner Angst, weil er sich ihm zugewandt und ihm Mut gemacht hat, einfach loszulassen und dem aufmunternd lächelnden Wort des Pflegers zu vertrauen mit jener Liebe, die darin zum Ausdruck kommt.
Wenn wir einander so einen Mut machen und uns segnen, versprechen wir damit etwas, das wir selbst nicht im Letzten einlösen können, weil wir es nicht in der Hand haben. Aber wir tun es trotzdem. Wie wir die Liebe wagen und das Vertrauen. Denn wir haben Gottes Zusage. Die hat er ja schon Mose, Aaron und seinen Söhnen gegeben und sagt es uns heute in diesem schlimmen Jahr 2020 ebenso: „Ich werde mit meinem Segen bei Euch sein! I warmly smile under this mask.“

Vertrauen wir seinem Wort, mit dem Gott sich uns zuwendet und uns sein Gesicht zeigt. Glauben wir ihm, dass sein Wort Mensch geworden ist, und wir ihm dort in die Augen schauen können, wo wir einander in die Augen schauen und vor lauter Wiedersehensfreude auch hinter der Maske herzlich lächeln. – Amen

Wir freuen uns auf Ihren Besuch in der Friedenskirche in Offenbach am Main.