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21 Januar
Sonntag, den 21.01.2018 09:30 Uhr Friedenskirche

Gegenbilder

Predigt zu Offenbarung 1,8-18

Meine lieben Brüder und Schwestern, der neue „Starwars“ ist im Kino. Es ist bereits der achte seit 1977. Der „Krieg der Sterne“, wie der erste auf Deutsch hieß, hat ganze Generationen geprägt. Die ehemals junge Prinzessin Leia ist mittlerweile eine alte weise Frau und Luke Skywalker ein verbitterter Greis, der aber am Ende dann doch nochmal das Ruder rumreißt.

Mein Mann und ich haben uns den Film am vergangenen Wochenende angeschaut. Und ich muss zugeben: Da ich kein ausgemachter Starwars-Fan bin, habe ich nicht alle Zusammenhänge und Anspielungen verstanden. Aber letztlich ging es doch wieder beispielhaft um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen der bösen Macht der so genannten Ersten Ordnung und der guten der so genannten Jedi-Ritter und der Aufständischen des Universums.

Eine Szene hat mich besonders berührt und nachdenklich gemacht. Rey, wie die letzte Jedi-Ritterin heißt, gerät durch eine List in die Gefangenschaft des Bösen und steht allein vor dem obersten Anführer Snoke. Weit und breit ist keine Hilfe in Sicht. Die Guten scheinen besiegt und in die Flucht geschlagen. Hinter ihr beugt Kylo Ren sein Knie. Auch er ist einer von den Bösen.

Imposant sitzt Snoke auf einem hohen Thron. Sein Gesicht ist gezeichnet von Brutalität und Gnadenlosgkeit. Mit einem Fingerschnippen demonstriert er seine Macht über Leben und Tod und er verlangt von Rey, sich in seine Dienste zu stellen. Andernfalls würde er sie töten. Aber Rey bleibt tapfer, strafft nur noch einmal mehr ihre Schultern und schaut dem Bösen in die Augen, statt sich dessen Übermacht zu beugen. Auch als Snoke sie wie einen Spielball durch die Luft wirbelt, gibt sie keinen Millimeter nach und geht schließlich völlig unerwartet als Siegerin hervor.

Und ich habe mich da mal wieder gefragt, woher Menschen eigentlich diese Kraft her nehmen, sich dem bösen Spiel zu widersetzen und wider aller Hoffnung an die Macht des Guten zu glauben?

Und wie eine Antwort auf mein Nachdenken war da für mich der heutige Predigttext aus der Offenbarung des Johannes:

„Ich aber, Johannes,“ so beginnt der Seher seinen Trostbrief an die sieben Gemeinden in Kleinasien,

„Ich, Johannes, der in der Gemeinschaft mit Jesus,

eure Bedrängnis,

eure Hoffnung auf das Reich Gottes

und eure Standhaftigkeit teilt:

die Geduld der Menschen,

die auf ihn warten:

Ich, Euer Bruder,

bin auf der Insel Patmos gewesen,

in der Verbannung,

weil ich Gottes Wort lehrte

und Jesu Zeugnis vertraute.

Es war ein Sonntag,

nach Sabbath,

die Stunden des Herrn,

als ich auf einmal

-entzückt und begeistert! Wie von Sinnen! Nicht bei mir!-

die Stimme hörte,

in meinem Rücken,

laut dröhnend wie eine Posaune:

Schreib auf, was Du siehst,

schreib’s in ein Buch

und schick es den sieben Gemeinden.

Nach Ephesus schick es, nach Smyrna und nach Pergamon,

nach Thyatira, nach Sardes, Philadelphia und Laodizea.

Als ich mich umwandte

-welche Stimme sprach da mit mir?-,

sah ich

auf einmal

die sieben goldenen Leuchter

und in ihrer Mitte

den MENSCHEN,

bekleidet, bis zu den Füßen,

mit einem langen Gewand

und gegürtet, um den Leib, mit einem Goldreif.

Sein Haupt und seine Haare: strahlend weiß

Wie schimmernde Wolle,

nein, heller noch, wie Schnee!

Die Augen: lodernde Flammen,

und seine Füße: glühendes, im Ofen zerschmelzendes Erz,

funkelnd wie Gold.

Und seine Stimme: brausend wie die gewaltigen Wasser

und das Dröhnen der Brandung.

Da! In seiner Rechten die Sterne:

Sieben!

Und sein Mund:

Ein mächtiges, doppelschneidiges Schwert.

Wie die Sonne, hoch im Zenit,

ein strahlender Ball,

so war sein Antlitz.

Als ich ihn sah,

warf ich mich nieder vor ihm,

zu seinen Füßen – wie tot!

Er aber legte die Rechte auf mich und sprach:

Hab keine Furcht.

Ich bin der Erste und der Letzte.

Der Lebendige bin ich.

Ich war tot, aber jetzt

-schau mich an!-

ich lebe wieder:

von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Die Todes- und die Höllen-Schlüssel

Sind in meiner Hand.

Meine lieben Brüder und Schwestern, der Seher Johannes sitzt auf der Insel Patmos fest. Als scharfzüngiger Kritiker des Kaisers ist er dort in der Verbannung, weitab von den Menschen, die ihm wichtig sind. Er macht sich wahnsinnige Sorgen um seine Brüder und Schwestern, um die Christen in Kleinasien. Dort, wo er zuhause ist. Ihre Situation scheint erdrückend. Das Römische Reich hat nicht nur das ganze Land besetzt, sondern auch alle Lebens- und Denkbereiche der Bürger. Von den christlichen und jüdischen Gemeinden wird verlangt, sich anzupassen und beim Kaiserkult mitzumachen. Andernfalls droht ihnen die Todesstrafe. Manche sagen: „Nur so ein kleiner Kniefall vor dem Standbild des Kaisers, was ist denn schon dabei? Wenn euch das doch rettet?“ Aber dies zu tun, hieße für die Juden wie die Christen den eigenen Glauben zu verleugnen.

Überall im Land stehen diese riesigen Statuen des Kaisers, die seine allgegenwärtige Macht demonstrieren. Niemand entkommt dem Zugriff des Römischen Reichs, sagen diese Bildnisse. Niemand kann ihm entkommen und erst recht nicht dagegen sein!

Und trotzdem haben die Gemeinden Widerstand geleistet. Und Johannes lobt ihre Standfestigkeit. Und das griechische Wort, das er hier verwendet, meint mehr als nur ein Ausharren, also den Kopf einziehen und abwarten, sondern es geht hier um aktiven Widerstand.

Aber ihre Bedrängnis ist groß und wird immer größer! Zu mächtig ist das, wogegen sie sich auflehnen. Und die Hoffnung, die sie bisher bewegt hat, droht zu verblassen.

Deshalb ist Johannes Brief an die sieben Gemeinden in Kleinasien ein Trostbrief. In ihm entwirft er für sie ein farbenprächtiges Bild nach dem anderen, damit sie bloß nicht die Hoffnung verlieren und auch weiterhin an die Macht des Guten glauben.

Und das erste, mit dem er sie trösten will, ist ein Gegenbild zu all den gewaltigen Kaiserbildern, die großformatig auf jedem Marktplatz, an jeder Straßenecke, in jede Tempel, ja, selbst in jedem Lokal und Wohnzimmer stehen. Es ist das Bild eines anderen, eines mächtigeren Königs. Ein Bild eines Königs, der alles überstrahlt. Eine Lichtgestalt, an der sie sich festhalten können. Einer, der wirklich die Macht über Leben und Tod hat, die Schlüssel zur Hölle in der Hand hält und damit auch den Kaiser in die Schranken weisen kann. Einer, der sagt: „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte!“ Es ist kein anderer, als jener, den auch die Jünger im heutigen Evangelium vor Augen hatten., und dessen Bild sie im Herzen hatten, als sie mit ihm nach Jerusalem gingen und am Kreuz sterben sahen.

Meine lieben Brüder und Schwestern, wenn ich Johannes so höre, dann frage ich mich, was wir heute für Gegenbilder bräuchten, um dem die Stirn zu bieten, was uns bedrängt und in die Knie zwingen will? Was für Gegenbilder bräuchten wir, um den Mut zu haben, Widerstand zu leisten und an das Gute zu glauben?

Treibt die Bilder mit den Bildern aus!, sagt Meister Eckhart, der große Mystiker des Mittelalters. Und er weiß, wovon er redet. Er kennt die Macht der Bilder, die wir Menschen mit uns tragen.

Und wir haben ja viele davon vor Augen. Täglich, stündlich, ja in jedem Augenblick kommen neue dazu. Wir werden mit Bildern regelrecht überschüttet. Wir sehen Bilder von Großstädten, in deren Gewirr aus Autos und Hochhäusern Menschen zur Arbeit hetzen, und wir sehen Bilder vom Klimawandel verödeter Landstriche. Wir sehen Bilder von Soldaten, die mit Maschinengewehren im Anschlag durch zerbombte Städte fahren und solche von Männern im sauberen, dunklen Anzügen, die über Krieg und Frieden verhandeln. Wir sehen Werbebilder, die Bedürfnisse wecken, die wir bisher noch gar nicht hatten und Bilder von hungernden Menschen irgendwo anders auf der Welt.

Beliebig könnten wir alle wohl diese Bildergalerie vor unserem inneren Auge fortsetzen. So ist es!, wollen sie uns sagen und zeigen, „so ist es, das Leben! So ist die Welt, in der Ihr lebt! So, und nicht anders! Findet Euch also damit ab! Richtet Euch ein! Passt Euch an!“

„Ich sehe einen neuen Himmel und eine neue Erde“, setzt der Seher Johannes dem entgegen. Er findet sich nicht ab mit den Bildern von Tod und Zerstörung, Unterdrückung und Gewalt „Ich sehe ein Land, sagt Johannes, in dem es keinen Tod mehr gibt, keine Tränen der Trauer und des Abschieds, keinen Schrei der Klage und der Angst! Weil Gott alles neu macht! Weil er allein das A und O dieser neuen Erde ist und kein Kaiser, keine Weltmacht und kein Wirtschaftssystem!

Johannes steht mit seinen Gegenbildern in einer langen Tradition der Bibel. Sie ist voller solcher Bilder. In den Arbeitslagern der Großmächte Ägyptens und Babylons, in den zerstörten Städten Judäas und Israels beschwören die Propheten von je her diese wunderbaren Gegenbilder. Sie richten sich nicht ein in dem, was nicht zu ändern ist. Sie widersprechen den Bildern, die die Welt in oben und unten unterteilen. Sie malen neue – auf die Straßen, auf die Betonwände der Hochhaussiedlungen, an die Maschendrahtzäune der Ghettos. Sie malen neue Bilder von einem Land, in dem die Lahmen tanzen, die Stummen singen, die Gebeugten aufrecht gehen werden und in dem die Früchte so groß sind, dass alle genug zu essen haben.

Israel hat diesen Bildern geglaubt und den Aufbruch durch die Wüste in das Land der Verheißung gewagt. Es hat mit den neuen Bildern vom Land der Verheißung, in dem alle frei sind, jene alten Bilder vertrieben, die sie klein gemacht und ihnen alle Hoffnung geraubt haben.

Als Christen stehen wir in dieser Tradition. Auch wir leben mit diesen Gegenbildern in unseren Herzen, die uns einen neuen Himmel und eine neue Erde verheißen. Und es ist an uns, über diese Bilder zu sprechen, sie weiter auszumalen, solange bis sie endlich Wirklichkeit werden.

Der Dichter Fritz Deppert hat mit dem folgenden Gedicht „Neunundneunzig Namen“ gezeigt, wie das gehen könnte:

Ich erfinde

Neunundneunzig Namen für Hoffnung,

ich nenne sie Stuhl, Tisch, Bett,

Brot, Kaffee, Wein,

Regen, Sonne, Gewitter,

Schmerz, Gesundheit,

Liebe, Schlaf, Vogel, Baum, Kind.

Ich erfinde neunundneunzig Namen

für Menschlichkeit dazu

und notiere sie

in meinem Taschenkalender.

Am Jahresende übertrage ich sie:

Elfter Januar,

Verteuerung der Grundnahrungsmittel

löscht nicht die Erinnerung

an die Geste des Brotbrechens;

Zwölfter April,

Militärdiktatur

verhindert nicht das Gewitter,

das die Luft über der Stadt

reinigt;

Dreizehnter Oktober,

Folter

tilgt nicht den Geschmack

eines Kusses von den Lippen.

Hoffnung, Menschlichkeit:

Hunger und Angst und Gewalt

werden

in das Museum für untergegangene Wörter

gehören.

Liebe Brüder und Schwestern, wir erwarten einen neuen Himmel und eine neue Erde! Aber wir erwarten sie nicht nur für uns. Wir erwarten sie für alle Menschen, ja für die ganze Welt.

Und wir sollen selbst zu Bildern dieses neuen Himmels und dieser neuen Erde werden, nämlich zu Ebenbildern Jesu Christi! Liebt einander!, sagt Jesus deswegen zu uns. Damit alle erkennen, dass Ihr zu mir gehört! Damit alle sehen können, dass das Reich Gottes schon angebrochen ist hier und jetzt, mitten unter euch! Vertreibt durch Eure Liebe die Bilder des Todes, der Gewalt, des Krieges und des Unrechts!  Lebt als Kinder meines und eures himmlischen Vaters!

Und wo wir das sind, liebe Brüder und Schwestern, entstehen die Bilder, die wir brauchen, um jene auszutreiben, die uns in die Knie zwingen und uns die Hoffnung rauben wollen, dass die Liebe und das Leben stärker sind als der Tod und seine bösen Mächte!

Es braucht doch gar nicht so viel dafür, dass die Hoffnung wieder grünt und blüht! Es reicht oft schon, sich an ihre neunundneunzig Namen zu erinnern und an das gemeinsame Brechen des Brotes, das wir doch in jedem Abendmahl miteinander teilen, damit wir im Alltag daraus leben können.

Liebe Brüder und Schwestern, am Ende des neuen starwars-Films sieht man ein kleines Kind, das erst in den Sternenhimmel schaut und dann auf seine Hand, die das Symbol der guten Macht, einen Phönix aus Bronze, fest umschlossen hält. Das Böse wird nicht siegen, sagt dieses letzte Bild, solange es auch nur einen Menschen im Universum gibt, der an das Gute glaubt und an die Macht der Liebe! Solange hat der Tod nicht das letzte Wort und die Hoffnung leuchtet in der Finsternis.Amen

 

Pfarrerin Henriette Crüwell, 21. Januar 2018

 

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