Evangelische Kirche in Hessen und Nassau Jetzt folgen
Haben Sie Fragen?
09 August
Sonntag, den 09.08.2020 09:30 Uhr Friedenskirche

Redet! Schweigt nicht!

Predigt zu Jeremia 1

Liebe Brüder und Schwestern, seit Beginn der Pandemie wird der Kirche immer wieder vorgeworfen, dass sie zu wenig geredet und zu viel geschwiegen habe. Wenn ein Virus mal eben die Welt aushebelt, müsste das doch ihre Stunde sein. So wie früher, als die Pest wütete oder die Spanische Grippe. Da war sie es doch, die mit Bittprozessionen, praktischer Nächstenliebe und feurigen Predigten den Menschen in ihrer Not und Angst Halt gab. Heute aber, so der Vorwurf, hätte sie nichts mehr zu sagen. „Wo seid Ihr?“ titelte auch die Süddeutsche vor einigen Tagen und fragte, was es den Menschen wohl bedeutet hätte, wenn die Kirche in den vergangenen Monaten klarer und deutlicher zu ihnen gesprochen hätte. Über ihre Angst, über ihre Trauer und über die Frage, wo Gott eigentlich gerade ist.

Liebe Brüder und Schwestern, mich beschäftigt dieser Vorwurf sehr. Weil ich das anders erlebt habe und immer noch staune, mit wie viel Einfallsreichtum und Engagement viele Gemeinden vom ersten Tag an auch in den langen Wochen des Lockdowns den Menschen nahe waren. Vielleicht nicht mit Bittprozessionen aber doch mit Kerzen im Fenster und Glockengeläut, nicht mit feurigen Predigten von der Kanzel herab aber doch zeitgemäß mit Video- und Telefongottesdiensten. Ganz zu schweigen von den vielen Netzwerken und Nachbarschafthilfen, die quasi über Nacht entstanden sind. Ist das nicht auch Kirche? Ja, sind wir nicht alle Kirche? Zumindest nach protestantischem Verständnis sind ja nicht nur durch die Bischöfe, die Pfarrerinnen und Amtsträger, sondern alle Getauften dazu berufen, von Gott zu reden und der Welt Zeugnis zu geben für das Evangelium.
Wo also, liebe Brüder und Schwestern, hätten wir alle miteinander noch lauter und entschiedener sprechen müssen?

Nicht nur als Pfarrerin frage ich mich das. Was hätten wir als Glaubende heute von Gott her zu sagen, was könnte sein Wort für uns heute sein? Und ich gebe offen zu: Ich finde diese Fragen gerade nicht einfach zu beantworten. Alle Versuche, die Pandemie theologisch zu deuten, überzeugen mich nicht. Ich kann darin keinen Sinn erkennen. Und mir fehlen schlicht immer wieder die Worte angesichts der Herausforderungen, vor denen wir jetzt stehen. Da ist so vieles, was mich sprachlos macht.

Aber dann höre ich den Predigttext für den heutigen Sonntag und merke mit einem Mal, dass es anderen vor uns genauso erging. Selbst die wortgewaltigen Propheten waren nämlich manches Mal sprachlos und wussten nicht weiter. Und sie haben ihre Erfahrungen für uns aufgeschrieben, damit wir uns daran halten und daraus lernen können, wie wir wie sie schon vor in einer schwierigen Situation das rechte Wort finden. Und so lesen wir heute beim Propheten Jeremia im 1. Kapitel:
Des HERRN Wort geschah zu mir:
Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.
Ich aber sprach: Ach, HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.
Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.
Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.

Liebe Brüder und Schwestern, „das Wort des Herrn geschah mir“, das ist schon der ersten Spitzensatz. Das Wort Gottes ist nicht irgendwo, dass wir es krampfhaft suchen müssten, sondern es kommt zu uns, wenn wir es geschehen lassen.
„Was soll ich denn sagen? Ich bin doch viel zu jung,“ antwortet Jeremia, als Gott ihm aufträgt, in seinem Namen zu den Menschen zu sprechen. Und wenn ich im Buch des Propheten Jeremia weiterblättere und lese, was er alles seinen Leuten von Gott ausrichten muss, kann ich gut verstehen, dass er sich dem allem erstmal nicht gewachsen fühlt. Denn für das, was hier auf dem Spiel steht, ist jeder zu jung, ist jeder buchstäblich am Anfang und muss sich erst langsam herantasten. Ich vermute mal, in gewisser Weise haben wir alle schon – sicher in unterschiedlichem Maße – solche Situationen erlebt, in denen wir reden müssen, aber es eigentlich nicht können. Und uns alles über den Kopf wächst, weil die Gefahr besteht, missverstanden zu werden oder gegen die Wand zu reden.

Gott aber wischt den verzagten Einwand seines Propheten schroff zur Seite. Sage nicht, dass Du zu jung bist. Sage nicht, dass Du nichts zu sagen hast. Fürchte Dich nicht, sondern hör auf mich und vertrau mir! Denn ich bin bei Dir. Ich lege Dir meine Worte in den Mund!
Und Jeremia lässt sich dieses Gottes Wort geschehen. Er vertraut ihm.

Liebe Brüder und Schwestern, auch wir dürfen uns auf Gott verlassen. Auch wir müssen nicht alles aus eigenem Vermögen reden, tun und machen. Wir dürfen es gut sein lassen. Alles andere führt wirklich nur in die Überforderung oder wird nichts anderes als leeres Gerede, das niemandem was bringt.

„Ich lege Dir meine Worte in den Mund,“ sagt Gott auch zu uns. Das ist der Perspektivwechsel, den auch wir heute immer wieder brauchen, wenn uns die Worte fehlen. Wir finden sie, wenn wir auf ihn hören. Und vielleicht ist es für uns jetzt einfach mal dran, erst genau hinzuhören, gemeinsam in der Bibel zu lesen, zu beten, still zu werden und uns so zu öffnen für seine Gegenwart in uns und unserer Welt, bevor wir wieder mit dem Reden beginnen.

Gott legt auch uns seine Worte in den Mund. Und sie schmecken nach Leben, nach Trost, nach Vertrauen und nach Hoffnung. Er selbst ist ja das lebendige Wort. Und in der Taufe haben wir ihn empfangen. Sein Wort, sein Christus ist in uns. Auch in den schwierigsten Zeiten. Durch ihn leben wir und haben schon jetzt Anteil an seinem Leben, dem der Tod nichts anhaben kann.

Wenn wir auf ihn hören, liebe Brüder und Schwestern, fangen wir vielleicht als Glaubende an, von diesem Leben zu erzählen, das so viel mehr ist als das pure Überleben, das Gemeinschaft ist und Liebe, Frieden und Gerechtigkeit. Und ich bin ganz sicher, dass wir alle davon erzählen könnten. Denn selbst in den schlimmsten Zeiten gibt es diese Momente, wo das Herz leicht wird einfach so und die Mundwinkel nach oben gehen auch einfach so, weil uns jemand über den Rand seiner Maske hinweg anlächelt, berührt, ermutigt und wir tief drinnen spüren, dass im Letzten doch alles gut ist.

Ja, liebe Brüder und Schwestern, vielleicht hätten wir in den letzten Monaten tatsächlich mehr davon reden sollen, was unser Leben im Letzten ausmacht. Als Menschen in den Heimen und Krankenhäusern einsam starben, weil weder ihre Angehörige noch ein Seelsorger zu ihnen durften, hätten wir als Kirche entschiedener für sie da sein müssen.

Ja, vielleicht müssten wir heute mehr davon reden, was das Leben im Letzten ausmacht, wenn die Schulen und Kindergärten und Universitäten nach der Ferien hoffentlich wieder öffnen, wenn unsere Nachbarn das Einhalten der Hygieneregeln und die lästigen Alltagsmasken für eine unzumutbare Einschränkung halten und immer dann und überall dort, wo es darum geht, das Schöne und Gute über all den Sorgen, die uns beschäftigen, zur Sprache zu bringen und uns die Freude am Leben nicht nehmen zu lassen.

Aber, liebe Brüder und Schwestern, vor allem Reden, steht das Hören. Wir dürfen nicht schweigen. Aber die Worte, die jetzt gut tun, kommen aus der Stille. Und ob es Gottes Worte sind, erkennen wir daran, dass wir sie füreinander finden, dass wir mit ihnen einander trösten in der Angst, aufrichten im Kummer und uns allen das Herz leicht wird durch sie. Oder wie es die alten Weisheitslehrer zu sagen pflegen: Gottes Wort ist dort, wo Glaube, Liebe und Hoffnung wachsen. Und es ist dort, wo zwei oder drei in seinem Namen beisammen sind.

Und wo wir, jeder und jede Einzelne von uns, auf ihn hören und seine Worte allen weitergeben, die sie brauchen, da redet die Kirche auch heute. Weil wir dann nämlich Gott die Ehre geben, der doch mitten unter uns ist. Immer. In jedem Augenblick. Er ist der Schatz. Er ist die Perle. Gibt es eine größere Freude, als ihn zu finden?
Amen

Pfarrerin Henriette Crüwell

Wir freuen uns auf Ihren Besuch in der Friedenskirche in Offenbach am Main.