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27 März
Sonntag, den 27.03.2022 09:30 Uhr Friedenskirche

Nur ein Traum?

Predigt zu 2 Kor 1,3-7

Seit dem 24.Februar 2022 habe ich einen Traum, liebe Brüder und Schwestern. Sogar einen richtig großen Traum!

Mein Freund Uwe hat ihn mir an jenem schwarzen Donnerstag mitten ins Herz gepflanzt: „Was wäre,“ sagte er, „wenn jetzt aus allen Ländern Europas eine Million oder besser: 2 oder 3 Millionen Menschen gemeinsam nach Kiew gehen würden. Und der Papst, der Dalai Lama, Großimame und Bischöfinnen, Politikerinnen und bekannte Künstler vorneweg. Dagegen könnte doch Putin nichts mehr ausrichten? Wäre, wenn wir alle friedlich zusammenstünden, dann der Krieg nicht ebenso schnell vorbei, wie er begonnen hat? Aber das ist wirklich vielleicht zu rosarot gedacht!“

Denn es ist ja auch total verstörend, wie mittlerweile auch bei uns wieder auf allen Sendern ungeniert über die neuesten Waffensysteme diskutiert wird. Und alle, die nach Möglichkeiten des zivilen Widerstands suchen,  geraten schnell Verruf, doch nur in einer rosaroten Zuckerwattenwelt zu leben.

Bei der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen 1948 in Amsterdam hatten alle dort Versammelten noch unter dem Eindruck der Schrecken des 2. Weltkriegs einmütig bekannt: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ Aber nun ist wieder Krieg in Europa. Ganz zu schweigen von all den unzähligen Kriegen anderswo. Und die Frage, was wir als Christen für den Frieden tun können, stellt sich uns heute wieder neu. Und es wird nicht die letzte Frage sein.

Die Visiom des Freundes begleitet mich mittlerweile seit über vier Wochen und ist nun auch zu meiner geworden. Nacht um Nacht und Tag um Tag. Und ich merke, wie alt, ja wie uralt dieser visionäre Traum doch ist. Den hatte ja schon der Prophet Jesaja vor vielen hundert Jahren- Er sah die Völker nach Jerusalem hat ziehen, nicht mit Schwertern, sondern mit Pflugscharen in den Händen. Und über die Grenzen hinweg hielten sich im August 1989 2 Millionen Letten, Esten und Litauern 600 Km für Freiheit und Frieden fest an den Händen. Als baltischer Weg ging diese Menschenkette in die Geschichtsbücher ein.

Und mitten durch den Krieg waren sie gerade eben nach Kiew unterwegs, die drei Ministerpräsidenten. Aber auch unzähligen Freiwilligen aus aller Herren Ländern, die immer und immer wieder an die Grenze der Ukraine fahren, um von dort Frauen, Männer, Kinder in Sicherheit zu bringen. Auch sie hoffen und träumen und träumen und hoffen so wie damals auch Martin Luther King.

Liebe Brüder und Schwester, auch wir hier in der Friedenskirche knüpfen nach Kräften an diesem Netz mit. Gemeinsam mit all jenen, die sich in ihrer Heimat russischen Panzern entgegenstellen, aber auch mit den Russinnen und Russinen, die sich nicht vereinzeln lassen, sondern sich in Gefahr begeben und gemeinsam auf die Straße gehen, um diesen elenden Krieg beim Namen zu nennen für jenen Frieden den sie hatten.

Mir macht ihr Mut Mut, liebe Brüder und Schwester. Das ist mein Trost, das ist unser aller Trost in schwerer Zeit.  Dogar der einzig mögliche. Und es sind ja nicht nur Menschen, die trösten. Was für ein unglaublicher Trost ist es auch, dass am Morgen die Sonne aufgeht und am Abend unter, dass die Vögel die Kehle aus dem Hals singen und der See sein Lächeln nicht verloren hat. Und niemand mehr sagt den dummen Spruch: „Das Leben geht weiter.“ Aber man spürt es im Strahl der Sonne, im Spiel des Schattens und in der Farbe der Rose: Die Welt ist untergegangen, und sie ist nicht untergegangen. Das Leben zeigt jeden Tag und immer und immer wieder aufs Neue, dass es nichts anders kann als trotz allem zu leben. In diesen Trost sind wir Menschen sind in diesen Trost miteinander verbunden über alle Grenzen hinweg. Und damit leisten wir damit auch allen leider so hässlich wieder neu erwachten so genannten vaterländischen Kräften Widerstand, die uns auseinanderbringen und voneinander abgrenzen wollen. Ein Student aus der damaligen DDR, der beim baltischen Weg kurzentschlossen in Riga mitgemacht hat, schreibt in der Rückschau: „Dass man nicht allein ist, dass das überall passiert, und die Leute aufstehen, hat meine Perspektive völlig verändert.“

Liebe Brüder und Schwestern, um diesen Trost, den wir empfangen, indem wir ihn auf unsere Weise weitergeben, um dieses tröstliche Netzwerk, das wie ein doppelter Boden unter uns aufgespannt ist, geht es auch Paulus in seinem zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth. Und er weiß auch, woher jene Kraft kommt, die wir dazu brauchen. Und deshalb hat  er den Christen zu allen Zeiten, also auch uns heute, ins Stammbuch geschrieben:

Gepriesen sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus! Denn er ist ein Vater, der sich erbarmt, und ein Gott, der auf jede erdenkliche Weise tröstet und ermutigt. In allen unseren Nöten kommt er uns mit Trost und Ermutigung zu Hilfe, und deshalb können wir dann auch anderen Mut machen, die sich ebenfalls in irgendeiner Not befinden: Wir geben ihnen den Trost und die Ermutigung weiter, die wir selbst von Gott bekommen. Genauso nämlich, wie wir in ganz besonderem Maß an den Leiden von Christus teilhaben, erleben wir durch Christus auch Trost und Ermutigung in ganz besonderem Maß. Wenn wir also Nöte durchmachen, geschieht das, damit ihr die mutmachende und rettende Kraft Gottes erlebt. Und wenn wir getröstet und ermutigt werden, bedeutet das auch für euch Trost und Ermutigung; es hilft euch, standhaft die gleichen Leiden zu ertragen wie wir. Deshalb sind wir voll Hoffnung und Zuversicht, wenn wir an euch denken, denn wir wissen: Genauso, wie ihr an den Nöten teilhabt, habt ihr auch an dem Trost und der Ermutigung teil.

Liebe Brüder und Schwestern, warum ist das „Hohelied der Liebe“ eigentlich so viel bekannter und beliebter als dieses „Hohelied des Trostes“, das wir eben gehört haben?

Vielleicht weil uns das Wort „Liebe“ viel glatter über die Lippen geht als das Wort „Trost“? Vielleicht weil uns beim Trost zuerst mitleidige Blicke, Trostpflaster und Taschentücher, Tränen und Traurigkeit einfallen?

Dabei sind die Menschen doch eigentlich dem Trost näher als der Liebe, diesem oft so unerreichbarem Übergefühl, mit dem sie sich schwertun

Wir brauchen also den Trost, liebe Brüder und Schwestern, um wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Und wir erleben jetzt Zeiten, wo sogar ein ganzer Kontinent, ja fast die ganze Welt diesen Trost mehr braucht als je zuvor. Erst die Pandemie, dann die drohende Klimakatastrophe und nun noch dieser unselige Krieg. Ein bedrückendes Verstummen breitet sich aus. Ich kann es auch für mich nicht so einfach abtun. Aber auch für mich ist Trost plötzlich als etwas ganz Elementares. Etwas, dessen wir plötzlich alle bedürfen. Er ist das erlösende Wort in einer verstummenden Welt. Er ist die Hand, die Dich auf wunderbare Weise hält. Und mich auch. Er ist der Boden, auf dem wir alle stehen und gemeinsam die nächsten Schritte gehen können. Und auch Paulus ist davon tief überzeugt, dass niemand anderes als Gott selbst dieser tröstliche Boden ist, die Hand, die uns festhält, das erlösende Wort. Denn er ist ja, wie Paulus bekennt, der Gott allen Trostes, der unsere Schritte immer wieder lenkt auf den Weg des Friedens. Weil seine Gedanken über uns die Gedanken des tröstenden Friedens sind. Und wie macht er das?

Auch darauf hat der Apostel eine Antwort. Gott zeigt uns seinen Sohn. Er zeigt uns, wo er in unserer von Gewalt beschädigten Welt trotz allem zu finden ist. Gott bleibt nie außen vor. In jenem Menschen auf Golgatha ist er für alle Zeiten an der Seite aller, die aus lauter Kummer und Verzweiflung keinen Trost mehr haben. „In allen unseren Nöten kommt er uns mit Trost und Ermutigung zu Hilfe, und deshalb können wir dann auch anderen Mut machen, die sich ebenfalls in Not befinden: Wir geben ihnen den Trost und die Ermutigung weiter, die wir selbst von Gott bekommen,“ schreibt Paulus und dem ist doch eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, liebe Brüder und Schwestern. Hand in Hand wird dieser Trost, der am Kreuz seinen Anfang nahm, seit mehr als 2000 Jahren weitergegeben. Dazu bekennen wir uns doch Sonntag für Sonntag nicht nur hier in der Friedenskirche, sondern auf dem ganzen Erdenrund. Wir glauben an die Gemeinschaft der Heiligen! Und dieser Glaube ist kein rosaroter Traum, liebe Brüder und Schwestern, sondern jene Wirklichkeit, zu der Gott uns berufen hat und auf die wir immer wieder sehnlichst hoffen.

Hören wir nicht auf, mit Gott zusammen diesen Traum zu träumen. Damit sein Frieden unser Frieden wird. Ein Friede, der über den Trost, den wir einander geben ,Wirklichkeit wird.

Und so bewahre der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, unsere Herzen und Sinne fest in Christus Jesus.

Amen

Wir freuen uns auf Ihren Besuch in der Friedenskirche in Offenbach am Main.