Arrivals am Flughafen und anderswo

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Arrivals am Flughafen und anderswo

# Predigt

Arrivals am Flughafen und anderswo

Liebe Gemeinde, 

wie ist das, wenn Sie abends in der Ankunftshalle des Frankfurter Flughafens stehen? Sagen wir, Sie warteten auf einen Freund oder eine Freundin - oder sagen wir: Sie warteten auf Ihr Kind, das eine längere Zeit im Ausland war, ein Jahr in Kanada oder in Lateinamerika oder Australien. Und nun stehen Sie da vorm Gate, starren auf die Anzeigetafel, ob das Flugzeug pünktlich landet … – es landet pünktlich. Sie rechnen aus, wie lange es wohl der Weg vom Flieger zum Gepäckband dauert – … eine Viertelstunde vielleicht. Nach 20 Minuten korrigieren Sie nach: Vielleicht saß ja das Kind weiter hinten im Flugzeug und kam nicht so schnell raus. Die ersten Menschen aus dem Flieger verlassen das Gate und werden begrüßt. Sie warten nervös. Wie sich das Kind wohl verändert hat? Was es wohl an hat? Wie es uns begrüßen wird, freut es sich, wieder zuhause zu sein?

Was haben Sie dabei? Ein Transparent vielleicht? „Welcome back, Emil!“ – „Willkommen zuhause, Sophie!“ Haben Sie ein Willkommensgeschenk vorbereitet, Papierschlangen, Willkommensmusik? 

Und dann steht das Kind vor Ihnen. Sie fallen einander in die Arme, drücken das Kind fest an sich. Oder halten Sie das Kind vor sich und schauen es sich erst einmal an? Nehmen Sie Veränderungen wahr, wollen Sie Veränderungen wahrnehmen? Heute haben Kinder und Eltern in der Zwischenzeit oft schon so viel telefoniert, so viele Videocalls gehabt, dass Sie sowieso alles voneinander wissen. Da ist kaum noch Platz für Überraschungen.  

Kommunikation über weite Distanzen macht es leichter Kontakt zu halten. Wir müssen einander nicht mehr völlig loslassen, nicht mehr völlig freigeben. Entsprechend geringer fällt am Ende die Veränderung aus: Was ist dir in der Zwischenzeit zugestoßen? Was hast du alles erlebt? Was ist aus dir geworden? Man hat es live alles miterlebt. 

Aber eigentlich gehört die gespannte Erwartung zum literarischen Motiv der Ankunft: Was ist der Ankommende für ein Mensch geworden – verstehen wir uns noch – können wir an Früheres anknüpfen? Und für den Ankommenden: Wie hat sich mein Zuhause verändert – ist alles noch beim Alten – kann ich an Altem anknüpfen – will ich das überhaupt, oder will ich als veränderter Mensch ankommen und wahrgenommen werden?

Die gespannt erwartete Ankunft eines Menschen ist ein altes, wiederkehrendes Motiv. Wohl kaum eine Ankunft ist in der Geschichte der Menschheit so gespannt beschrieben worden, wie die Ankunft der Braut und des Bräutigams bei der Hochzeit.  

Und das wiederum lag daran, das über Jahrtausende die Ehen von Kindern arrangiert wurden. Es waren Zwangsehen, und davon speisen sich altertümliche Vorstellungen von der Ankunft des Bräutigams oder der Braut. 

Jahrtausende lang haben Eltern die Ehen ihrer Kinder geschlossen, zumindest mussten die Eltern zustimmen – und die jungen Leute, die aufeinander heiß waren, hat man voneinander ferngehalten, damit sie keinen Unfug machen. 

Das ist seit zwei, drei Generationen Geschichte, seit es brauchbare Verhütungsmethoden gibt, und seit Kinder und Jugendliche in den Schulen über die Sexualität aufgeklärt werden. 

Aber Jahrtausende warteten Brautleute vor der Hochzeit auf die Ankunft des Ehepartners, und in vielen Ländern der Welt ist das heute noch so. Wer sich noch gar nicht kennt, fragt sich: Wie wird er sein, wie wird sie sein? Wie riecht er oder sie aus der Nähe? Ist er grob oder zärtlich? Ist sie verängstigt oder freut sie sich? Wie fühlt er oder sie sich an? Mal geht es gut, mal nicht. Die erste Nacht mit einem fremden Menschen im Bett – für uns eine grauenvolle Vorstellung. Für die Menschen, die es erleben heißt das: gespannte Erwartung, Hoffen und Bangen, was passiert, etwas Großes, Bedeutendes? Vermutlich endet die erste Nacht nicht selten mit einer bitteren Enttäuschung.  

All das erscheint uns aus heutiger Sicht wie ein Horror: die Vorstellung, ich werde mit einem fremden Menschen verkuppelt und muss den Rest meines Lebens mit ihm verbringen. Ein Glück, dass diese Zeiten vorbei sind. Dass wir frei sind zu wählen, mit wem wir unser Leben verbringen wollen. Dass wir uns aneinander gewöhnen können, uns ausprobieren können, bevor wir uns füreinander verpflichten. 

Aber etwas von dem Moment der Ankunft bleibt, wenn junge Paare heute heiraten: Wie wird es sein, wenn wir uns füreinander verpflichten und uns das Versprechen geben, füreinander da zu sein? Wie gestalten wir unser Leben, wir kommen wir über die Jahre, über so lange Zeit miteinander aus? Wird uns die Zweisamkeit gelingen? Werden wir unserer Verantwortung füreinander gerecht – wenn es darauf ankommt und wir den anderen unterstützen müssen, in persönlichen Krisen, nach einem schweren Unfall, in Krankheit, im Sterben? 

Die Ankunft des Bräutigams, der Braut mag ein altertümliches Motiv sein. Aber irgendwie bleibt dieses Motiv präsent in unseren Hinterköpfen als ein Moment der Spannung, Erwartung und Hoffnung, alles möge gut ausgehen.  

Ankunft ist ein Moment der Gespanntheit und der Neugier und des Bangens. Wir übertünchen die Offenheit der Situation mit Feierlichkeit, als wüssten wir, was uns erwartet, als könnten wir den Moment planen, mit schönen Transparenten und schönen Ritualen, mit einer Feier, die ein Leben lang in Erinnerung bleiben soll, mit eine tollen Location, schöner Tischdeko und netten Gästen, oder vielen Gästen, oder Gästen, die ihrerseits uns mit tollen Showeinlagen überraschen. Wir malen uns den Moment in unseren Gedanken aus, und je weniger Überraschung wir zulassen, je größer die Erwartung, desto größer die Gefahr der Enttäuschung: Das Wetter spielt nicht mit, die Location ist ein Flop oder die Hochzeitsgäste haben sich ein doofes Spiel für die Brautleute ausgedacht. 

Wir wollen alles im Griff haben. Aber letztlich ist der Moment der Ankunft doch ein passiver Moment. Und das genau ist es, was ihn das Warten so angespannt macht, was das langsame Verstreichen der Zeit beim Warten so unerträglich macht. Wir kommen nicht klar mit der Passivität. Man ist wehrlos.

Es gibt noch andere Momente der Ankunft: Die Ankunft eines Superstars. Teeniefans versammeln sich vor der Konzerthalle. Sie hoffen, dass ihr Star an dem Eingang, wo sie gleich hinter der Absperrung stehen, vorbeikommt. Sie schreien begeistert, wedeln mit Transparenten, hoffen, dass der Star sie sieht. Und wenn sie zu viel schreien, fallen sie in Ohnmacht. 

Man schaut sich das befremdet an und denkt: Was für ein tragischer Fall von Projektion. Was übertragen diese Teenies nicht alles auf den Star, den sie verehren! Was übertragen sie nicht alles an eigenen Wünschen und an Fantasien und an Idealisierungen! Als ob irgendeine dieser Projektionen, irgendeiner dieser Wünsche eine Chance auf Erfüllung hätte! Man durchschaut das Spiel, aber trotzdem funktioniert es immer wieder. 

Das Spiel „Ankunft eines Stars“ hat auch schon vor 2000 Jahren funktioniert. Nur dass man damals die Kleider, die man sich vom Leib riss, vor dem Star ausbreitete wie einen roten Teppich. 

Auch auf Jesus von Nazareth hat man viele Träume und Illusionen projiziert. „Hosianna“, schrie die Menge noch am Sonntag. Am Freitag darauf schrie sie „Kreuzige“. Da war es mit den Projektionen auf einmal vorbei.

Die Ankunft, die uns dieser Tage aber beschäftigt, ist die eines Kindes. Es ist die Ankunft, die LaCapella 2.0 mit den Marienliedern besingt. Und sie ist tatsächlich so, wie auch heute die Ankunft eines Kindes ist: voller Erwartung und voller Überraschung. Wohl kaum eine andere Ankunft ist so sehr das geblieben, was sie in Wirklichkeit ist: ein passives Geschehen, dessen Ausgang niemand wirklich steuern kann. 

Gewiss, heute versuchen wir alles, um das Überraschungsmoment gering zu halten. Wir schließen mit Voruntersuchungen so gut es geht aus, dass es zu unnötigen Fehlentwicklungen kommt – und das ist ein Segen, dass wir das tun können. Wir lassen das Fruchtwasser nach möglichen Erbkrankheiten untersuchen. Wir lassen das Geschlecht des Kindes bestimmen. 

Aber der Moment der Geburt bleibt ein Moment der Unverfügbarkeit, vor allem aber der Passivität. Und deshalb noch immer ein überwältigender Moment. 

Und ich glaube das ist es, wofür der erste Advent steht: Lass zu, dass an dir etwas geschieht! Komm aus deiner Sicherheitshaltung heraus, aus der Illusion, du könntest alles im Griff haben und alles steuern! Traue dir Passivität zu! Lass zu, dass etwas dich verändert! Und trau Gott zu, dass er es gut mit dir meint!

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit – so lautet das erste Lied im Gesangbuch – und das erste Lied, dass wir heute gemeinsam gesungen haben. 

Mach die Tür zu deinem Herzen auf. Versuche gar nicht erst, alles mit perfekter Planung in den Griff zu bekommen. Sondern lass dich auf Überraschungen ein. Vor allem aber: Lass dich von dem, der da kommt, überraschen. Du kannst nicht alles im Voraus wissen, wirklich nicht. Halte die Spannung aus. Dann kommt der Heiland auch zu dir. Ganz bestimmt. 

Amen.

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