Predigt am Totensonntag 2022

Predigt am Totensonntag 2022

Predigt am Totensonntag 2022

# Predigt

Predigt am Totensonntag 2022

Liebe Gemeinde, kennen Sie das? 

Sie gehen mit ihrem Kind – oder Enkelkind – einkaufen, und vorne an der Kasse, genau da, wo die Supermarktleiterin die sogenannte Quängelware ausgelegt hat, geht es los: „Mama, Papa, Oma, Opa, kann ich das haben? Bitte, bitte. Ich habe so einen Hunger. Ich sterbe gleich. Du musst mir das jetzt kaufen. Jetzt! Sofort!“ 

Sie sind müde vom Tag. Sie könnten jetzt konsequent sein, exakt so, wie Sie sich das immer vorgenommen haben. Mit anderen Worten: Sie könnten jetzt einen riesigen Tobsuchtsanfall provozieren. 

Sie können aber auch einfach nachgeben. Was soll’s? Sie ersparen sich und dem Kind eine unangenehme Situation. Das Kind wird gleich mit schokoladenverschmiertem Mund neben ihnen nach Hause trotten. Aber es ist ruhig. Und ihre Nerven intakt. 

Kennen Sie das? 

Jesus erzählt ein Gleichnis von einem Richter. Dieser Richter ist ein übler Gauner. Er respektiert weder Gott noch Menschen. Ihm ist alles egal. Aber dann kommt eine Witwe, die bittet und quängelt. Und selbst dieser harte, erbarmungslose, weil völlig gleichgültige Richter kann schließlich nicht „nein“ sagen. 

Das Gleichnis steht im Lukasevangelium, Kapitel 18, Verse 1 bis 8. Es ist der Predigttext für den heutigen Sonntag. Und ich lese Ihnen diese Verse in der Übersetzung der revidierten Lutherbibel vor: 

Jesus sagte ihnen ein Gleichnis davon, dass man allezeit beten und nicht nachlassen sollte, und er sprach: "Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam immer wieder zu ihm und sprach: 'Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!' Und der Richter wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: 'Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.' Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte aber Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er bei ihnen lange warten? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze."

Warum erzählt Jesus diese Geschichte? Eigentlich möchte er nur erklären, wie das ist mit dem Beten, und dass man nicht nachlassen soll. Und dazu erzählt er das Beispiel von diesem ungerechten Richter, den man nur lange genug bearbeiten und lästig werden soll, damit er endlich einlenkt und seine Arbeit ordentlich macht. Und er will damit sagen: Wenn sich schon ein gottloser Richter durch Beharrlichkeit dazu bringen lässt, dass er dir Recht schafft – um wie viel mehr wirst du dann Gott dazu bringen. Es geht in dieser Geschichte also um das anhaltende Gebet.

Haben Sie heute schon gebetet? 

Am Anfang dieses Gottesdienstes haben wir schon eine ganze Reihe von Gebeten gesprochen. Aber es waren Gebete, die ich für uns vorbereitet habe. Vielleicht sprechen Sie jeden Abend ein Gebet, vielleicht auch jeden Morgen. Das sind gute Gewohnheiten, den Tag damit zu enden, dass man noch einmal alles ins Zwiegespräch vor Gott bringt, alles, was an diesem Tag geschehen ist, was froh gemacht und was belastet hat. Vielleicht danken Sie mit einem kleinen Tischgebet vor jedem Essen für das, was Sie zum Leben haben. Ein Dank, der die Erinnerung wachhält an Zeiten der Not, als es gar nicht selbstverständlich war, dass es etwas zu Essen gab. 

Aber es gibt auch andere Gebete. Nämlich Gebete aus der Not heraus. Dringliche Gebete. Bettelnde Gebete. Verzweifelte Gebete. Gebete, mit denen Sie drängeln, fast schon wie es das Kind im Supermarkt oder die Witwe vor dem gleichgültigen und ebenso hartherzigen Richter. Aber diesmal ist es Ihr Drängeln, Ihre Ungeduld, Ihre Not. Kennen Sie das?

Vielleicht war es einmal die Sorge um Ihren Partner, Ihre Partnerin in schwerer Krankheit. Sie flehen, dass Ihr Partner überlebt, dass Sie das gemeinsam schaffen, dass es irgendwie weitergeht. Und dann? Was passiert? Sie warten darauf, dass ihre Bitten und Wünsche erhört werden und Taten folgen.

Im Idealfall gelingt das. In meiner Schulzeit habe ich mal eine ganze Woche gebetet, dass meine nächste Erdkunde-Klausur mindestens eine „drei“ einbringt, um die drohende „fünf“ auf dem Zeugnis abzuwenden. Und es hat geklappt. Nicht, weil ich nur gebetet habe. Sondern weil das, worum ich gebeten habe, wirklich ein dringendes Anliegen war. Weshalb ich auch für die Prüfung gelernt habe. Ich wollte ja die Fünf abwenden. Gebet und Sorge gingen einher. Im Gebet fand die Sorge ihren Ausdruck. 

Kürzlich habe ich jeden Abend um einen guten Freund gebetet, der jetzt im Oktober nach einer vollständigen Blutwäsche seine Bestrahlung hatte. Ich habe für einen guten Ausgang gebetet. Viele Freundinnen und Freunde haben für einen guten Ausgang gebetet. Die Dringlichkeit unserer Bitten ging einher mit der Dringlichkeit unserer Sorge um unseren Freund. Er hat immer wieder von uns gehört, von unseren Nachfragen, erfuhr von unseren Gebeten. Es hat sich alles zum Glück zum Guten gewendet. Waren es die Gebete, war es die Anteilnahme. Ich kann es nicht sagen. Aber beides gehört zusammen.

Eine andere Erfahrung hatte ich zuvor im Sommer gemacht. Ein anderer Freund ist im Juli mit Ende 50 gestorben. Er hinterlässt eine Frau und zwei erwachsene Kinder. Alle Gebete, alle anteilnehmenden Gespräche, Telefonate, Briefe, haben sein Leben nicht retten können. Tausend Mal probiert, und tausend Mal ist nichts passiert – diese Erfahrung machen viele Christenmenschen beim Gebet. Zeigen die vielen unerfüllten Gebete, dass man lieber gar nicht beten soll?

Zwei Dinge möchte ich dazu sagen: 

Beide Freunde haben die Anteilnahme gespürt, haben die Gebete geschätzt. Nicht nur in den Telefonaten und Briefen, auch in den Gebeten waren ihre Freunde und Freundinnen für sie da. Das war beiden wichtig, weil es tröstlich und stärkend war. 

Das andere: Auch Gott möchte, dass wir im Gebet die Beziehung zu ihm pflegen und ihm unser Vertrauen entgegenbringen. Es macht Sinn, Gott unsere Wünsche zu sagen, eindringlich zu sagen. Auch dann, wenn eben nicht alle unserer Gebete erhört wurden in dem Sinn, dass unsere Wünsche erfüllt werden. 

Wir beten gleich das Vaterunser. Und darin sagen wir: "Dein Wille geschehe." Für uns ist das eine schwere Bitte. Wir verstehen nicht immer, warum ein Gebetswunsch unerfüllt bleibt. Vielleicht gibt es Gründe, aber wir erfahren sie nicht. Manchmal müssen wir uns in Gottes Willen fügen. 

Vielleicht ist unser Beten, unser inneres Zwiegespräch mit Gott, auch eine Weise, das Leben zu spüren – indem wir es zur Sprache bringen. In der Klage des Gebets, in der Bitte des Gebets, sprechen wir aus, was wir vermissen und was wir ersehnen. In der Fürbitte nehmen wir uns Zeit für andere Menschen. Und das ist gut. Gut für uns alle. Es ist helfend zu wissen, dass wir für andere und andere für uns beten. Und auch, wenn unser Gebet scheinbar nichts äußerlich verändert, bleibt doch dieser Gedanke von Albert Schweitzer: „Gebete verändern nicht immer die Welt. Aber sie verändern Menschen, und die verändern die Welt.“

Beten heißt eben auch: Auf Gottes großes Versprechen, auf seine große Verheißung zu vertrauen. 

Auf seine Verheißung, dass in ihm alle Not aufgehoben ist, dass er alle Tränen abwischen wird, dass bei Gott keine Trauer mehr sein wird, keine Klage, keine Mühsal. Und Gott wird mitten unter den Menschen wohnen. Sie werden sein Volk sein. Und er, Gott, wird bei ihnen sein.

Amen.

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