Zutrauen hilft

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# Predigt

Zutrauen hilft

Liebe Gemeinde, 

Sie wissen, dass ich bis vor kurzem Redakteur beim evangelischen Magazin chrismon war. Immer wieder gab es Reportagen oder Porträts in chrismon, die mich nicht losgelassen haben, an die ich immer wieder denken musste. 

Eine erzählt von der Lehrerin Ayla Tepe, die hier nebenan hier am Leibniz-Gymnasium Politikwissenschaften und Spanisch unterrichtet. Ich persönlich bin ihr nie begegnet, eine Kollegin hatte sie interviewt – und das ist auch schon wieder über 10 Jahre her.

In diesem Porträt ging es um Sätze, die man sich von Lehrerinnen oder Lehrern gemerkt hat, die irgendwie entscheidende Weichen für den eigenen Lebenslauf gestellt haben: prägende Sätze. 

Wir haben, als die Geschichte raus war, sehr viele bewegende Rückmeldungen von Lehrerinnen und Lehrern bekommen, die natürlich geschmeichelt waren, dass wir ihrem Berufsstand diese Ehre erwiesen hatten. Aber es ist ja auch großartig, wenn man selbst Jahre oder Jahrzehnte später die Rückmeldung von Menschen bekommt, mit denen man damals – als sie jung waren – zwei oder drei Lebensjahre teilt, sich regelmäßig im Klassenzimmer zu sehen bekommt. Und irgendein Satz fällt, und genau dieser eine Satz bleibt ein Leben lang hängen und verändert die Biographie dieses einen jungen Menschen.  

Die Lehrerin Ayla Tepe erinnert sich an ihre eigene frühere Lehrerin Frau Pfannkuch. Sie erzählt: 

„Meine Eltern kamen Anfang der Siebziger nach Deutschland. Ich bin 1975 in Reinbek geboren, in Wentorf bei Hamburg aufgewachsen und – als ich sieben Jahre alt war – zwei Wochen zu spät eingeschult worden. Das lag an der Unkenntnis meiner Eltern, die zum ersten Mal ein Kind in Deutschland zur Schule schickten. Mir war das sehr unangenehm. Wir waren über 20 Kinder in der Klasse, und ich komme als Einzige zu spät! Das erste halbe Jahr war ich sehr verschüchtert und traute mir nicht viel zu. Die meisten Kinder kannten sich und waren befreundet. Ich war die einzige Nichtdeutsche – es gab erst mal keine Gemeinsamkeiten. Ich musste zunächst alles allein bewältigen. Meine Klassenlehrerin Frau Pfannkuch muss das bemerkt haben, ich weiß noch, dass sie mich beiseitenahm und sagte: ‚Du schaffst das, du kannst mehr, als du denkst!‘“

Das war bei Ayla Tepe der eine Satz, der hängen blieb. Ayla Tepe machte später Abitur. Sie sagt von sich: „Lehrerin bin ich eher zufällig geworden, durch ein Praktikum im Spanischstudium. Als ich vor der Klasse stand, wusste ich: Das ist mein Platz – es fühlt sich gut und richtig an!“ 

Und als meine Kollegin Frau Tepe fragte, wie sich der Satz ihrer Lehrerin Frau Pfannkuch heute auf sie auswirke, antwortete sie: 

„In Offenbach, wo ich unterrichte, gibt es viele Kinder, die keine deutschen Wurzeln haben. Aber die Nationalität ist mir vollkommen egal. Was mir wichtig ist, hat bis heute mit Frau Pfannkuch zu tun: an meine Schüler zu glauben, ihre Ängste zu nehmen. So lernen sie, unangenehme Situationen auszuhalten und ihr Potenzial auszuschöpfen. Wenn Schüler meinen, dass ich mal wieder zu viel fordere, sage ich: „Ihr seid wie Rohdiamanten: wertvoll und einzigartig! Ihr werdet sehen, was in euch steckt!“ Und wenn ich merke, dass jemand vom Wesen her eher schüchtern ist, empfehle ich ihm, seinen Satz doch anzufangen mit: „Ich möchte jetzt einfach mal laut denken...“ oder mit: „Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, dass...“ Das gibt ein anderes Selbstvertrauen, weil dann nichts Perfektes oder Richtiges kommen muss.“

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht beim Propheten Jesaja im 55. Kapitel, Verse 8 bis 12. Darin übermittelt der Prophet die folgenden Gottesworte, die ihm offenbart worden sind:

„Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.“

Bei diesem Predigttext fiel mir sofort wieder das Porträt von der Offenbacher Lehrerin Ayla Tepe in chrismon ein. „Eure Wege sind nicht meine Wege“, heißt es bei Jesaja, und ja, die Wege des 7-jährigen türkischen Mädchens, das 1982 zwei Wochen zu spät eingeschult wurde, hätte damals niemand voraussagen mögen.  

Gottes Wort, das aus seinem Munde geht, wird nicht wieder leer zu ihm zurückkommen, sondern wird tun, was ihm gefällt – sagt Jesaja. Und gleiches gilt für das Wort von Frau Pfannkuch, das so vieles in Ayla Tepe ausgelöst hat und bis heute wirkt. 

Wie der Regen und Schnee, die vom Himmel fallen, macht Gottes Wort das Land fruchtbar und lässt Frucht hervorsprießen. So auch die Worte von Frau Pfannkuch, und ich würde denken, sicherlich auch die Worte von Frau Tepe heute, die Worte, die sie ihren Schülerinnen und Schülern mit auf den Weg gibt.  

Diese Analogie schlüsselt mir diesen schwierigen Predigttext auf. Und wirft mich auf die eigentliche Frage hinter diesem Text zurück: Wie muss ich mir das Gotteswort vorstellen, das Frucht bringt? Was unterscheidet es sich von irgendwelchen x-beliebigen Wörtern des Alltags?

Zum einen ist Gottes Wort das, was woran wir einander ständig in unseren Gottesdiensten erinnern. Das aufbauende Wort: Die Erinnerung an Gottes Liebe, die sich unter den Menschen verbreiten soll. Die Erinnerung daran, dass wir einander einen Vertrauensvorschuss geben müssen. Dass wir Vertrauen wagen müssen, auch wenn unser Vertrauen noch so oft missbraucht wurde.Die Erinnerung, dass wir nur Zugang zueinander finden, wenn wir zu vergeben bereit sind. Die Ermahnung einander Zeit zuzugestehen, damit Wunden heilen; damit Christus Wunden heilen kann. All das finden wir in den Erzählungen über Jesus von Nazareth wieder. 

Gottes Wort liegt ebenfalls in der Ermahnung zu Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Denn Gott sieht in die Herzen. Und bei Gott ist alles offenbar. Zu Gottes Wort gehört die Erinnerung, dass letztlich nur in einer gerechten Welt Frieden herrschen kann; und dass Gerechtigkeit oft ein Übermaß an Großmut erfordert. Gottes Wort bleibt nicht unfruchtbar. Es kommt nicht leer zu ihm zurück. Es wird sich behaupten, darauf hoffen wir Christenmenschen. Vielleicht nicht überall gleichzeitig. Aber hier und da nehmen wir die Zeichen des anbrechenden Gottesreiches wahr. 

Und das gilt nicht nur im persönlichen, im privaten Bereich – dass man sich an eine frühere Aufmunterung erinnert, wie es Ayla Tepe getan hat, die Lehrerin am Leibniz-Gymnasium. Das gilt dann ebenso im großen Maßstab. 

Mich haben die Bilder erschüttert, die uns seit Anfang vergangener Woche aus der südlichen Türkei und dem nördlichen Syrien erreichen, Bilder von massenhaften Elend, ausgelöst durch das gewaltige Erdbeben am vergangenen Montag. Mehr als 24.000 Tote vermeldete die Tagesschau gestern Vormittag. 

Im Moment stehen das Entsetzen im Mittelpunkt und das Bemühen um Hilfe. Und wenn ich mich frage, was der aktuelle Predigttext in diese Situation hineinspricht, dann vielleicht dies – dass es auch hier entscheidend um dieses Wort Gottes geht. 

Nicht darum, dass wir jetzt in Passivität verfallen, dass wir bei der Gottesanklage stehen bleiben: „Wie kann Gott dieses Elend zulassen?“ Sondern spätestens, wenn die Verletzten und die Toten geborgen sind, wenn das Elend beklagt ist, wenn die Trümmer beseitigt sind, dann wird irgendwann die Frage im Mittelpunkt stehen: Was ist hier eigentlich alles schiefgelaufen?

Natürlich es ist nicht ungefährlich in einem Erdbebengebiet zu leben. Aber so richtig lebensbedrohend werden Erdbeben erst durch das Unrecht, das Menschen einander zufügen: durch Selbstbereicherung auf Kosten der Allgemeinheit, durch Korruption, Pfusch am Bau, Missachtung von Bauvorschriften. Aber auch durch die ungerechte Verteilung von Lebensgütern, durch Armut und fehlende technische Möglichkeiten, sich gegen Erdbeben zu schützen.  

Die Menschen im nördlichen Syrien, in der Enklave von Idlib, wo rund drei Millionen Menschen eingeschlossen sind, – diese Menschen leiden unter Abschottung, unter gewaltsamer Unterdrückung, unter einem Krieg des syrischen Diktators gegen das eigene Volk. Seit Jahren leben sie in brüchigen Gebäuden oder notdürftigen Lagern unter Plastikplanen und sind von Hilfsgütern abhängig. Anders als in der Türkei hilft hier keinen Staat. Rettungsteams können die Grenze von der Türkei dorthin nicht passieren – sofern sie sich überhaupt auf den Weg machen. Ob hier die türkische Regierung mauert, oder ob hier gerade die Hilfswerke der Vereinten Nationen in großem Maßstab versagen, das scheint nach Meldungslage noch nicht klar zu sein.

Es ist nicht die Naturgewalt, die hier den größten Schaden anrichtet. Es ist das Unrecht, das wir Menschen einander zufügen. 

Als Christenmenschen setzen wir auf Gottes Wort. Wir können nur beten, dass es sich auf Dauer überall da durchsetzt, wo Menschen solche Not leiden. 

Ich bin gewiss, dass Gottes Wort vielerlei Gestalt annehmen kann. Es kann durch Menschen unterschiedlicher Religionen unter die Menschen gelangen: Gottes Wort von der Liebe, des Vertrauens, der Barmherzigkeit, der Heilung. 

Ebenso Gottes Wort von der Solidarität mit Menschen, die weit weg sind. Wir können auf dieses Gotteswort antworten, indem wir die Notleidenden mindestens in unser Gebet einschließen. Ebenso, indem wir ihnen Geld- und Sachspenden zukommen lassen. 

Denn so soll das Wort, das aus Gottes Munde geht, sein: Es wird nicht wieder leer zurückkommen, sondern wird tun, was Gott gefällt, und ihm wird gelingen, wozu Gott es sendet. Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden

Amen.

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