08/08/2024 0 Kommentare
Gott begegnen
Gott begegnen
# Predigt
Gott begegnen
Liebe Gemeinde,
wann ist Ihnen Gott begegnet? Und wie war das?
Ich weiß von einigen von Ihnen, dass Sie schon einmal so etwas wie eine Gottesbegegnung hatten: also diese Erfahrung, in der eigenen Schwäche und Ohnmacht eine überwältigende Kraft zu spüren. Diese Kraft fühlt sich nicht wie etwas Eigenes an, nicht wie etwas, das aus mir selbst kommt. Sondern mit dieser Kraft kommt etwas Neues, eine neue Sicht auf die Dinge, ein Perspektivwechsel, etwas, das einen bleibenden Eindruck hinterlässt.
Ein Mitglied des Frauenkreises sagt mir einmal: Seitdem habe ich keine Angst mehr davor zu sterben.
Der Predigttext heute, wir haben ihn soeben in der Lesung gehört, handelt von einer solchen Gottesbegegnung. Ein antiker Bewohner der Stadt Jerusalem erzählt von seiner Gottesbegegnung, die er aufs Jahr genau vor 2759 Jahren hatte.
Dieser Mensch hieß Jesaja. Die Gottesbegegnung hat bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Jesaja trat künftig öffentlich auf und kritisierte die Politik des Königs, die Arroganz des Adels und die Herzlosigkeit der reichen Oberschicht. Er kommentierte das Treiben von anderen Potentaten und Diktatoren in der Region. Man respektierte ihn als Propheten, als Gottesmahner, schrieb seine Worte auf und machte viele Jahre später, als man glaubte, dass alle seine Prophezeihungen erfüllt waren, ein Buch daraus. Wir kennen es aus der Bibel als das Buch des Propheten Jesaja.
Darin finden wir auch im 6. Kapitel seine Berufungsvision. Jesaja erzählte sie viele Jahre später nach.
Er datierte sie: „In dem Jahr, als der König Usija starb“.
Er beschrieb das Bild, das ihm vor Augen stand: „Ich sah den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron“.
Und er stellte die Größenrelationen klar: „Der Saum des Herrn füllte den Tempel.“ Gott ist in Jesajas Vision so groß, dass der Tempel voll ist vom Saum; nur vom Saum, nur vom äußersten Rand seines Mantel – mehr passt da gar nicht hinein.
Serafen umgeben den Herrn. Das Verb „Saraf“ bedeutet im Hebräischen „brennen“. Die Bibel gebraucht das Substantiv „Seraf“ mehrmals im Sinne von Schlange. Eine brennende Schlange, das kann eine giftige Schlange sein, das kann aber auch Feuer in Gestalt einer Schlangenlinie sein: ein Blitz. Und so scheint es hier gemeint. Feuerwesen von kosmischer Gewalt umgeben Gott. Jedes hat sechs Flügel: Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, weil sie selbst den Anblick Gottes nicht aushalten können. Mit zweien deckten sie ihre Scham – „ihre Füße“ heißt es in der Bibel ganz verschämt. Und mit zweien flogen sie.“
Der Anblick, den Jesaja beschreibt, ist überwältigend, allein schon wegen seiner Dimensionen. Gott passt nicht in einen Tempel, er lässt sich nicht da hinein sperren. Gott ist eine Urgewalt, sie lässt sich nicht besänftigen, sie steht nicht als segensreicher Behüter und Beschützer jederzeit zur Verfügung, sie ist keine Rückversicherung für jedes Risiko.
Gott ist auch nicht die große Sündenvergebungsmaschine, auf die wir ihn so gerne reduzieren. Gott bringt eben nicht alles wieder ins Reine, so dass man seine schmutzigen Geschäfte weitermachen kann wie bisher. Gott ist nicht das liebe Gottchen für Leute, die im Grunde nur ihre Ruhe haben wollen. Sondern Gott ist eine Kraft, die den ganzen Kosmos erfüllt. Wo Gott erscheint, da tritt das „Ich“ in den Hintergrund, wird entweder ganz klein, oder es ist gar nicht mehr da.
Die Szene, die Jesaja beschreibt, zeigt keinen Puttenhimmel, wie man ihn an barocken Kirchendecken findet. Sondern die Blitzwesen, die Serafim, erfüllen den Kosmos mit ihren lauten Rufen: „Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!“ Das ist kein lieblicher Engelsgesang, sondern „die Schwellen des Tempels beben von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch“ – so beschreibt es Jesaja.
Und er selbst wird ganz klein und spricht: „Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.“
In der Begegnung mit Gott erscheint vieles angeblich so Wichtige auf einmal bedeutungslos. Die wahren Relationen treten ans Licht, die Dinge werden klarer. Unrein erscheinen die eigenen Lippen vor dem, der das Ich in seine Schranken weist, der alle Großmäuligkeit entlarvt, der alle Falschheit ans Licht bringt, vor dem so viele hochgesteckte Pläne hohl und sinnlos erscheinen.
Unrein erscheint das Treiben da draußen auf den Straßen, die sinnlose Geschäftigkeit, das Profitstreben, die Versuche abzusichern, was sich nicht absichern lässt, sich ein Vermögen zu anzuhäufen, das einem doch irgendwann nicht mehr weiterhilft.
Sinnlos erscheinen die Machtansprüche von Menschen über andere, wie sie sich auf Kosten anderer profilieren, wie sie sich ihren Weg nach oben mit Ellenbogen freistoßen – wofür?
Vor dem Gottes Angesicht relativiert sich das eigene Leben ebenso wie das eines ganzen Volkes.
Jesaja ist erschüttert. Wie soll er reagieren? – Was tun Sie, wenn Sie eine Gottesbegegnung hatten und dann darüber nachdenken? Ich nehme an, Sie behalten sie erst einmal für sich. Denn solche Momente, in denen sich alles relativiert, in denen sich die eigenen Gedanken neu ausrichten, sind zu kostbar. Sie taugen nicht dazu, in Diskussionen zerredet zu werden. Sie sind zu schade für das alltägliche Geschwätz. Man möchte sie davor schützen.
Und mehr noch: Wie könnte ich mir herausnehmen, über andere zu urteilen, ihr Leben rausche an ihnen vorbei, weil sie Dingen nachjagen, die keinen Wert haben? Wie könnte ich anderen Falschheit und Lüge vorhalten, wenn ich doch selbst falsch und verlogen bin. Der Eifer der Jugend, sinnerfüllte Momente nach außen zu tragen, vergeht einem schnell.
Vielleicht zu schnell.
„Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei.“
Offenbar glüht der Altar in der Gegenwart Gottes. Jedenfalls glüht die Kohle auf ihm, die einer der Serafen mit einer Zange greift, um mit ihr Jesajas Mund anzurühren. Das Unreine wird ausgebrannt. Es wird wie Aussatz verkohlt. Es muss absterben, damit Platz für Neues entsteht.
Die Vision ist drastisch, als würden Jesajas Lippen versengt. Lippen, die so viel Falschheit verbreitet haben. Es ist an der Zeit, dass sie Wahres sprechen. Nur: Wie kann ich Wahres von Falschem unterscheiden? Wie kann ich sicher sein, dass sich nicht in das, was ich für gut befinde, meine eigenen Interessen hineinmischen, meine eigenen Pläne, meine eigenen Vorteile – und vielleicht auch nur meine eigene gefärbte Sicht, mein familiäres Wertegerüst, mein Stallgeruch? Wie kann ich sicher sein, dass sich das Wahre in meinem Mund nicht wieder in Falsches verkehrt?
„Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach:
Hinter der kosmischen Szenerie mit dem vom Saum gefüllten Tempel, mit den sechsfach geflügelten Blitzwesen, die zum Himmel ragen, mit ihrem Heilig-Heilig-Heilig-Gesang, dringt Gottes Stimme hervor. Sie spricht, wie aus einem Nebenraum. Es scheint, als hörte Jesaja ein Gespräch, das ihm gar nicht gilt. Als wäre er unfreiwilliger Zeuge dessen, was nebenan im Besprechungszimmer des Universums gerade verhandelt würde.
„Wen soll ich senden?“, sagt die göttliche Stimme. „Wer will unser Bote sein?“ Es ist die entscheidende Frage: Wie findet das, was Gott uns sagen will, seinen Weg in die Öffentlichkeit? Wie verschafft sich die innere, mahnende Stimme Gehör? Wer steht auf gegen Lüge und Verdrehung? Wer gebietet Einhalt, wo die Dinge einfach gründlich falsch laufen?
Ich stelle mir den kleinen Menschen Jesaja vor dieser gewaltigen Kulisse vor. Ich stelle mir vor, wie er diese Donnerstimme Gottes in der Ferne wahrnimmt. Und ich stelle mir vor, wie er – der kleine, unscheinbare Mensch, seine Antwort murmelt, mehr zu sich selbst als zu jemand anderem. Jesaja selbst berichtet jedenfalls ganz schlicht: „Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich!“
Und mit dieser Bereitschaft, sich als Prophet zur Verfügung zu stellen, endet der Predigttext für den heutigen Sonntag.
Zwei Dinge nehme ich aus diesem Predigttext mit.
Erstens die Szenerie, die Jesaja mit seiner Gottesbegegnung verbindet. Wir reinszenieren sie ja beim Abendmahl, wenn wir uns von Christus zu seinem Mahl einladen lassen – von Christus, der zur Rechten Gottes sitzt, des allmächtigen Vaters. Wenn wir uns Christus nähern, dann nähern wir uns Gottes Thron und hören den Gesang der Engel, die Heilig, Heilig, Heilig rufen. Was ich sagen will: Der Predigttext erinnert mich daran, dass in unseren Gottesdiensten etwas von der Unbedingtheit Gottes, von seiner Größe durchschimmern will. Und dass wir uns im Gottesdienst nicht mit unserem kleinen Wohlfühl- und Setzkastengott begnügen dürfen. Sondern dass wir uns Gottes Anfragen an unser Leben im Gottesdienst stellen müssen.
Zweitens nehme ich mit, dass Gott drängt: „Wer will unser Bote sein?“ Gott sucht nach Öffentlichkeit. Und wer, wenn nicht ihr, sollt seine Boten sein? Wer, wenn nicht ihr, die Heiligen und Geliebten Gottes, die ihr Gott in eurem Leben begegnet seid!
Amen.
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