Die ideale Gemeinde

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# Predigt

Die ideale Gemeinde

Liebe Gemeinde,

in was für eine Gemeinde taufen wir Jakob Wolfgang Stein?  

In unsere Gemeinde zunächst. Aber wir wissen ja noch gar nicht, ob Jakob hier groß wird. Vielleicht ziehen seine Eltern weg. Vielleicht finden sie einen Kitaplatz woanders und binden sich dort. Vielleicht geht Jakob später mit seinen Klassenkameraden zusammen zum Konfi-Unterricht in eine andere Gemeinde. 

Vermutlich füllen wir alle den Begriff Kirchengemeinde mit unterschiedlichen Erinnerungen und Assoziationen. Einige denken an die Freizeiten in ihrer Jugend. Andere an besondere Familienfeste, vielleicht auch die eigene Konfirmation. Andere an bestimmte Rituale, die sie nicht vermissen möchten: den Gottesdienst am Heiligabend; die Osternacht. Manche gehen auch in ihrer Gemeinde ein und aus, engagieren sich dort, haben dort viele Freundschaften, eine feste Anbindung an einen Ort, wo sie nach Ihrem Zuzug eine Heimat gefunden haben. 

Ich behaupte: Hinter diesen Bildern und Vorstellungen aus unserer eigenen Biografie steht so etwas wie ein unausgesprochenes Ideal, was eine Gemeinde ausmacht. Wir sprechen selten darüber. Aber es lohnt sich, dieses Idealbild hin und wieder hervorzukramen und sich vor Augen zu führen. Es steht in der Apostelgeschichte gleich am Anfang, zweites Kapitel, Verse 41 bis 47. 

Der Kontext dessen, was ich gleich vorlese, ist das erste Pfingsten. Die Jünger sind versammelt, der Heilige Geist geht auf sie nieder. Die Menschen in der Umgebung bemerken es und stellen die Jünger zur Rede. Petrus hält eine Predigt. Und gleich danach lassen sich Leute taufen. Und da beginnt der Predigttext für den heutigen Sonntag: 

Die nun Petrus Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden etwa dreitausend Menschen hinzugefügt. Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. 

Es kam aber Furcht über alle, und es geschahen viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. 

Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. 

Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. 

Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.

 

Ich rekapituliere, was die Apostelgeschichte alles aufzählt. 

Erstens ist die Gemeinde die Versammlung der Getauften. 

Zweitens: Diese Getauften bleiben beständig in der Lehre der Apostel. Wir würden sagen: Sie halten sich an das, was im Neuen Testament steht. 

Drittens: Sie bleiben beständig in der Gemeinschaft. Was hier mit Gemeinschaft gemeint ist, dazu gleich noch mehr. 

Viertens: Sie bleiben beständig im Brotbrechen: Das heißt, diese Gemeinschaft führt fort, was sie als Letztes mit Jesus erlebt hat: Das letzte gemeinsame Mahl. Diese Gemeinschaft versucht eine Art Kontinuität herzustellen zwischen der Zeit mit Jesus unterwegs in Galiläa und der Zeit jetzt. 

Ich selbst versuche mir manchmal mein Leben so vorzustellen, als wäre ich gerade unterwegs mit Jesus in Galiläa. Wer bin ich dann? Manchmal fühle ich mich stark wie ein Jünger, der wie Jesus leben möchte. Meistens bin ich aber eher der Bettler, der Lahme oder Blinde am Straßenrand, der Jesus zuruft: Herr, erbarme dich!“

Viertens: Sie bleiben beständig im Gebet. Das heißt: Sie feiern regelmäßig Gottesdienste miteinander. Der Gottesdienst ist – egal wie gut der Besuch ausfällt – immer noch der Mittelpunkt des Gemeindelebens. 

Dann wird erzählt, wie viel Ehrfurcht diese starke Gemeinschaft auslöst, und dass die Apostel Wunder und Zeichen taten. Und dann geht es weiter mit dem, was hier mit „Gemeinschaft“ gemeint ist: damit verbindet sich eine Art urkommunistische Vorstellung: 

„Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte.“ 

Die Gemeinde als eine Art freiwillige Kommune, als eine Art Kibbuz, wie es sie in der Gründerzeit Israels gab. Wohlgemerkt, ein freiwilliger Zusammenschluss, keine Zwangskolchose, wie sie in den Ländern des real existierenden Sozialismus üblich war. 

Eher ein freiwilliger Zusammenschluss wie im Kloster: Niemand hat Eigentum, alles wird geteilt, alle bringen ihr Vermögen in die Gemeinschaft ein. Alle haben, was sie brauchen. 

Diese Art Zusammenschluss erinnert mich an die Gleichnisse Jesu, an das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Alle Arbeiter bekommen am Tagesende den gleichen Lohn, egal, wie lange sie im Weinberg gearbeitet haben. Alle bekommen, was sie brauchen, nicht das, was sie sich erwirtschaftet haben. „Unfair“, sagen manche. „Fair“, behaupte ich, weil alle haben, was sie zum Leben brauchen. 

Und es heißt weiter: „Sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern“. Die ersten Christen waren also Juden, die weiterhin in den Jerusalemer Tempel gingen. Sie trafen sich darüber hinaus auch zu eigenen Gottesdiensten, in denen sie das Heilige Abendmahl feierten. 

Und schließlich hebt die Apostelgeschichte hervor, dass die ersten Christen ihre Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen hielten, dass sie Gott lobten und Wohlwollen beim ganzen Volk fanden. 

Ergebnis: Weil alles so reibungslos funktionierte, fügt der Herr täglich zur Gemeinde hinzu. Was so viel heißt, wie: Macht es richtig, dann habt ihr keine Probleme damit, dass Leute euch weglaufen. Ein Anspruch, der eine Gemeinde ganz schön unter Druck setzen kann.  

Das Bild, das die Apostelgeschichte zeichnet, ist ein Ideal, von dem wir weit entfernt sind. Man könnte jetzt frustriert dieses Ideal einfach begraben. Aber ich finde das gar nicht nötig. Wir müssen uns von einem Idealbild nicht kirre machen lassen. Ideale sind das eine, und dass wir sie nur in einem geringen Umfang umsetzen können, dass wir uns nur sehr grob an ihnen orientieren, das andere.  

Regelmäßig Gottesdienst feiern, daran halten wir uns in der Friedenskirche. Mich überzeugt es nicht, wenn Pfarrer und Pfarrerinnen selbstkritisch sagen: „Unsere Gottesdienste sind Zielgruppenveranstaltungen für alte Leute. Wir müssen diversifizieren und andere Formate zu anderen Zeiten für die anderen Generationen anbieten."

Schauen Sie sich bitte mal um, ob das stimmt. Ich kann das hier in unserer Gemeinde so nicht erkennen. Dass Leute nicht jeden Sonntag zur Kirche rennen, finde ich in Ordnung. Aber kürzlich hatten wir hier eine Konfirmation mit 400 Menschen in der Kirche. Und ich hatte den Eindruck, dass sich die meisten hier sehr wohl gefühlt haben, egal wie alt sie waren.  

Mich überzeugt es auch nicht, wenn Gottesdienste mal hier und mal dort gefeiert werden, aber nicht verlässlich in einer Kirche zur immer gleichen Zeit. Dann weiß man irgendwann nicht mehr, wo man am Sonntagmorgen hin gehen soll und lässt es irgendwann ganz bleiben. 

Regelmäßig Abendmahl feiern, auch das tun wir hier in der Friedenskirche, zweimal im Monat. 

Was wir am wenigsten einlösen, ist das Gemeinschaftsideal, das Ideal einer eingeschworenen Gemeinschaft auf den Spuren Jesu. Von urkommunistischen Verhältnissen sind wir weit entfernt. 

Ich glaube aber, dass wir im Kern Jesus auf der Spur bleiben, wenn wir eine Gemeinde sind, die Gemeinschaft stiftet. Wenn man sich hier eingeladen fühlt. Wenn wir Menschen zusammenführen, auch die Nachbarn hier im Viertel, die vielleicht gar nichts mit der Kirche zu tun haben. Wenn Menschen sich hier ein Zuhause fühlen, beheimatet. 

Aber das Besondere an dieser Gemeinschaft ist doch, dass sie auch scheitern darf. Dass wir auch dann immer noch gedanklich mit Jesus von Nazareth in Galiläa unterwegs bleiben. Dann sind wir eben nicht die strahlenden Jüngerinnen und Jünger, die es Jesus gleichtun und lauter Wunder vollbringen. Dann sind wir eben die Bettler am Wegesrand, die Jesus zurufen: „Herr, erbarme dich.“

Und das ist es auch, was ich Jakob Wolfgang Stein wünsche, wenn er später groß wird und an sich verzweifelt, oder irgendwelchen Ansprüchen, die an ihn gerichtet sind, verzweifelt. Dass er dann in seiner Gemeinde diese Stimme Gottes hört: „Du darfst der Bettler am Wegesrand sein.“ Und dass er Gott sagen hört: „Lass es dir an meiner Gnade genügen. Denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ 

Amen.

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