Danke, Michael Brück!

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Danke, Michael Brück!

# Predigt

Danke, Michael Brück!

Liebe Gemeinde, und ganz besonders: lieber Michael Brück! 

Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist das Evangelium von den zehn aussätzigen Männern, die Jesus heilt, die sich den Priestern zeigen, um sich für rein erklären zu lassen, und von denen nur einer zu Jesus zurückkehrt, um sich bei ihm zu bedanken. 

Und das war dann ausgerechnet noch ein Samariter. 

Lieber Michael, du weißt, dass ich mich immer an die Perikopenordnung halte. Was sie als Predigttext vorsieht, darüber wird dann auch gepredigt, so auch heute in diesem Gottesdienst, in dem wir ganz besonders das Augenmerk auf dein 50. Kirchenvorstandjubiläum richten. Denn es geht ja in der Predigt nicht um das, was ich dir persönlich zu sagen habe, sondern um das, was mir als Prediger aufgetragen ist zu sagen. 

Die Heilungsgeschichte von den zehn Aussätzen haben wir eben gehört. Lisa Oehler hat sie vorgelesen.  

So viel zur Erklärung: Wegen ihres Aussatzes sind die zehn Männer gesellschaftlich isoliert. Natürlich, weil die Gesellschaft weiß, dass ihre Krankheit hoch ansteckend ist. Aber in erster Linie – und da überlagern sich medizinisch begründete Vorsicht und religiös begründet Reinheitsvorstellungen – in erster Linie sind diese zehn Männer unrein. Erst wenn die Priester sie für rein erklärt haben, dürfen sie sich wieder unter die Menschen mischen. 

Und das ist die zweite Sache die man bei dieser Heilung wissen muss: Eine Heilung vom Aussatz ist vor allem eine soziale Heilung. Mit der Ausgrenzung hat es ein Ende, die Aussätzigen müssen nicht mehr am Rande leben, isoliert von ihren Familien, von der Gesellschaft. Sie dürfen wieder am Leben teilhaben, arbeiten, selbst auch Familien gründen, unter den Menschen leben. 

Aber um das zu erzählen, braucht es diese Heilungsgeschichte eigentlich nicht. Denn das Lukasevangelium und auch Markus und Matthäus erzählen schon eine andere Heilung eines Aussätzigen. Bei Lukas und Markus steht diese Heilungsgeschichte ziemlich am Anfang der Verkündigung Jesu und darf dort fast schon programmatisch für die Heilungen stehen, die Jesus in der Zeit seines öffentlichen Wirkens vollbringt.  

Was die Heilungsgeschichte von den zehn Aussätzigen auszeichnet, ist ihr Ende. Die Pointe dieser Geschichte ist, dass eben nur einer zurückkehrt und sich bedankt. Und da bin ich auch schon bei der eigentlichen Frage, die mich bei dieser Geschichte umtreibt: Ist das alles, was wir aus dieser Geschichte lernen? Dass wir Danke sagen sollen?

Dann hätte die Geschichte ja kaum mehr Wert als die Empfehlung der Anstandstante: Sag danke, wenn du etwas geschenkt bekommst.
Kaum mehr Wert als das Drängen der Eltern: Hast du dich schon bei Opa und Oma bedankt für das Geld, das sie dir zur Konfirmation geschenkt haben?

Danke sagen. Ja, das ist gut und richtig. Gestern morgen fand ich eine Karte vor unserer Wohnungstür. Von Mieke Klein. „Danke, dass ihr meine Einschulung mit mir gefeiert habt und für euer tolles Geschenk!“ – Danke Mieke, ich finde es wunderschön, so ein Danke zu bekommen. 

Aber um das zu wissen, dafür brauche ich keine biblische Geschichte. 

Der französische Soziologe und Ethnologe Marcel Mauss hat vor ziemlich genau 100 Jahren beschrieben, dass wir in einer Schenkökonomie leben, dass wir vor allem mit einer Schenkökonomie leben. Wir geben viele Güter und Dienstleistungen kostenlos ab. Wir lassen uns beschenken, wir lieben es zu schenken. Schenken heißt: Wir verlangen dafür keine direkte Gegenleistung. Wir erwarten nicht, dass sich jemand revanchiert. Und doch lebt die Schenkökonomie von der Gegenleistung, die auch in ganz anderer Form kommen kann – die auch zeitlich verzögert kommen kann – die nicht einmal den Schenkenden erreichen muss. 

Wenn mich jemand beschenkt, erwidere ich das Geschenk mit einer Aufmerksamkeit oder einem Danke. Und wenn ich mich bei dem Schenkenden nicht bedanken kann, dann gebe ich das Geschenkte vielleicht an andere Menschen zurück. 

So viele Menschen haben in den Zeiten, als der Wohlstand nach Deutschland zurückkam, sich an die Carepakete nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. So viele von ihnen haben gesagt: Ich bin damals reich beschenkt worden. Ich gebe das nun weiter an Menschen, die es brauchen. Sie haben an Menschen in Not gespendet, und das nicht zu knapp. 

Das „Danke sagen“ ist uns eingraviert, ist Teil unseres natürlichen und sozialen Miteinanders. Ich brauche keine biblische Geschichte, die mir das erklärt.  

Also schaue ich genauer hin und lese nach, was Jesus wirklich einfordert. Lukas zufolge sagt Jesus: „Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?“

Ja, es geht um Dank. Aber es geht eben auch darum, wirklich rein zu werden und Gott die Ehre zu geben. Wie geschieht das?

Lieber Michael, du hast dir einen Vers aus dem 2. Korintherbrief als biblisches Votum für den heutigen Gottesdienst ausgesucht, und ich glaube, dieser Vers gibt uns eine Antwort darauf. Er lautet (2. Korinther 12,9) – und ich lese nach der Luther-Übersetzung von 1984: 

„Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.“

In der neusten Revision der Lutherbibel ist nicht von Schwachen die Rede, in der Gottes Kraft mächtig ist, sondern von der Schwachheit, in der sich Gottes Kraft vollendet:  

„Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne. 

Du hast dich für die drastischere, ältere Übersetzung entschieden. „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“. 

Es ist ein mystisches Motiv. Die Mystiker stellen sich vor, dass der Mensch innerlich ganz leer werden muss, seine ganze Ich-Sucht preisgeben muss, sein Machtstreben, sein Verlangen nach Geld und Sicherheit, sein Ehrgefühl. Erst wenn er innerlich ganz verloren und ganz leer ist, erst in der völligen Schwachheit und inneren Ohnmacht entsteht Raum für Christus, der in den Menschen einziehen kann. 

Die Geschenkökonomie zwischen Gott und Mensch ist eine andere als die zwischen Mensch und Mensch. Sie besteht darin, dass ich mich selbst loslasse, dass ich Gott in mich hineinlasse, dass wir mich nicht mehr verstehe als einen Menschen, die einen Ansprüche hat – auf Glück, auf Zufriedenheit, auf Ansehen. Sondern sie besteht darin, dass ich selbst von mit abzusehen lerne.

Dass ich mir nicht selbst zuschreibe, was durch mich geschieht. Dass ich sage: Nicht ich tue das Gute, sondern Gott tut es durch mich – wir nennen es Demut.

Dass ich nicht selbst nach Ehrung und Verdienst und Dank strebe, sondern dass ich ein Beschenkter werde und mich als einen Beschenkten verstehe, weil Gott durch mich wirkt – wir nennen es auch Selbstlosigkeit. 

Dass ich nicht von anderen verlange, dass sie mir vergeben, sondern dass ich lerne, selbst aus der Vergebung Gottes zu leben, selbst ein Vergebender werde. 

Ein anonymes Gebet, das oft Franz von Assisi zugeschrieben wird, nimmt diesen mystischen Gedanken auf - dass ich darum bitte, nur Werkzeug zu sein in Gottes Hand. Ich lese es vor: 

Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit ist;
dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist;
dass ich Glauben bringe, wo Zweifel droht;
dass ich Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält;
dass ich Licht entzünde, wo Finsternis regiert;
dass ich Freude bringe, wo der Kummer wohnt.

Herr, lass mich trachten,
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.#

Denn wer sich hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.

Christus heilt. Aber nur einer von den Zehn Aussätzigen „kehrt um, um Gott die Ehre zu geben“. Mystisch gedeutet nimmt nur einer die Heilung zum Anlass, wirklich geheilt zu bleiben, transparent zu bleiben, durchlässig zu bleiben für Gott. Gott in ihm wirken zu lassen. 

Lieber Michael, dass du so lange gewirkt hast, so vieles unscheinbar und unsichtbar für die Öffentlichkeit in Gang gesetzt hast, Konflikte beigelegt hast, zum Besten für die Gemeinde der Friedenskirche gewirkt hast, verstehe ich in diesem mystischen Sinne. Du hast etwas empfangen. Etwas, was durch Pfarrer Wolfgang Lehmann zu dir gekommen ist, was du mitgenommen hast, hat das in dir ausgelöst.  

Ich möchte das gleich nach der Predigt noch weiter ausführen. Aber ich glaube, dass eigentlich alles mit dem Vers aus dem 2. Korintherbrief 12,9 gesagt ist, den du dir für heute ausgesucht hast: 

„Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne.“

Amen.

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