08/08/2024 0 Kommentare
Wie die Saat, so die Ernte
Wie die Saat, so die Ernte
# Predigt
Wie die Saat, so die Ernte
Liebe Gemeinde,
toll, was da alles am Altar aufstapelt ist: Körbe voll Gemüse, ein Korb mit Äpfeln, einer mit Kartoffeln, Zwiebeln, Paprika, ein anderer Korb mit Kräutern, darüber baumeln Trauben. Ein Riesenlaib Brot steht auf dem Altar, kleine Snackbrezeln, eine Flasche Wein, Sie können sich das nach dem Gottesdienst alles genauer von nahem ansehen.
Und als Sie hereinkamen, sahen Sie altes landwirtschaftliches Holzwerkzeug aus dem vorletzten Jahrhundert, Rechen, Forken, Pflug, einen Erntewagen, eine Milchkanne, eine Egge, dazu eine Weizengarbe, getrocknete Maispflanzen und einen großen Blumenstrauß (siehe Foto).
Die Installation zeigt doch recht eindrucksvoll, dass Erntedank ein nostalgisches Fest ist. Der Rhythmus von Saat und Ernte bestimmt schon lange nicht mehr unser Leben. Heute wird überall und ständig angepflanzt. Nicht nur rund um die Welt – auch in den Gewächshäusern von Oberrad kann weit über die Saison hinaus gepflanzt und geerntet werden. Nur deshalb können wir fast das ganze Jahr über frisches Obst und Gemüse auf den diversen Märkten in Offenbach kaufen.
Nein, der Rhythmus von Saat und Ernte ist nicht mehr unser Lebensrhythmus. Aber wir rufen ihn uns einmal im Jahr in Erinnerung, weil dieser Rhythmus uns in unser Denken eingraviert ist. In mein Denken jedenfalls noch; ich weiß gar nicht, ob es euch Konfis und Teamern heute auch noch so geht, dass ihr im Herbst an die Ernte denken müsst.
Meine Frau und ich haben noch bis vor einem Jahr im Norden am Rande von Frankfurt gelebt, wo überall an den Feldwegen Äpfel und Birnen reifen. Wo ein Mirabellenbaum an der Hauptverkehrsstraße durch Bonames jedes Jahr köstliches Obst abwirft, das außer uns niemand geerntet hat. Wir haben Jahr für Jahr Brombeeren und Holunderbeeren gesammelt – und jedes Jahr wieder Marmelade eingekocht. Unsere Erntesaison begann im Juni mit den Himbeeren im Garten und mit dem Kirschbaum um die Ecke, und endete mit dem späten Obst im Oktober. Hier in Offenbach, mitten in der Großstadt, kommt uns dieser Rhythmus gerade abhanden.
Saat und Ernte, das ist auch Teil unserer Metaphorik.
- Wer Wind sät, wird Sturm ernten, heißt ein Sprichwort.
- Die blut’ge Saat gedieh zu blut’ger Ernte, dichtete Albert von [sch]Chamisso.
- Wie die Saat, so die Ernte, so brachte es der römische Staatsmann und Philosoph Cicero auf den Punkt.
Der reiche Jüngling aus der Evangeliumslesung (Markus 10,17-27), so will es Jesus in aller Härte sagen, hat auf die falsche Saat gesetzt. Nicht der Reichtum bringt ihn in den Himmel. Deswegen ist es ein Ding der Unmöglichkeit, dass ein Reicher in den Himmel kommt – wie auch niemals ein Kamel durch ein Nadelöhr gelangt. Es ist allenfalls die Güte, durch die er sich selbst retten kann, die restlose Güte – sofern sich denn überhaupt irgendjemand aus eigener Kraft zu retten vermag.
Predigttext für den heutigen Sonntag sind die Zehn Gebote. Und auch aus ihnen lässt sich diese Metaphorik von Saat und Ernte herauslesen. Wir haben am Mittwoch den Predigttext in kleiner Runde vorbereitet. Und obwohl alle hätten sagen können: „Die Zehn Gebote, die kenne ich doch. Das ist doch ein vertrauter Text“, waren doch alle über das, was sie dann vorfanden, einigermaßen erstaunt. Ich lese die Zehn Gebote vor, wie sie im 2. Mose 20 stehen. Sie müssen sich vorstellen: Das Volk lagert in einigem Abstand zum Berg Sinai. Mose verschwindet immer mal wieder auf diesem Berg, um mit Gott zu reden. Er zieht einen Kreis um den Berg, den niemand außer ihm betreten darf. Dann führt er das Volk aus dem Lager an den Fuß des Volkes. Und nun, und nur hier, redet Gott direkt zum Volk aus einer Wolke heraus. Hier beginnt der Text:
Und Gott redete alle diese Worte:
- Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
- Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.
- Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.
- Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.
- Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird.
- Du sollst nicht töten.
- Du sollst nicht ehebrechen.
- Du sollst nicht stehlen.
- Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
- Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat.
Soweit der Predigttext. Wenn Sie dann weiterlesen, werden Sie merken: Gott erlässt noch viel mehr Gesetze. Aber die sind sie nur für Moses Ohren bestimmt. Mose übermittelt sie dann an das Volk.
Und außerdem bestehen sie aus lauter „Wenn – dann“-Klauseln. Es sind detaillierte Regeln für alle Eventualitäten: „In diesem Fall sollst du dies tun, und in jenem Fall gilt folgendes Gesetz.“
Sie sind anders als die Zehn Gebote und ihre schlichten, apodiktischen „Du sollst“-Sätze.
- Du sollst nicht töten.
- Du sollst nicht ehebrechen.
- Du sollst nicht stehlen.
- Du sollst nicht falsch Zeugnis reden.
- Du sollst nicht begehren.
Zwei Gebote haben uns in unserem kleinen Vorbereitungskreis etwas länger beschäftigt. Das eine hat uns beim Lesen regelrecht verstört. Ich lese es noch mal vor:
Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.
Wenn wir dieses Gebot mit der Metaphorik von Saat und Ernte im Hinterkopf lesen, erschließt sich der Sinn als erschreckend aktuell. Denn das Unheil, das unsere Großväter- und Urgroßvätergeneration seinerzeit in Deutschland ausgesät hat, die Götzenbilder, die diese Generation mehrheitlich angebetet hat, all das beschäftigt und belastet uns bis heute, bis ins dritte und vierte Glied derer, die damals Gott und seine Gebote gehasst haben.
Es wird Ihnen ähnlich gehen, wie mir. Worte wie „Buchenwald“ und „Birkenau“ waren einmal wunderschön. Heute erzeugen sie ein Grauen in meinem Kopf. Ich behaupte: Wer schon einmal in den Gedenkstätten von Buchenwald und Birkenau war – und auch schon, wer nur ahnt, was sich damals an diesen Orten zugetragen hat, bringt diese Worte nur mit Scham und Ekel über die Lippen.
Das ungeheure Ausmaß, in dem Nazis die deutsche Sprache und Kultur in den Dreck gezogen haben, belastet uns bis heute – und wir können uns dem nicht entziehen.
Den Trägern der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora graut heute schon bei den Prognosen, nach denen die AfD im kommenden Jahr die stärkste Partei im thüringischen Landtag stellen wird.
Am heutigen Sonntag stellen sich auch hier in Hessen Leute zur Wahl, die wieder einmal vorgeben, sie wollten die deutsche Sprache und Kultur retten. Wir können nur hoffen, dass möglichst viele Menschen in unserem Bundesland merken, welchen Schaden sie in Wirklichkeit anrichten werden, wenn sie einmal an der Macht sind. Deshalb kann ich nur Sie alle, die Sie Menschen guten Willens sind, aufrufen: Gehen Sie heute wählen! Verhindern Sie, dass die Saat für neues Unheil gelegt wird.
Das andere Gebot fordert, den Schabbat zu heiligen.
Aber am siebenten Tage ist der Schabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt.
Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Schabbat und heiligte ihn.
Saat und Ernte sind Zeiten der Arbeit. Dazwischen und danach ruht die Arbeit. Gott lässt die Saat aufgehen, wir mögen düngen und bewässern, aber sonst tragen wir nichts zu ihrem Gedeihen bei.
Auf die Ernte folgt das Fest. Erntedank nach getaner Arbeit ist in Oberrad, wo die vielen Gärtnereien sind, ein richtig großes Fest. Einige aus unserer Gemeinde lassen es sich nicht entgehen und sind heute in der Erlösergemeinde von Oberrad bei Pfarrerin Anne Helms, allein um sich den überwältigend prachtvoll ausgeschmückten Altarraum dort anzusehen. Auf die Arbeit folgt die Freizeit, die Feier, das gemeinsame Zelebrieren, dass die Ernte eingeholt ist. Der Rhythmus von Tun und Lassen soll unser Leben bestimmen, so legen es die Zehn Gebote fest. Eben auch Lassen.
Der reiche Jüngling scheitert an dem, was ihm geboten ist. Vielleicht nicht deshalb, weil er zu wenig will, sondern weil er zu viel will. Er will sein Schicksal selbst in der Hand halten, will selbst sein Heil erzwingen. Aber so läuft das nicht, lieber reicher Jüngling. Schau aufs Kamel, und schau dann aufs Nadelöhr. Die Sache ist aussichtslos. Du muss dich schon einem anderen anvertrauen und seiner Gnade. Lass ihn dafür sorgen, dass deine Saat aufgeht.
Und Gott lässt die Saat aufgehen. Deswegen feiern wir heute Erntedank.
Amen.
Kommentare