08/08/2024 0 Kommentare
Die Mühsal der Freiheit
Die Mühsal der Freiheit
# Predigt
Die Mühsal der Freiheit
Liebe Gemeinde,
blättern Sie manchmal in der Bibel? Haben Sie schon mal versucht, irgendwo mitten in der Bibel anzufangen und zu verstehen, was da steht und warum das erzählt wird? Manchmal überfliegt man eine biblische Geschichte und fragt sich: „Was soll mir das jetzt schon wieder sagen?“ Biblische Geschichten sind oft sperrig, rätselhaft. Man soll nicht denken, dass sie sich auf Anhieb erschließen.
Biblische Geschichten sind nicht nur für uns heute sperrig und rätselhaft. Sie waren es schon immer. Auch in der Zeit der ersten Christenheit hat man gerätselt, was manche Geschichten eigentlich aussagen sollen.
Ich lese Ihnen eine solche Geschichte vor. Sie ist der Predigttext für den heutigen Sonntag.
Die Geschichte steht im 4. Buch Mose. Und sie hat eine Vorgeschichte, die man ungefähr kennen muss, um unsere Geschichte zu verstehen. Das Volk Israel war in Ägypten gefangen und musste Sklavendienste leisten. Daraufhin bot sich Mose an, das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei in die Freiheit zu führen. Das gelang. Nur: Kaum hatte das Volk Ägypten und die Sklaverei hinter sich gelassen, fand es sich in der Wüste wieder, wo es wenig zu essen und zu trinken gab. Das Volk murrte, es ärgerte sich über Gott und über Mose und über die angeblich doofe Idee, sich aus der Sklaverei befreien zu lassen.
„Wären wir doch an den Fleischtöpfen Ägyptens geblieben“, so sagten einige, „dann hätten wir jetzt zwar keine Freiheit, aber wenigstens genug zu essen.
Lieber versklavt sein und dafür keine Probleme haben, als sich für die Freiheit stark zu machen und für die Freiheit auch einen Preis zu zahlen, das kennen wir heute noch. Und genau das, so die Bibel, ist murren wider Gott, ist Aufbegehren gegen Gott.
Der Predigttext für heute handelt auch vom murrenden Volk und davon, wie Gott darauf reagiert. Ich lese aus dem 4. Buch Mose 21,4-9:
Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen.
Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete gegen Gott und gegen Mose: „Warum habt ihr uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise.“
Da sandte der Herr feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben.
Da kamen sie zu Mose und sprachen: „Wir haben gesündigt, dass wir wider den Herrn und gegen dich geredet haben. Bitte den Herrn, dass er die Schlangen von uns nehme.“
Und Mose bat für das Volk. Da sprach der Herr zu Mose: „Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.“
Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.
Soweit der Predigttext. Das Volk klagt über die Mühsal der Freiheit. Dem Volk ekelt vor der mageren Speise. Freiheit ist ja schön und gut, aber sie bringt so viele Unannehmlichkeiten mit sich! Ich will ja die Vorzüge der Globalisierung genießen, will mein Smartphone aus China, mein Autos aus Japan, meine Äpfel aus Neuseeland haben. Ich brauche den Dachdecker aus Rumänien, ich brauche die Pflegekraft aus Georgien, ich brauche den afghanischen Zahnarzt, den indischen Computerspezialisten.
Aber ich will mich nicht mit Leuten auseinandersetzen müssen, die sich anders kleiden als ich, anders reden als ich, anderes essen als ich. Ich will mich nicht mit der Armut derer auseinandersetzen müssen, die hier bei Null anfangen, um dann hier durchzustarten – mit ihrem kleinen Imbiss, mit ihrer Ausbildung, oder auch nur mit der Hoffnung, dass es ihre Kinder einmal besser haben werden. Die Früchte der Freiheit, die will ich wohl, nicht aber die Zumutungen der Freiheit und auch nicht die Freiheit der anderen, die damit einhergeht.
Gott schickt feurige, also tödliche Schlangen unter das Volk. Schlangen, die ihr Gift unters Volk verteilen, dass es verderbe – wie es schon einmal verdorben ist, als Propagandisten mit falschen Versprechungen es schafften, ein ganzes Volk zu vergiften und ins Verderben zu führen.
Die Klage des Volkes, Gott führe es ins Verderben, wirkt wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Das Volk redet das Verderben herbei, und das Verderben kommt dann auch über das Volk. Die Schlange gilt am Anfang als Symbol der Versuchung. Das Volk gibt sozusagen der Versuchung der Bequemlichkeit nach – und es bekommt die Quittung serviert.
„Lasst uns nicht Christus versuchen“, mahnt Paulus seine eigene Gemeinde im 1. Korintherbrief. Und er verweist auf unseren Predigttext: „Lasst uns nicht Christus versuchen, wie etliche von ihnen taten und wurden von den Schlangen umgebracht.
Wer der Versuchung der Bequemlichkeit nachgibt, zieht das Unheil auf sich. Sondern du musst dich rausbegeben, etwas riskieren, etwas wagen, damit du auch etwas erlebst.
Wir kennen das aus unseren Beziehungen: Wer nicht das Risiko eingeht, enttäuscht zu werden, wird auch nie jemanden richtig kennenlernen.
Wer sich nicht auf das Wagnis der Freiheit einlässt, wird auch nie wirkliche Freiheit erleben.
Und das Gleiche gilt im politischen Raum. Freiheit ist unbequem, weil sie immer auch die Freiheit der anderen ist, mit denen ich mich auseinandersetzen muss.
Wenn ein Volk nicht für seine Freiheit einzustehen bereit ist, wenn es nicht dafür zu kämpfen bereit, auch für die Freiheit, anders zu sein, besonders zu sein, unbequem zu sein, wenn ein Volk seine verfasste Freiheit nicht gegen die Feinde der Freiheit verteidigt, dann wird es seine Freiheit verlieren.
„Gib’s auf, bringt ja doch nichts!“ – Wer das sagt, bekommt die Quittung gleich serviert. „Und der Herr sandte feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben.“
---
In der Geschichte aus dem 4. Buch Mose hat das Volk aber Einsicht. Es kommt zu Mose und sagt: „Wir haben gesündigt, dass wir wider den Herrn und gegen dich geredet haben. Bitte den Herrn, dass er die Schlangen von uns nehme.“
Nur: So einfach geht das nicht. Ist einmal das Unheil da, wird man es nicht einfach so wieder los. Es verschwindet nicht von selbst.
Denn Freiheit ist immer zuerst meine Freiheit, von der ich Gebrauch mache. Ich muss mich ändern, muss aus meiner Komfortzone raus, muss meine Bequemlichkeit ablegen, mein überzogenes Sicherheitsbedürfnis, ich muss etwas riskieren, aus mir rausgehen, wenn mir an meiner Freiheit liegt.
Mose kann die Schlangen nicht wegzaubern, das wäre auch zu einfach. Stattdessen gebietet Gott dem Mose, ein Symbol aufzurichten. Ein Zeichen, das so aussieht, wie das Unheil, das einen plagt.
Mose soll eine eherne Schlange auf einem Stab aufrichten, damit jede und jeder aus dem Volk sie sehen kann. Das Volk soll sich das Unheil ansehen, das es selbst heraufbeschworen hat: die Schlange, Symbol der Versuchung. Es soll sich nicht wegducken, nicht so tun, als sei es nicht selbst der Versuchung erlegen gewesen. Es soll sich dem stellen, was es selbst angerichtet hat.
Und es heißt: „Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.“
Es gibt eine Chance, umzukehren, aber nur, wenn du dich dem stellst, was du selbst angerichtet hast, was du selbst zugelassen hast. Eskapismus ist keine Lösung. Nicht wahrhaben wollen, – sich in schöne Welten flüchten, – so tun, als gehe uns das Unheil um uns herum nichts an, das alles führt nur weiter ins Unheil.
Nein, von denen, die gebissen sind, sollen nur diejenigen leben, die sich die Schlange ansehen, verfügt Gott.
Eben hat uns Claudia Kaschube mit dem Evangelium für den heutigen Sonntag vorgetragen, wie Jesus laut Johannesevangelium die Geschichte mit der Schlange am Stab deutet – nämlich auf seinen eigenen Tod am Kreuz.
Jesus sagt im Gespräch mit dem Pharisäer Nikodemus: „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben“
Schaue Christus an, der am Kreuz hängt, ein Unschuldiger, ausgestellt wie ein bestrafter Verbrecher. Schau an, wie er sein Elend trägt, milde und gütig, geduldig und mit Liebe.
Schau auf ihn, und die Sünde hat keine Macht über dich. Schaue den an, der das Unheil auf sich genommen hat, das andere angerichtet haben, und wirst gerettet werden. Schaue den Christus an, der die Sünde der anderen selbst schultert, und er wird dir den Ausweg aus deiner verrannten Lage weisen.
Das ist das Evangelium, die gute Nachricht des heutigen Sonntages: Dass mit Christus alles ein neues Gesicht bekommt. Wir kennen das schon aus der Verkündigung Jesu: dass Ausgegrenzte eingeladen und in die Gemeinschaft aufgenommen werden, dass Blinde sehen lernen, dass Erlahmte sich auf den Weg machen, dass Feindschaft durch Liebe ersetzt wird, aber auch: dass Selbstgerechte in ihre Schranken gewiesen werden.
Und nun sehen wir es selbst in seinem Sterben: dass mit Jesus aus dem Folterinstrument Kreuz ein Symbol der Hoffnung und der Selbsthingabe wird.
Wenn du die Sünde der Bequemlichkeit durch das Kreuz Christi anschaust, musst du keine Angst haben, weil Christus der Sünde die Macht genommen hat.
Wer die eherne Schlange ansah, blieb am Leben. Wer das Kreuz Christus anschaut, wer auf den schaut, der durch das Kreuz erhöht wurde, der von den Toten auferstanden ist, der wird das ewige Leben haben.
Amen
Kommentare