08/08/2024 0 Kommentare
Trost im Leben und im Sterben
Trost im Leben und im Sterben
# Predigt
Trost im Leben und im Sterben
Liebe Gemeinde,
was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Mit dieser Frage beginnt der Heidelberger Katechismus. Sie können ihn im Gesangbuch aufschlagen. Dort steht er unter der Nummer 807. Dort lesen Sie als erstes die Frage: Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?
Katechismen sind die Vorläufer von Schul- und Lehrbüchern. Mit ihnen haben Generationen von Kindern, Jugendlichen und jungen Theologen die Grundlagen ihres Glaubens, die Grundlagen ihrer Konfession gelernt.
Als die Pädagogik noch nicht sonderlich ausgereift war, mussten sie die Fragen und Antworten auswendig lernen. Und mich berührt die Vorstellung, dass alle reformierten Kinder im Südwesten Deutschlands ab 1565 vier Jahrhunderte lang den Heidelberger Katechismus auswendig lernten – und dass sie diese Frage als erste auswendig lernten:
Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?
Haben Sie schon mal darüber nachgedacht? Was tröstet Sie im Leben – und welcher Trost, glauben Sie, würde Sie auch im Sterben tragen? Was könnte Ihnen sogar die Angst vor dem Tod nehmen, die Angst vor Schmerzen. Was nähme Ihnen die Sorge, Sie könnten den Übergang ins Jenseits nicht schaffen, den letzten Schritt nicht tun?
Die Antwort des Heidelberger Katechismus ist eindeutig: „Dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin, der mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkömmlich bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst hat und also bewahrt, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt kann fallen, ja auch mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss.“
Mich berühren Frage und Antwort, weil ich Kinder vor Augen habe, die mit ihren großen Familien beengt wohnten, in einer von Rauch und Ruß verkohlten Wohnung, in der es im Winter abwechselnd stickig warm und eisekalt war, in der es im Frühjahr und Herbst immer feucht war. Die von ihren oftmals überforderten Eltern geprügelt und gemaßregelt wurden. Die vor Mobbing und körperlicher Gewalt von anderen Kindern keinen Schutz bekamen. Die von ihren Lehrern, oftmals ausgemusterte preußische Unteroffiziere mit Befehlston, auf heftigste malträtiert und geschlagen wurden. Die, wenn sie als Leibeigene aufwuchsen, ihr Leben lang in den Dienste eines Fronherrn knechten mussten.
Sie alle lernten: Mein einziger Trost im Leben und im Sterben ist, das ich nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin. Ich bin also auch nicht Eigentum meiner Eltern, nicht Eigentum der boshaften und schwatzhaften Nachbarn, nicht Eigentum eines gewalttätigen Schulmeisters, nicht Eigentum eines übergriffigen Fronherrn – sondern einzig und allein meines getreuen Heilands Jesu Christi.
Und egal welche Schuld und welche üble Nachrede in der engen Welt des Dorfes, das du nie verlässt, dir dein Lebtag anhängt: Dieser dein Heiland Jesus Christus hat mit seinem teuren Blut für alle deine Sünden vollkömmlich bezahlt. Er hat dich aus aller Gewalt des Teufels errettet. Hab keine Angst. Lass dir von niemandem Angst machen, du müsstest in die Hölle kommen. Dein Heiland ist dir vorausgegangen, und dein himmlischer Vater im Himmel sorgt dafür, dass kein Haar von deinem Haupt fallen kann; und dass alles dir zu deiner Seligkeit dienen muss.
Ich finde es berührend, dass Generationen von Kindern das auswendig gelernt und als geistiges Gepäck ihren Lebtag mit sich herumgetragen haben, wie einen Schutz gegen alle innerliche und äußerliche Anfeindung und Anfechtung.
Und was sagen wir heute? Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?
Ich habe zum Beispiel als Schüler überlegt, wie ich wohl Isolationshaft durchstehen könnte, sollte ich jemals in die Situation kommen. Der Grund: Ich las Mitte der 1980er Jahre ein Buch von Manes Sperber, das damals den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen hatte: „Wie eine Träne im Ozean“. Das Buch erzählt aus der Perspektive eines kommunistischen Aktivisten, wie die stalinistischen Säuberungsaktionen in den 1930er Jahren die Kommunistische Bewegung zerstörten. Wie die Kommunistische Bewegung zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus aufgerieben wurde.
Ich war ganz beeindruckt davon, was Sperber über die Widerstandskraft von kommunistischen Aktivisten erzählt, die Monate von Isolationsfolter durchstanden, weil sie einen Schatz von auswendiggelernter Literatur in sich trugen. Dieser Schatz, diese innere Welt, hat ihnen es möglich gemacht, sich in der dunklen Zelle gedanklich an etwas abzuarbeiten. Sie hat sie davor bewahrt, wahnsinnig zu werden.
Was ist dein innerer Schatz, den du mit dir herumträgst und den dir niemand nehmen kann?
Der Predigttext für den heutigen Sonntag handelt von der uralten christlichen Hoffnung, die Millionen von christlichen Märtyrern den Rücken gestärkt hat: von der Auferstehung von den Toten.
Der Apostel Paulus schreibt der Gemeinde in Korinth, wie sie sich das vorstellen können, die Auferstehung von den Toten. Wie sieht das aus, was passiert da wirklich? Paulus ringt um Erklärungen, er bemüht sich um Verständlichkeit. Er will ja auch der Gemeinde nichts überstülpen. Sondern er will etwas anbieten, was wirklich Trost sein kann, im Leben und im Sterben.
Ich lese vor aus dem 1. Korinther 15,50-58:
Das sage ich aber, liebe Brüder und Schwestern, dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können; auch wird das Verwesliche nicht erben die Unverweslichkeit.
Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune erschallen und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden.
Denn dies Verwesliche muss anziehen die Unverweslichkeit, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit.
Wenn aber dies Verwesliche anziehen wird die Unverweslichkeit und dies Sterbliche anziehen wird die Unsterblichkeit, dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht: »Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?«
Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz.
Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus!
Darum, meine lieben Brüder und Schwestern, seid fest und unerschütterlich und nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, denn ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.
So weit der Predigttext. Ich fasse zusammen: Das, was an uns verweslich ist, erbt nicht das Reich Gottes, also unserer biologischer Körper. Das Reich Gottes kommt plötzlich mit dem Schall der letzten Posaune, und es kommt bald. Paulus rechnet sogar damit, dass einige von denen, die er anschreibt, es noch zu Lebzeiten erleben werden. Aber dann werden die Lebenden und die Toten verwandelt. Der verweslichen Leib wird in etwas Unverwesliches verwandelt werden.
So stellt sich Paulus das vor. Nun wissen wir, dass die letzte Posaune bis heute nicht erklungen und das Reich Gottes in der Form bis heute noch nicht gekommen ist. Wir würden heute eher sagen: Das Reich Gottes kommt nicht als große pompöse Megaveranstaltung über uns hereingebrochen. Sondern in das Reich Gottes gehen wir ein, wenn wir entschlafen, wenn wir sterben.
Wie wir Teil dieses Gottesreiches werden, das wissen wir nicht. Aber wir können uns Vorstellungen davon machen. Mir helfen mystische Vorstellungen. Auf einer Seebestattung habe ich eine Bestatterin einmal erzählen hören, dass die Urne sich im Salzwasser allmählich auflöse, und dass Ströme unter der Wasseroberfläche die Asche allmählich in der Ostsee verwirbeln, später Teile der Asche auch durch Kattegat und Skagerak in die Nordsee treiben – und von dort über die Ozeane der ganzen Welt verteilen. Was wir einmal waren, geht ein in den Kreislauf des Lebens und setzt sich irgendwo wieder zu neuem Leben zusammen.
Ich fand die Vorstellung tröstlich und schön. Meine Vorstellung ist ähnlich, aber doch etwas anders. Sie verbindet sich weniger mit meinem verweslichen Leib. Sie verbindet sich eher mit dem, was Paulus das Unverwesliche nennt.
Ich stelle mir vor, dass wir jetzt schon, zu Lebzeiten, wenn wir alles Denken einstellen, wenn wir innerlich ganz ruhig werden, unsere Individualität auflösen können. Es sind nur Momente. Es können Momente in Einsamkeit sein. Es können aber auch Momente der Selbstvergessenheit in vertrauter Runde sein, im Beisammensein mit Menschen, denen man sich nah fühlt. In dieser Selbstvergessenheit lösen wir uns auf, werden eins mit den anderen oder auch eins mit unserer Umgebung.
Und genau dasselbe – so stelle ich es mir vor – passiert, wenn wir den Schritt vom Leben in den Tod machen. Wir stürzen nicht in ein Nichts, sondern wir vergessen uns selbst. Und ich kann schon zu Lebzeiten diesen Kontrollverlust als etwas Schönes erleben, als etwas Gewinnbringendes und Erfüllendes.
Vergänglich ist alles, was wir einsalben und mit Medikamenten versorgen; was irgendwann faltig und knittrig wird und was uns Schmerzen bereitet. Vergänglich ist aber auch alles, was wir uns aus eigener Kraft um uns erschaffen. Unvergänglich ist, was uns aus Gnade zufliegt, was einfach da ist. Ich stelle mir vor, dass – wenn wir sterben – das Unvergängliche übernimmt. Ich stelle mir das so vor, wie es auch Paulus einige Verse vor unserem Predigttext schreibt, dass Gott dann alles in allem ist. Und wir gehen in Gott auf, wir alle beieinander und miteinander.
Ich weiß nicht, was Ihre Vorstellungen sind. Aber ich kann Sie nur ermutigen, sich auf die Suche zu machen und Ihren Frieden zu schließen mit dem, was wirklich trägt. Mit dem einzigen Trost im Leben und im Sterben.
Amen.
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