Die eine dient, die andere hört

Die eine dient, die andere hört

Die eine dient, die andere hört

# Predigt

Die eine dient, die andere hört

Liebe Gemeinde, 

gestern haben wir zum Generationennachmittag eingeladen. Kinder und Seniorinnen, Eltern und Jugendliche, alles wuselte im großen Gemeindesaal durcheinander. Wir haben eine Pinwand aufgehängt, an die man heften konnte, was man von anderen an Unterstützung und Hilfe gebrauchen könnte, und was man selbst anderen anbieten kann. Wir haben Spiele ausgeteilt: Die Damen vom Frauenkreis spielten mit Müttern von Kita-Kindern Rummy Cup. Die Eltern und Jugendliche spielten „Twister“ auf einer Plane, auf der sie mit ihren Füße und Händen verschiedenfarbige Punkte berühren müssen, was zu sonderlichen Verrenkungen führt. 

Wir wollten die Generationen zueinander führen, damit wir einander helfen und beispringen können. Unsere Gemeindepädagogin Janina Wong hatte den Nachmittag vorbereitet. Leider war sie gestern erkrankt. Mit ihr wäre es sicherlich noch viel lustiger und aufregender geworden, als es ohnehin schon war. 

Als Impuls haben wir am Anfang die Geschichte von Marta und Maria gehört, bei der es auch um das Dienen geht. Und ich muss sagen: Diese Geschichte ist nicht leicht verdaulich. Sie ruft jede Menge Widerspruch hervor. Aber gerade deshalb eignet sie sich so gut, dass wir miteinander darüber ins Gespräch kommen. Ich lese die Geschichte vor, sie ist nicht lang. Sie steht am Ende des 10. Kapitels im Lukasevangelium: 

Als Jesus und seine Jünger weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. 

Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen. 

Und Marta trat hinzu und sprach: «Herr, macht es dir nichts aus, dass meine Schwester mich alles allein machen lässt? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!» 

Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: «Du bist so besorgt und machst dir Gedanken um so vieles. Eins aber ist nötig. Maria hat das gute Teil erwählt; das wird ihr niemand mehr wegnehmen.»

 

Ich gebe zu: Wie viele Geschichten über Jesus, auch wie viele Geschichten von Jesus, nimmt man so eine Geschichte nicht einfach widerspruchslos hin. Marta rackert sich ab, und Maria hockt da und lässt ihre Schwester schuften. Marta beschwert sich, zurecht. Man könnte den Haushalt auch gemeinsam in Ordnung bringen, und dann können sich alle hinsetzen und miteinander reden. Und: "Jesus, du könntest doch auch mal eben helfen und die Linsen aufsetzen oder das Gemüse schneiden oder die Teller aufdecken! Irgendjemand muss doch die Gäste bewirten. Sonst gehen alle ohne Abendessen ins Bett." 

Aber Jesus übergeht Martas berechtigte Beschwerde. Er scheint sie sogar eher zu tadeln als zu loben, dass sie so besorgt ist und sich so viele Gedanken macht. Stattdessen lobt er Maria. Und er sagt: Eines sei nötig. ἑνὸς δέ ἐστιν χρεία, heißt es auf Griechisch. Χρεία meint sogar eher: Eines wird gebraucht, ganz praktisch gebraucht. Und er fügt hinzu: „Maria hat das gute Teil erwählt.“ In manchen Übersetzungen steht sogar: „Maria hat das bessere Teil erwählt“, eine richtige Ohrfeige für diejenige, die sich abmüht und das Leben für die anderen so angenehm wie möglich gestaltet.  

Ich kann verstehen, dass man sich mit diesem Text schwertut. Aber ich möchte dennoch eine Lanze für ihn brechen. Und ich tu das, indem ich mir den Zusammenhang anschaue, in dem der Text steht. 

Jesus ist auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem. Er hat bereits zweimal bekannt gegeben, dass er, der Menschensohn, leiden und sterben muss. Das heißt: Wir wissen bereits, dass Jesus seinen letzten Weg antritt. Und das hat Folgen, wie diese Begebenheit im Hause von Marta und Maria in der Bibel gedeutet wird. 

Auch der Evangelist Johannes weiß von Jesu Besuch bei Marta und Maria und dass Marta Jesus bedient hat und dass Maria zu seinen Füßen saß. Nur erwähnt der Evangelist Johannes nicht, dass Marta sich beschwert, auch nicht, dass Maria Jesus zuhört. Sondern Maria salbt Jesus mit kostbarem Öl, und sie trocknet seine Füße mit ihren Haaren. Sie erweist ihm also einen Dienst, vielleicht sogar einen letzten Dienst.  

Aber davon ist beim Evangelisten Lukas nicht die Rede. Sondern Lukas betont, wie passiv sich Maria verhält, und dass sie Jesus nicht dient, jedenfalls nicht wie Marta. 

Auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem durchquert Jesus mit seinen Jüngern Samarien. Die Leute dort weisen ihn ab. Sie bewirten Jesus nicht. Erst als er bei Marta und Maria ankommt, wird er gastfreundlich aufgenommen. 

Normalerweise betont Jesus, wie wichtig und richtig es ist, dass die Menschen Heimatlose wie ihn und seine Jünger aufnehmen und sie bewirten. Jesus hat also gar nichts dagegen, dass sich Menschen um ihn bemühen, im Gegenteil. Die Jünger wollen sogar die Samariter dafür strafen, dass sie so gar nicht gastfreundlich sind und Jesus abweisen. Aber Jesus wehrt das ab.  

Und dann kommt jemand und fragt Jesus nach dem höchsten Gebot. Es ist das Gebot, Gott und den Nächsten zu lieben. Und dieser Mensch fragt: „Wer ist denn mein Nächster?“ Jesus erzählt eine Geschichte von einem, der unter die Räuber fällt; und den ein Priester und ein Levit achtlos am Boden liegen lassen, weil sie ihren religiösen Dienst versehen müssen und sich mit dem Blut des Überfallenen nicht unrein machen dürfen. Nur ein Samariter, der des Weges kommt, ausgerechnet ein Samariter, weiß, dass er dem in Not Geratenen helfen und ihm dienen soll. Und er tut es.  

Jesus hat also weder etwas gegen Samariter, auch wenn sie ihn auf seinem Weg nach Jerusalem nicht bei sich aufgenommen haben, ihn nicht bewirtet haben. Er hat auch nichts gegen das Dienen, im Gegenteil. Der schätzt es, wenn man ihm hilft. Und für ihn ist der Dienst am Nächsten sogar das höchste Gebot. 

Unmittelbar, nachdem Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Samariter erzählt hat, kehrt er bei Marta und Maria ein. Und Marta tut genau das, was Jesus immer wieder auf dem Weg eingefordert hat: Sie dient ihrem Nächsten; sie hilft dem Reisenden und päppelt ihn auf; sie erfüllt das höchste Gebot, das es gibt. 

Und dennoch folgt Jesus ihrer Bitte nicht, Maria ihr zur Seite zu stellen, damit die Arbeit im Haushalt schnell gemeinsam erledigt werden kann. Ich glaube, wir können diese Geschichte nur im Zusammenhang des Lukasevangeliums verstehen. 

Maria, die Schwester der Marta, ist ja eine Namensschwester von Jesu Mutter, die der Evangelist Lukas am Anfang seines Evangeliums als eine Hörende schildert. Der Engel verkündet der jungen Frau Maria die Geburt eines Sohnes, die Geburt Jesu. Und Maria antwortet: „Mir geschehe nach deinem Wort.“ 

Ähnlich verhält sich Maria, die Schwester der Marta. Sie setzt sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Und darin, dass sie das tut, verhält sie sich wiederum ähnlich, wie die Maria im Johannesevangelium, die Jesus salbt und mit ihren Haaren trocknet. Beide ehren Jesus. Nur bei Lukas ehrt Maria ihn anders als die Maria im Johannesevangelium, auch anders als die im Haushalt dienende Marta: nicht mit einem aktiven Dienst. Sie ehrt den, der den Weg ins Leiden geht, mit einem passiven Dienst. Sie hört zu.

Marta beschwert sich. Sie nimmt diesen passiven Dienst nicht wahr. Sie sieht darin Faulheit, Scheu vor der Arbeit. Und sie fordert Jesus auf, Maria in die Küche zu schicken. 

Jesus gibt diesem Wunsch nicht nach. Nach dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter sollte man genau das aber erwarten. „Geh hin und tu desgleichen“, so endet Jesus ja, nachdem er das Gleichnis erzählt hat. „Tu es“! Nächstenliebe ist tätige Liebe.  

Aber hier scheint Jesus auf etwas anderes zu achten. „Du bist so besorgt und machst dir Gedanken um so vieles“, sagt er Marta. Und wenn Jesus von Sorge spricht, dann meint er in der Regel etwas Problematisches, etwas, das Unheil bringt. Die Sorge ist wie die Disteln im Gleichnis vom Sämann. Die Samen, die unter die Disteln fallen, können nicht gedeihen. Sie ersticken. 

„Sorget nicht“, ruft Jesus seinen Jüngern zwei Kapitel später zu. „Sorgt euch nicht um das Leben, was ihr essen sollt, auch nicht um den Leib, was ihr anziehen sollt. Denn das Leben ist mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung.“

Nicht Marias Dienst ist das Problem, eher ihre Sorge. Demgegenüber hat Maria „das gute Teil erwählt“, betont Jesus. Er sagt nicht „das bessere Teil“, wie es in vielen Übersetzungen steht. Er sagt: „das gute Teil“. 

Können wir das Gute nur für sich sehen? Oder erkennen wir es immer nur im Vergleich zum Schlechteren? Wenn „gut“ relativ ist - relativ zu etwas, das schlechter ist, dann meint Jesus hier: „das bessere Teil.“ Aber wenn gut einfach nur das ist, was vor Gott Bestand hat, nicht weil etwas anderes keinen Bestand hat, sondern weil es nun einmal für sich genommen vor Gott Bestand hat, dann muss nicht gemeint sein, dass Marias Passivität besser ist als Martas Aktivität. 

Auf jeden Fall hat sie etwas, das ihr niemand mehr nehmen kann. Sie hat Jesus zugehört. Sie hat demjenigen zugehört, der auf dem Weg ins Leiden ist, und dem man schon bald nicht mehr zuhören kann. 

Ich glaube, wir verstehen diese Geschichte tatsächlich nur im Zusammenhang. Im Zusammenhang wird deutlich, was den besonderen Dienst der Maria gegenüber dem aktiven Dienst der Marta auszeichnet. Maria ist eine Hörende. Und das Hören gehört eben auch zum Tun. 

Martas Dienst ist nach außen gerichtet. Marta tut etwas Richtiges. Marias Dienst ist nach innen gerichtet. Sie will in sich aufnehmen. Sie will Gottes Wort in sich aufnehmen. 

Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter gehen der Priester und der Levit achtlos an dem Menschen vorbei, der blutüberströmt im Straßengraben liegt. Priester und Levit folgen ihren religiösen Regeln, und die besagen: Berühre kein Blut, denn dann machst du dich unrein für deinen Opferdienst, den du versehen musst.  

Jesus sagt: Diese Art von Dienst ist hohl. Das Gegenteil ist richtig. Verhalte dich wie der barmherzige Samariter. Er dient dem Nächsten, der in Not ist. Marta verhält sich wie der barmherzige Samariter. Indem sie ihren Gast bewirtet, dient sie ihm richtig. Sie dient Jesus, und sie erfüllt das doppelte Gebot der Gottes- und Nächstenliebe.  

Dieses Wissen um den rechten Gottesdienst darf nicht sterben. Es darf auch nicht verkrusten und wieder hohl werden. Es soll lebendig bleiben. Zum Dienen gehört auch das Hören, die Aufmerksamkeit für das, was uns als Christinnen und Christen geboten ist. 

Und noch etwas kommt hinzu: Wir können Christus nur wirklich verstehen, wenn wir ihn vom Kreuz her verstehen. Nicht, weil er Wunder vollbracht hat oder weil er ethisch wertvolle Lehren in die Welt gesetzt hat, ist Jesus der Christus, der Messias. Sondern weil er seinen Weg bis ans Kreuz gegangen ist, weil er der Schmach nicht ausgewichen ist, so haben wir es am Anfang des Gottesdienstes gehört. Die Botschaft ist sperrig. Sie passt überhaupt nicht zur ausgelassenen Karnevalszeit. Sie ist anstrengend und gar nicht lustig. 

Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir sie uns immer wieder neu erschließen, als Hörende. Ja, es ist wohl so: Maria hat das gute Teil erwählt; das wird ihr niemand mehr wegnehmen. 

Amen.

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