Einander annehmen - kriegen wir das hin?

Einander annehmen - kriegen wir das hin?

Einander annehmen - kriegen wir das hin?

# Predigt

Einander annehmen - kriegen wir das hin?

Liebe Gemeinde, 

Christus ist auferstanden. Er hat den Tod überwunden. Das ist Grund unserer Hoffnung. Darum geht es uns in unserem Glauben. Alles andere ist davon abgeleitet. Unser Glaube ist voller Hoffnung, voller Erwartung von etwas Größerem, auch voller Optimismus, dass Gott den Lauf der Welt in seinen Händen hält.  

Und wir können Zeuginnen und Zeugen dieses Glaubens werden, indem wir uns in unserem Tun von dieser Hoffnung antreiben lassen:

  • Indem wir uns von der Hoffnung antreiben lassen, dass das Miteinander von Menschen unterschiedlichster Herkunft in unserer Gesellschaft gelingen kann. 
  • Indem wir uns von der Hoffnung antreiben lassen, dass wir, die Menschen, doch noch das Ruder herumreißen und diesen Planeten als einen bewohnbaren Planeten erhalten können, der für uns alle eigentlich ausreichend Wasser und Lebensmittel bereithält. 
  • Indem wir uns von der Hoffnung antreiben lassen, dass da ein Gott ist, der unser Leben und Sterben in seinen Händen hält, der uns in sein ewiges Reich aufnimmt, wenn unser Leben hier auf dieser Erde zu seinem Ende kommt. 

Christus ist auferstanden. Er hat den Tod überwunden – seinen Tod und unseren Tod. Darum geht es, wenn wir Ostern feiern. Darum geht es an jedem Sonntag. Denn jeder Sonntag ist ein kleines Osterfest. 

Und darum geht es in jedem Festzyklus der Kirche, auch im Weihnachtsfestzyklus. Wir feiern die Ankunft Gottes auf Erden, die Ankunft dessen, der den Tod überwindet. Auch Weihnachten ist so etwas wie ein Osterfest. Und wie das Osterfest mit einer Vorbereitungszeit eingeleitet wird, der Passionszeit, so wird auch Weihnachten mit einer Zeit der Vorbereitung eingeleitet, dem Advent. 

Im Advent warten wir auf das Kommen Christi. Der heutige Predigttext thematisiert, wie die Hoffnung, die dieser Christus in uns stiftet, unseren Glauben und unser Leben ausfüllen kann, so dass wir Zeuginnen und Zeugen unserer Hoffnung werden. So wünscht es uns jedenfalls der letzte und entscheidende Satz unseres Predigttextes:

„Der Gott, der Hoffnung schenkt, erfülle auch euch in eurem Glauben mit lauter Freude und Frieden. So soll eure Hoffnung über alles Maß hinaus wachsen durch die Kraft des Heiligen Geistes.“

Diesem Satz geht ein Unterweisung voraus, wie wir unsere Hoffnung aufrechterhalten können: indem wir aus dem lernen, was Menschen vor uns in der Heiligen Schrift aufgeschrieben und festgehalten haben. 

Und wie diese Hoffnung unser Tun antreiben kann: indem wir einander annehmen, egal wie unterschiedlich wir sind, egal wie unterschiedlich wir unseren christlichen Glauben verstehen. 

Gestern Vormittag war ich mit neun Offenbacher evangelischen Jugendlichen in der koptisch-orthodoxen Sankt Markus Kirche in Frankfurt Hausen. Wir fuhren mit S- und U-Bahn hin, und von dem dreistündigen Gottesdienst dieser Gemeinde haben wir immerhin noch eine Dreiviertelstunde mitbekommen. Uns war gesagt worden, das reicht; man müsse nicht die ganze Zeit dort ausharren. 

Wir fuhren bis zur U-Bahnhaltestelle Industriehof und liefen durch eine Mischung aus Wohn- und Gewerbegebiet. Nach etwa 10 Minuten standen wir vor dem ehemaligen Bürgertreff Käthe-Kollwitz im Wohnviertel Industriehof des Stadtteils Frankfurt-Bockenheim. Das 1963 von der städtischen Saalbau GmbH errichtete Gebäude war einst ein Frankfurter Bürgerhaus. Es ist ein einstöckiger Betonbau mit großen Scheiben, weiß verklinkert, der um ein Atrium herum angelegt ist. Vorne überm Eingang prangen ein goldenes koptisches Kreuz und die Aufschrift „St. Markus Koptisch-Orthodoxe Kirche“. 

Draußen heben sich die Gehwegwegplatten uneben als Stolperfallen. Drinnen herrscht der nüchterne Charme eines in die Jahre gekommenen Gemeindehauses aus den 60ern und 70ern, überall verteilt Auslagen und Plakaten der koptischen Gemeinde, auch Packkartons, denn dieses Haus soll abgerissen werden und einem koptischen Neubau weichen. 

Im Eingangsbereich hörten wir schon den über Lautsprecher übertragenen liturgischen Gesang aus dem Versammlungssaal. Wir legten unsere Taschen in einem Nebenraum ab. Und dann wurde uns die Tür zum großen Saal geöffnet. 

Drinnen: weihrauchgeschwängerte Luft, Rauchschwaden über einer hell erleuchteten Menschenmenge, die dicht in den Stuhlreihen stand. Rechts Frauen mit weißen Kopftüchern, links Männer, einige in weiße Gewänder gehüllt. Vorne eine Ikonenwand mit runden Bogendurchbrüchen, hinter denen sich Priester einem weiß beleuchteten Altar zuwandten und sangen. Vorne links vor der Ikonenwand Diakone, in weißen Gewändern, die auf den Gesang der Priester antworteten. 

Oberhalb der Ikonenwand blendete ein Beamer den Text ein, der gerade gesungen wurde – auf deutsch, koptisch und arabisch. Die Menschen standen, dann knieten sie, dann standen sie. Die Priester bereiteten Brot und Wein im Altarraum vor, sangen die Namen von Märtyrern, sangen Lobeshymnen auf Gott, meist auf deutsch, zwischendurch betete man das Vaterunser in atemberaubendem Tempo. 

Wir befanden uns mit einem Mal in einer völlig anderen Welt – auch einer christlichen Welt. Aber mein erster Gedanke war: Wir großartig, dass wir gleich mit diesem kleinen Kulturschock unser gemeinsames Austauschjahr von evangelischer Friedenskirche und koptisch-orthodoxer St. Markuskirche starten! Was für ein starker Impuls! 

Die Jugendlichen aus beiden Gemeinden, aus der evangelischen Friedenskirche und der koptischen Sankt Markus Kirche, haben sich danach in einem Nebenraum des ehemaligen Bürgertreffs, des heutigen koptischen Gemeindezentrums versammelt. Wir alle setzten an einen gedeckten Tisch. Gina Seidel von der koptischen Gemeinde hatte das Essen vorbereitet, dazu auch einige lustige Kennenlernspiele. Die Stimmung war gelöst, freundschaftlich. 

Einige Jugendliche aus beiden Gemeinden kannten einander auch schon aus Schule und Kindergarten. 

Und irgendwann kam die Frage auf: Woran glaubt ihr eigentlich? Das ist die entscheidende Frage in diesem Austauschjahr: 

Woran glaubt ihr eigentlich? 

Für uns Protestanten kommt die Frage auf, wenn wir diese opulente Liturgie erleben, in der Tag für Tag, Sonntag für Sonntag immer wieder derselbe Wortlaut wiederholt wird, dieselben Glaubensformeln, dieselben Gebete, dieselben Märtyrernamen. – Ist das euer Glaube, dass ihr immer dieselben Messliturgien runterbetet, Sonntag für Sonntag und dazu in der Woche am Mittwoch, Freitag und Samstag?

Und für die Kopten wird die Frage aufkommen, wenn sie unsere Gottesdienste sehen: Was hat das eigentlich noch mit der Bewegung zu tun, die Jesus Christus einst in Gang setzte? Wir Kopten feiern die Gottesdienste so, wie sie seit alters uns überliefert wurden. Wir halten das Erbe Christi wach. Wir sind sogar bereit, uns dafür verfolgen zulassen, Zeugen Christi zu werden, sogar zu sterben. Und ihr Protestanten – was ist eigentlich christlich an der Weise, wie ihr Gottesdienst feiert und im Alltag lebt?

Niemand hat diese Fragen so offen und konfrontativ gestellt. Dazu waren wir alle viel zu höflich, viel zu entgegenkommend und einander wohlgesonnen. Wir wollen ja, dass unser Miteinander gelingt. Und das ist das Schöne an dieser Begegnung, dass wir wohlwollend aufeinander zugehen, wohlwollend und neugierig. Und doch haben wir es mit zwei Christentümern zu tun, die voneinander so verschieden und einander so fremd sind, wie sie es nur sein können. 

Ich war froh und glücklich, dass unsere Jugendlichen die Unterschiede gespürt haben, aber auch ein Gespür dafür haben, wie wir gut miteinander umgehen können. Dass sie die Schönheit und die Pracht der koptischen Messe gespürt haben, auch die Kraft des koptischen Glaubens gleich erkannt haben, dass sie auch wertschätzend das andere gesehen haben, dass sie die anderen mit Liebe angesehen haben. 

Ich war froh und glücklich darüber, denn in dieser Begegnung waren wir schon weiter vorangekommen, als es die Menschen in den Gemeinden des Apostels Paulus damals waren, die es auch mit unterschiedlichen Christentümern zu tun hatten, einem traditionell-jüdischen Christentum – und einem unverschämt neuen heidnisch geprägten Christentum. 

Und genau davon handelt unser Predigttext. Paulus wirbt im Predigttext dafür, dass die von Gott geschenkte Hoffnung Menschen aus beiden Christentümern dazu antreibt, einander anzunehmen so, wie sie nun einmal sind. Dass sie in Verschiedenheit dennoch miteinander leben, wertschätzend, voller Liebe. Denn die Hoffnung von Ostern, dass Christus den Tod überwindet, dass Christus neues Leben, neues Miteinander möglich macht, steht hinter allem, was wir glauben. Und dass sollten wir dann auch durch unser Tun bezeugen. 

Ich lese Ihnen den Predigttext vor. Er steht im Römerbrief 15,4-13:

Alles, was in früherer Zeit in der Heiligen Schrift aufgeschrieben wurde, wurde festgehalten, damit wir daraus lernen. Wir sollen die Hoffnung nicht aufgeben. Dabei helfen uns die Ausdauer und die Ermutigung, die wir aus der Heiligen Schrift gewinnen können. Diese Ausdauer und diese Ermutigung kommen von Gott.

Er gebe auch, dass ihr euch untereinander einig seid – so wie es Christus Jesus angemessen ist. Dann könnt ihr alle miteinander Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, wie aus einem Munde loben.

Daher bitte ich euch: Nehmt einander an, so wie Christus euch angenommen hat, damit die Herrlichkeit Gottes noch größer wird. Denn ich sage: Weil Gottes Zusage wahrhaftig gilt, wurde Christus ein Jude und trat in den Dienst der Beschneidung. Denn Gott wollte einlösen, was er den Stammvätern versprochen hatte. 

Aber auch die Heiden haben allen Grund, Gott für sein Erbarmen zu loben. Denn in der Heiligen Schrift steht: »Darum will ich dir danken unter den Heiden. Deinen Namen will ich preisen mit einem Lied.« An einer anderen Stelle heißt es: »Freut euch, ihr Heiden, zusammen mit seinem Volk.« Und noch einmal an einer anderen Stelle: »Lobt den Herrn, alle Heiden! Preist ihn, ihr Menschen aus allen Nationen!« Und schließlich sagt Jesaja: »Aus der Wurzel Isais wird ein neuer Spross hervorgehen. Er wird sich erheben, um über die Heiden zu herrschen. Und auf ihn werden sie ihre Hoffnung setzen.«

Der Gott, der Hoffnung schenkt, erfülle auch euch in eurem Glauben mit lauter Freude und Frieden. So soll eure Hoffnung über alles Maß hinaus wachsen durch die Kraft des Heiligen Geistes.

Liebe Gemeinde, wir sollen einander annehmen, in aller Verschiedenheit des Glaubens. Wenn das wahr wird, und ich bin optimistisch, dass wir das im kommenden Jahr hinbekommen, dann werden wir Zeugen einer viel größeren Hoffnung, die Christus uns durch seinen Tod und seine Auferstehung in die Herzen gegeben hat: Dass wir weder dem Tod noch irgendeinem Untergang gewidmet sind. Sondern dass Zeichen der Hoffnung überall und mitten unter uns blühen. Anzeichen des kommenden Reiches Gottes. 

Nehmt einander an, so wie Christus euch angenommen hat, damit die Herrlichkeit Gottes noch größer wird.

Darum bittet Paulus seine Glaubensgeschwister. 

Dann könnt ihr alle miteinander Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, wie aus einem Munde loben. 

Ich bin zuversichtlich, dass wir nicht nur guten Grund für diese Hoffnung haben, sondern dass diese Hoffnung uns auch anstiften kann, Zeugen des Auferstandenen zu sein. Amen.

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