07/01/2025 0 Kommentare
Heilige Familie!
Heilige Familie!
# Predigt

Heilige Familie!
Liebe Gemeinde!
Heute singen wir besonders viele Weihnachtslieder. Wir haben extra einen dicht bedruckten, dreispaltigen Liedzettel für Sie ausgedruckt und gefaltet. Ich hoffe, Sie finden sich mit der Reihenfolge zurecht. Wenn Sie die Ziehharmonika-Faltung so lassen, wie wir sie Ihnen überreicht haben, müsste es funktionieren.
Ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so geht wie mir: Mich berühren Weihnachtslieder, sie machen sentimental, sogar etwas rührselig. Warum? Vielleicht, weil ich mit ihnen Kindheitserinnerungen verbinde. Ich kenne viele der Weihnachtslieder, die wir heute Abend singen, von Kindesbeinen an.
„Es ist ein Ros entsprungen“, zum Beispiel. Es hat lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass mit dem Ros‘ wirklich eine Rose gemeint ist. Sie finden die Rose als Clipart auf Ihrem Liedzettel neben den Text. Vielleicht hat ja der eine oder die andere von Ihnen heute auch so ein Aha-Erlebnis: Achso, eine Rose, kein Ross! Aus der Wurzel springt ein neuer Trieb, eine neue Blüte, wirklich eine Rose – das ist gemeint.
Auch „Ich steh an deiner Krippen hier“ habe ich als Kind kennengelernt. Ebenso: „Vom Himmel hoch“ – und natürlich „Stille Nacht, Heilige Nacht“, was wir gerade eben gesungen haben.
Weihnachtslieder berühren mich. Ich verbinde mit ihnen die eine oder andere Kindheitserinnerung. Sie gehören, seit ich denken kann, zu Weihnachten.
Und später, als meine Frau und ich selbst Kinder bekamen, auch da gehörten dieselben Lieder wieder zu Weihnachten. Wir haben sie unseren Kindern beigebracht. Und wenn wir zur Kirche gingen, haben wir sie dort mit ihnen gesungen. Und ich habe noch einmal aus der Erwachsenenperspektive dasselbe erlebt, was ich früher einmal als Kind durchlebt habe.
Weihnachten ist ein Familienfest. Wir feiern Weihnachten in der dunklen Jahreszeit, wenn man viel zuhause ist, die Familie viel unter sich ist. Die dunkle Jahreszeit ist eine Zeit, in der man daheim zusammenrückt.
Und diese Familienerinnerungen kommen später im Leben noch einmal hoch, wenn es Enkel gibt. Weil man ja alles ein drittes Mal durchlebt, nach all den Jahre Heiligabend in der Familie, nur, dass nun die kleinen Kinder bei den eigenen großgewordenen Kindern sind und mit ihnen gefeiert wird.
Und wenn es nicht die eigenen Kinder oder die eigenen Enkelkinder sind, dann sind es doch die Neffen und Nichten bzw. deren Kinder, mit denen man Weihnachten wieder und wieder durchlebt.
Weihnachten ist vor allem aber deshalb das Familienfest, weil es sich um die Heilige Familie dreht, um Josef, Maria und das Kind in der Krippe. Der Schlüsselmoment in der Weihnachtsgeschichte ist der Moment, als die Hirten gerade beschlossen haben: „Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.“ Und dann kommen sie eilend „und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen“.
Das ist die Szenerie, die mit mit jeder Weihnachtskrippe nachgestellt wird. Vater-Mutter-Kind, Josef vornübergebeugt vor der Krippe stehend – oder kniend, Maria gegenüber, stehend, sitzend, knieend, manchmal auf die Krippe blickend, manchmal das Kind im Arm. Beide völlig fixiert auf das Kind, als hätten sie nichts anderes zu sagen als. „Uns ist ein Kind geboren. Ein Sohn ist uns gegeben.“
Die Heilige Familie, so spottete einst der Philosoph Ludwig Feuerbach, sei nichts als eine Projektion. Die Menschen litten so sehr unter ihrer eigenen kaputten Familie, dass sie sich eine heilige Familie herbeifantasierten und sie in den Himmel projizieren würden. Die Menschen würden sich ein irreales Sehnsuchtsbild ausmalen, statt sich mit den realen Problemen der eigenen Familie auseinanderzusetzen.
Eine interessante Kritik. Aber stimmt sie wirklich? Ist die heilige Familie aus der Weihnachtsgeschichte wirklich so ein irreales Sehnsuchtsbild, das mit der Wirklichkeit der eigenen Familie so gar nichts zu tun hat?
Genau betrachtet stimmt das ja nicht. Denn Maria und Josef haben ein uneheliches Kind – was heute zum Glück überhaupt niemanden mehr stört. Aber zu Ludwig Feuerbachs Zeiten im 19. Jahrhundert machte man uneheliche Kinder noch zum Skandal, und zu biblischen Zeiten sowieso.
Außerdem denkt Josef darüber nach, seine schwangere Freundin sitzen zu lassen und abzuhauen. Ein Engel hält ihn davon ab. Aber es hätte auch anders kommen können. Und nach Weihnachten hören wir nie wieder was von Josef. Jesus hat noch mehrere Geschwister bekommen, erfahren wir im Markusevangelium. Aber da gilt Jesus nur noch als Sohn der Maria und Bruder des Jakobus, Joses, Judas und Simons bekannt – dazu kamen dann noch einige Schwestern. Von Josef kein Wort! Die Heilige Familie, eine alleinerziehende Mutter mit acht bis zehn Kindern – hätten Sie das gedacht?
In der Weihnachtsgeschichte sind Josef und Maria unterwegs, als Maria hochschwanger ist und ihr erstes Kind bekommen soll. Sie sind Migranten, fahrendes Gesindel. Und ihr Kind kommt in ärmlichen, oder genauer: erbärmlichen Zuständen zur Welt. Soll man nicht erst Kinder in die Welt setzen, wenn die Ausbildung abgeschlossen ist und die Verhältnisse abgesichert sind? Nein, das muss man gar nicht. Kinder kommen, wie sie kommen.
Als Jesus geboren wird, kommen schräge Gestalten zusammen, Hirten vom Felde, Sterndeuter von weit weg aus dem Ausland, und trotzdem – man kann über diese Geburtsszenerie viel die Nase rümpfen. Aber gerade deshalb, wegen all dieser Brechungen, ist die Geburt Jesu so ein schönes Ereignis.
In der Weihnachtsgeschichte geht so vieles drunter und drüber. Die heilige Familie ist gar nicht so „heilig“, so „fromm“, so perfekt, wie sie oft dargestellt wird.
Und gerade, wenn es bei einem selbst selbst nicht so rundläuft, wenn in der eigenen Familie so manches aus dem Ruder läuft, dann wird man vielleicht auch aufmerksam darauf, wie viel mehr noch bei der heiligen Familie aus dem Ruder gelaufen ist. Die heilige Familie ist gar kein Gegenbild zur eigenen Familie. Sie ist ihr Spiegelbild.
Und Weihnachtslieder sind die Begleitmelodie zu alledem. Sie sind von vertrauten Melodien getragen. Und die Liedtexte, die manche von uns noch auswendig können, obwohl wir sie immer nur einmal im Jahr singen, diese Liedtexte fangen irgendwann an, uns zu tragen und emporzuheben.
Der König der Ehren verschmäht nicht zu ruhen in Mariens Schoß, heißt es gleich im ersten Lied, das wir heute gesungen haben. Maria, das unscheinbare Mädchen, das nun auf einmal ein Kind im Schoß liegen hat und eine riesige Verantwortung trägt. Kann sie diese Verantwortung überhaupt stemmen? Wir wissen nicht, was sich Maria nach der Geburt gedacht hat, wie sie mit dieser Verantwortung klargekommen ist. Aber der König der Ehren ist es, der in ihrem Schoß ruht. Er hat Maria dafür ausgesucht. „Du schaffst das, Maria. Du bist die Richtige für diese Aufgabe. Und wenn nicht alles rund läuft: Das Kind wird seinen Weg gehen, hab Vertrauen, Maria!“
„Es ist eine Rose entsprungen, mitten im kalten Winter!“ Zur Unzeit kommt dieses Kind zur Welt, dazu noch mitten in der Nacht: „wohl zu der halben Nacht“. Aber „mit seinem hellen Scheine, vertreibts die Finsternis“. Maria und Josef denken nicht an ihr Elend. Sie sehen sich das Kind an, sie freuen sich an ihm, sie vergessen für einen Moment ihre Obdachlosigkeit.
Und auch im nächsten Lied vertreibt das Kind die Finsternis: „Ich lag in tiefster Todesnacht, und du – kleines, neugeborenes Kind – warest meine Sonne. Die Sonne, die mir zugebracht, Licht, Leben, Freud und Wonne.“
Und dann „seh ich dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen. Und weil ich nun nicht weiterkann, bleib ich anbetend stehen. O, dass mein Sinn ein Abgrund wär‘ und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen!“
Weihnachten ist ein Familienfest. Wir feiern nicht die perfekte Familie. Im Gegenteil, wir feiern, dass Gott sich eine unvollkommene, eine ganz normale Familie mit all ihren Sorgen und Problemen ausgesucht hat. In dieser Familie will Gott wohnen. Von ihr möchte er gesehen und geliebt sein. In ihr möchte er unter uns Menschen zur Welt kommen.
„Hört, der Engel helle Lieder: Sie klingen das weite Feld entlang. Und die Berge hallen wider von des Himmels Lobgesang.“ Und das singen wir jetzt. Amen.
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