07/01/2025 0 Kommentare
Heimsuchung
Heimsuchung
# Predigt

Heimsuchung
Liebe Gemeinde!
Vermutlich geht es Ihnen wie mir, dass Sie auch noch ganz fertig sind von dem Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. Von den vielen Menschen, die von dem Auto überrollt wurden, von einem Auto, das ein Mann voller Absicht und Bosheit in die Menge unschuldiger Menschen steuerte. Von den arglosen Menschen, die nicht einmal zwei Tage tot sind. Von den vielen arglosen Menschen, die teils mit schweren Verletzungen im Krankenhaus liegen. Aber auch von den anderen Arglosen, die jetzt ihr Leben lang von diesem Schrecken gezeichnet sind, dass da jemand hinterm Lenkrad einfach so in die Menge hineinsteuert, auf Menschen zu, die nichts Böses wollen, die einfach nur ein bisschen Glück suchen. Wie sollen all die Menschen, die das erlebt und überlebt haben, diesen Schrecken jemals überwinden? Wie sollen sie noch arglos auf einen Weihnachtsmarkt gehen? Und warum sucht uns der Terror immer wieder zur Vorweihnachtszeit heim, auf einem Weihnachtsmarkt und kurz vor dem Fest der Liebe, kurz vor dem Fest, an dem die Engel „Friede auf Erden“ ausrufen?
Am vergangenen Montag bin ich noch mit meiner Frau in Frankfurt über den Weihnachtsmarkt auf dem Goetheplatz gelaufen, an diesen riesigen Pollern vorbei, die Attentäter davon abhalten sollen, genau das zu tun, was jetzt wieder passiert ist. Am Montag ging von diesen Pollern auf mich noch ein Gefühl der Sicherheit aus: Wieder eine Sicherheitslücke gestopft, dachte ich. Wieder eine Form des Attentats unmöglich gemacht. Ich irrte, und das Gefühl von Unsicherheit ist zurück. Da hat wieder jemand eine Lücke gefunden.
Was geht im Kopf eines Menschen vor, der so etwas tut. Diesmal war es kein Islamist, sondern ein Antiislamist, heißt es. Es war kein Religiöser, es war ein Atheist. Es war niemand, der sich für eine restriktive Migrationspolitik rächen wollte, sondern es war einer, der sich für eine restriktive Migrationspolitik stark machen wollte. Es war keiner, der sich von einem Terrorland wie Saudi Arabien einspannen lässt, sondern einer, dem Saudi Arabien nach dem Leben trachtet.
Aber es war einer, der schon immer andere lautstark beschimpfte. Einer, der Drohungen ausstieß. Einer, der mit seinem Dickschädel durch die Wand wollte. Einer, auf den die Polizei schon aufmerksam geworden war. Was hat dieser Mensch gemeinsam mit den anderen, die er selbst bekämpft, gegen die er selbst lautstark anredet? Vermutlich vor nur eines: die Gewalt – die Gewalt in seinen Gedanken, in seiner Sprache und in seinen Taten.
Und wir könnten jetzt selbst in den Chor der Gewaltsamen einstimmen, wie alle, die nur Gewalt in ihren Gedanken hegen. Wir können Gewalt in unsere Gedanken, in unsere Sprache und in unsere Taten einfließen lassen – wie es jener Attentäter von Magdeburg getan hat. Aber dann würden wir uns nur mit ihm und mit Leuten wie ihm gemein machen. Und wir würden vermutlich die Heimsuchungen des Terrors niemals los.
Nein, wir sind jetzt aufgerufen, genau hinzuhören. Denn „meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR“ (Jesaja 55,8-12), „sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.
Welche Gedanken uns an diesem 4. Advent umtreiben sollen, welche Gedanken wir dem wahllosen Terror von Magdeburg entgegensetzen können, sagt uns das Evangelium für den heutigen Sonntag. Es ist zugleich der Predigttext. Lene hat ihn gerade vorgelesen, und er erzählt von einer so ganz anderen Heimsuchung als jener vom vergangenen Fraitag.
„Heimsuchung Mariens“ wird diese Erzählung traditionell überschrieben. „Heimsuchung“, das heißt, „daheim aufsuchen“, „bei jemandem zuhause einkehren“, hier aber nicht laut, gewaltsam und als Mörder, sondern still, demütig und lebensstiftend.
Das junge schwangere Mädchen Maria besucht die alte Frau Elisabeth, die ebenfalls schwanger. Maria sucht Elisabeth heim, sie sucht sie in ihrem Heim auf. Keine von beiden hat Grund, laut aufzutreten. Eher scheuen sie das Licht der Öffentlichkeit. Maria ist unverheiratet und schwanger. Sie trifft das Stigma der Schande. Die Nachbarn tuscheln, die Leute reden Böses über sie.
Die andere ist seit Jahrzehnten verheiratet und seit Jahrzehnten kinderlos. Auch sie trifft das Stigma der Schande: Die Nachbarn tuscheln und reden Böses auch über sie: „Sie kann keine Kinder bekommen“, ätzen die Nachbarn, und sie sagen: „Wozu ist diese alte Frau überhaupt nütze? Soll ihr Mann sie doch verstoßen!“
So reden die Leute, voller Verachtung und Selbstgerechtigkeit. So reden die Tyrannen über den freien Westen: Er sei verkommen, sagen sie, moralisch verkommen. „Und wir“, sagen sie, „sind doch so viel besser. Bei uns ist ein Mann noch ein Mann. Bei uns ist eine Frau noch eine Frau.“ – So reden die Tyrannen, und mit ihrem toxisches Männer- und Frauenbild vergiften sie ihre Völker, und das Gift lassen sie in alle Welt hinausströmen. Sie schicken ihre Männer in den Krieg, sie lassen sie in den Tod ziehen, sie unterdrücken ihre Frauen, sie säen Unheil über Unheil.
Und die Bibel erzählt uns heute eine Geschichte über zwei Frauen in prekären Situationen, Frauen am Rande, Frauen, die keiner will und keiner mag, verachtete Frauen.
Und ausgerechnet in ihnen meldet sich das Leben zu Wort. Plötzlich strampelt da etwas in Elisabeth. Das Kind in ihrem Bauch grüßt das andere im anderen Bauch. Von Mutterleib zu Mutterleib grüßt ein werdendes Leben das andere. Der eine, das Kind der Elisabeth, wird später Johannes heißen. Und er wird später den anderen taufen, Jesus, das Kind der Maria.
Das Leben meldet sich zu Wort, oder besser gesagt: das Wort meldet sich ins Leben. Das Wort wird Fleisch, wird anfassbares Leben. Und es wohnte mitten unter uns, so heißt es im Johannesevangelium. Wort und Geist nehmen Gestalt an. Gott wird Mensch, damit wir Menschen werden. Das Wort Gottes nimmt in diesen beiden Frauen Gestalt an. Und beide Frauen geraten außer sich vor Freude über das, was mit und in ihnen geschieht.
Maria singt von dem, der da kommt, still und leise. „Meine Seele erhebt den Herren. Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.“ Gott kommt zu den Geringen, Gott kommt nicht zu denen, die laut tönend daher fahren. Er kommt zu den Stillen im Lande, zu denen, die am Rand stehen, die keiner beachtet. Zu denen, die man allenfalls verachtet.
Mehr noch: „Gott stößt die Gewaltigen vom Thron, und erhebt die Niedrigen.“ Mit starkem Arm fährt Gott daher, aber es ist Gott, und Maria und Elisabeth überlassen es Gott, mit starkem Arm einherzufahren.
Gott kommt nicht dahin, wo Hass, Zorn und Gewalt sind. Gott kommt in die Stille, in die Demut, dahin, wo Menschen einander Schutz und Zuflucht bieten, wie Mütter ihren werdenden Kinder.
Maria gibt Gottes Wort Raum und Schutz. Sie birgt Gottes Wort in ihrem Leib. Sie schützt das entstehende Leben, das Gott aus ihr hervorbringt. Sie selbst bleibt passiv. Gott ist es, der an ihr wirkt.
Martin Luther verehrte Maria. Er nannte sie die „allerseligsten Jungfrau“. Von Luther stammt auch die Aufforderung, wir Menschen sollten einander ein Christus werden. Und ja, das sollen wir.
Heute hören wir aber noch etwas anderes. Wir sollen auch für Gottes Wort eine Maria werden. Wir sollen es in uns tragen, hüten und beschützen. Wir sollen nicht laut schwadronierend durch die Welt laufen und uns mit denen gemein machen, die das Leben zerstören. Wir sollen das lebensspendende, das lebenschaffende Wort Gottes in uns tragen. Wir sollen mit ihm schwanger gehen. Wir sollen es bergen und behüten, dass Gottes Wort in uns Gestalt annehmen kann. Wir sollen Gott in uns Raum geben.
Und dann wird sich erfüllen, was der Prophet Jesaja verheißt, und ich lesen Euch diese Verheißung noch einmal vor: „Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.“ Amen.
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