08/01/2025 0 Kommentare
Leitstern
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# Predigt

Leitstern
Liebe Gemeinde,
Elke Heumann fragte mich neulich, warum wir denn immer wieder die gleichen Texte im Gottesdienst zu hören bekommen. In der Bibel stünden doch so viele Geschichten, die auch hörenswert sind – warum immer die gleichen? Ihr war nämlich aufgefallen, dass einige Lesungen sich innerhalb eines halben Jahres tatsächlich wiederholt hatten. Mir kam das auch so vor, ich habe es dann nicht überprüft. Ich hätte es in Vorbereitung dieser Predigt überprüfen können. Warum ich das nicht tat, dazu gleich mehr.
Jedenfalls war meine Antwort: Die Lesungen sind von einer theologischen Kommission vorgegeben worden. Eigentlich sollten sie sich nicht wiederholen, eigentlich sollten wir über einen Zeitraum von sechs Jahren immer etwas Neues zu hören bekommen.
Meine Antwort war etwas billig, denn ich habe mich mit Verweis auf eine Kommission, die diese Entscheidungen trifft, aus der Verantwortung herausgenommen. Und so sollten wir Christenmenschen eigentlich nicht handeln. Eigentlich verstehen wir uns als freie, und somit auch verantwortlich handelnde Menschen. Wir sind nicht an religiöse Weisungen oder Vorgaben gebunden, sondern allein an unser Gewissen.
Und damit bin ich bei der eigentlichen Frage, die mir der Predigttext für den heutigen Sonntag aufgibt. Er handelt von den drei Weisen aus dem Morgenland, die – wie wir vorhin gehört haben – mittlerweile bei der Krippe angelangt sind. Er steht bei Matthäus am Anfang des zweiten Kapitels:
Jesus wurde in Betlehem in Judäa geboren. Zu dieser Zeit war Herodes König. Da kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem. Sie fragten: »Wo ist der neugeborene König der Juden? Denn wir haben seinen Stern im Osten gesehen und sind gekommen, um ihn anzubeten.«
Als König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm alle in Jerusalem. Er rief zu sich alle führenden Priester und Schriftgelehrten des Volkes. Er fragte sie: »Wo soll der Christus geboren werden?«
Sie antworteten ihm: »In Betlehem in Judäa! Denn im Buch des Propheten steht: ›Du, Betlehem im Land Juda, du bist keineswegs die unbedeutendste unter den Städten in Juda. Denn aus dir wird der Herrscher kommen, der mein Volk Israel wie ein Hirte führen soll.‹«
Später rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich. Er erkundigte sich bei ihnen genau nach der Zeit, wann der Stern erschienen war. Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: »Geht und sucht überall nach dem Kind! Wenn ihr es findet, gebt mir Bescheid! Dann will auch ich kommen und es anbeten.«
Nachdem die Sterndeuter den König gehört hatten, machten sie sich auf den Weg. Derselbe Stern, den sie im Osten gesehen hatten, ging vor ihnen her. Dann blieb er stehen, genau über der Stelle, wo das Kind war.
Als sie den Stern sahen, waren sie außer sich vor Freude. Sie gingen in das Haus und sahen das Kind mit Maria, seiner Mutter. Sie warfen sich vor ihm nieder und beteten es an. Dann holten sie ihre Schätze hervor und gaben ihm Geschenke: Gold, Weihrauch und Myrrhe.
Gott befahl ihnen im Traum: »Geht nicht wieder zu Herodes!« Deshalb kehrten sie auf einem anderen Weg in ihr Land zurück.
Die Frage, die sich mir stellt, welcher Stern leitet die Weisen dahin, wo sie eigentlich hinsollen und auch -wollen?
Heute morgen habe ich verschlafen. Eigentlich dachte ich, ich hätte den Wecker auf 7 Uhr gestellt, weil ich ja noch die Predigt vorbereiten musste. Um 10 vor acht fragte meine Frau: „Musst du nicht aufstehen?“ Ich stand auf, machte mich fertig und wollte mich an den Schreibtisch setzen. Da sah ich draußen Schnee liegen, und ich sah einen schneebedeckten Fußweg vor unserer Kirche. Und ich dachte: Schnee fegen oder Predigt schreiben.
Komischerweise schoss mir in dem Moment das Gleichnis vom barmherzigen Samariter in den Sinn, und ganz besonders der Priester und der Levit, die an dem unter die Räuber Gefallenen vorbeigingen und nicht halfen, weil sie religiöse Aufgaben zu verrichten hatten. Und ich entschied mich für Schnee schippen.
Welcher Stern leitet die Weisen, welcher leitet Sie, wenn Sie Entscheidungen treffen.
Ich hätte heute morgen auch sagen können: "Die Vernunft leitet mich; lieber eine schlechte Predigt als ein Beinbruch vor der Haustür." Oder ich hätte aus ebenso guten Vernunftgründen sagen können: "Eigentlich fegt bei uns ein Reinigungsunternehmen vor der Tür. Wenn ich jetzt fege und nicht ordentlich fege, dann sind die nicht verantwortlich, wenn jemand stürzt. Also lieber nicht fegen."
Die Weisen lassen sich von einem Stern leiten. Es ist der Bibel zufolge der Stern, der über Jakob aufgeht. In Wirklichkeit weist dieser Stern auf den Messias, denn eigentlich geht der biblische Vers so: „Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen und wird zerschmettern die Fürsten der Moabiter und verstören alle Kinder des Getümmels. Edom wird er einnehmen, und Seir wird seinen Feinden unterworfen sein; Israel aber wird Sieg haben.“
Die Bibel verheißt einen mächtigen Messias, der seine Feinde unterwirft und Israel den Sieg schenkt. Und es kommt ein Kind in der Krippe, dass sein Gegenüber ganz anders bezwingt als ein Gewaltherrscher; der Israel so einen ganz anderen Sieg schenkt, als erwartet.
Der Stern, dem die Weisen folgen, mag zwar als Himmelskörper verbildlicht sein. Aber gemeint ist der Messias. Die Weisen sind ihm auf der Spur, dem Jesus von Nazareth.
Die Geschichte will uns eigentlich sagen, was das ganze Neue Testament uns sagen will: Woran sollen, woran können wir freien Christenmenschen unsere Entscheidungen ausrichten, wenn wir verantwortungsvoll handeln wollen? Und ich behaupte, die Antwort lautet: An Jesus Christus, an dem, wie er gelebt hat, wie er gehandelt hat, wie er geredet hat, wie er gestorben ist – nämlich indem er sich hingab. Und wir können auf ihn hoffen, weil er den Tod überwunden hat.
Das Wort ward Fleisch, so haben wir im Predigttext am ersten Weihnachtstag gehört. Das Wort wurde ein Mensch aus Fleisch und Blut. Und es lebte mitten unter uns. Und wir sahen seine Herrlichkeit.
Wenn Jesus in Gleichnissen verdeutlicht, was er sagen will, dann redet er von Menschen. Und ich kann mich an dem orientieren, was sich aus der Situation ergibt. Ich soll mich nicht an Worten orientieren, sondern an einem lebendigen Menschen und dem, was er mir mit seiner Geschichte aufgibt.
Ich hätte heute morgen sagen können: Da liegt ja keiner im Straßengraben, dem ich helfen könnte. Also lass ich das Schneeschippen und kümmere mich um die Predigt. Aber das gibt die Geschichte nicht her. Sondern sie erzählt von einem Menschen, der Erbarmen hatte, der sich eines anderen erbarmte. Und ich muss nicht erst warten, bis einer verunglückt, damit ich das verstehe.
Die Weisen richten sich und ihr Handeln ganz nach dem Stern aus. Einmal wird ihnen etwas im Traum klar, so wie sich eben viele Gedanken über Nacht setzen und uns auch vieles über Nacht klar wird. Gott befahl den Weisen im Traum, sie sollten nicht zu Herodes zurückkehren. Und die Weisen verstanden das.
Ihr Gegenspieler Herodes orientiert sich auch an etwas – an seinen eigenen Machtinteressen. Herodes erschrickt, als er von einem Königskind hört, einem möglichen Konkurrenten auf dem Königsthron. Er holt seine Ratgeber. Und dann spricht er heimlich zu seinen Gästen. Er lügt sie an, weil er so tut als wolle er das Kind anbeten. Dabei will er es töten. Auf der Gegenseite derer, die sich am Stern orientieren, steht einer, der egoistisch, verschlagen und verlogen handelt. Der keine Verantwortung gegenüber Gott spürt, sondern nur seinen Machtinteressen verfolgt. Die Geschichte klingt zunächst konstruiert wie eine Fabel. Aber so konstruiert ist das ja gar nicht, sondern erschreckend real.
„Eine Gemeinde ist lebendig, wenn alle auf vielfältige Weise daran mitwirken, das Evangelium von Jesus Christus weiterzutragen“, so heißt es in der Liturgie zur Einführung der Kirchenvorsteher in der Nordkirche. „Dazu gehört die Aufgabe, die Gemeinde zu leiten.
Ich werde euch beide, Daniel und Elke, darauf hinweisen, dass wir uns an der Wahrheit festhalten und uns von der Liebe leiten lassen sollen. Und dann folgen jene so wichtige Sätze: „So wachsen wir in jeder Hinsicht dem entgegen, der das Haupt ist: Christus. Von ihm her wird der ganze Leib unserer Gemeinschaft, der ganze Leib unserer Kirche zusammengefügt und zusammengehalten durch alle stützenden Sehnen. Dabei erfüllt jedes einzelne Teil, jedes Mitglied dieser Kirche seine Aufgabe – entsprechend der Kraft, die ihm zugeteilt ist. So wächst der ganze Leib heran, bis er durch die Liebe aufgebaut ist.“
Gemeinsam machen wir uns auf den Weg. Wir lassen uns von dem Mensch gewordenen Gotteswort Jesus Christus leiten. Wir ziehen mit ihm, dem barmherzigen, dem, der sich der Menschen erbarmt und sich ihrer annimmt – mit dem, der sich auch eurer erbarmt und eurer annimmt. Amen.
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