Sich Gott nähern - wie geht das?

Sich Gott nähern - wie geht das?

Sich Gott nähern - wie geht das?

# Predigt

Sich Gott nähern - wie geht das?

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gemeinde, lieber Herr Weitz, liebe Serra, danke, dass ihr mich eingeladen habt und ich heute zu euch sprechen darf.

Für mich als offen, humanistisch und liberal denkende und lebende Muslimin, die ihre Religion zeitgemäß lebt und mit anderen gemeinsam die Heilige Schrift des Koran historisch-kritisch liest, ist es immer wieder eine besondere Ehre in Kirchen sprechen zu dürfen. 

Dies sind die Momente, in denen interreligiöser Dialog gelebt wird und ich persönlich stets bereichert nach Hause zurückkehre. So fühlt sich für mich FRIEDEN an.

Im Vorfeld dieses Gottesdienstes bekam ich von Herrn Weitz einen Auszug aus dem Text des biblischen Prophetenbuches Micha, Kapitel 6. In dem Auszug in einer modernen Übersetzung, der BasisBibel heißt es:

Womit soll ich vor den Herrn treten?
Wie kann ich mich angemessen verhalten
gegenüber dem Gott, der in der Höhe wohnt?
Soll ich mit Brandopfern zu ihm kommen,
mit einjährigen Rindern als Opfertieren?
Wird es dem Herrn gefallen,
wenn ich ihm 1000 Widder bringe
und 10.000 Krüge mit Olivenöl?
Soll ich mein erstgeborenes Kind hergeben,
damit er mir mein Verbrechen verzeiht?
Soll ich die Frucht meines Leibes opfern,
damit er mir meine Schuld vergibt?
Es wurde dir gesagt, Mensch, was gut ist
und was der Herr von dir erwartet:
das Rechte tun, Nachsicht mit anderen haben
und bewusst den Weg mit deinem Gott gehen. 

Heute stehe ich hier und will mit Ihnen nun meine Gedanken zu dem Text und dem tieferen Sinn dahinter, so wie ich ihn verstehe, teilen. Ich werde versuchen, Ihnen meine Interpretation auch aus muslimischer Perspektive darzulegen. Zum Abschluss will ich versuchen, durch die Brille Rumis auf den Text zu schauen.

 „Womit soll ich vor den Herrn treten?“ 

Ich persönlich begreife diese Frage nicht nur als eine rhetorische Überlegung. Mir ist vielmehr so, als ob es ein tiefes Anliegen der Mehrheit aller gläubigen Menschen dieser Erde ist. Und zwar von ganzem Herzen. 

Wie können wir uns Gott nähern? Gott, dem Menschen verschiedenste Namen und Tugenden zuschreiben. Dem Gott, den viele oben im Himmel, andere wiederum überall um uns herum und in uns verorten. 

Wie können wir uns ihm nähern? An dieser Stelle will ich einrücken, dass viele von uns zurecht ein Problem mit dem Pronomen für Gott haben. Weil „er“ und „ihm“ Gott zu einem alten weißen Mann mit weißem Vollbart macht. Ähnlichkeiten mit dem Weihnachtsmann sind nicht zu leugnen. Ich will gar nicht abschweifen. Denn auch dies ist ein wichtiger Aspekt. Nähere ich mich einer Menschengestalt oder einer Materie, die ich nicht beschreiben kann, weil es uns Menschen unmöglich ist, das zu wissen und zu begreifen? Mit welchem Gottesbild gehe ich los, um Gott so nahe wie möglich zu kommen?

Also, wie können wir uns ihm nähern, ohne ihm ein Geschlecht zuzuschreiben. Dies ist ein wichtiger Aspekt im Islam: Gott hat kein Geschlecht

In Sure 112, einer Sure, die Muslime sehr oft beim Gebet rezitieren heißt es in der Übersetzung nach Friedrich Rückert (1788-1866): «Sprich: Gott ist Einer, / Ein ewig reiner, / Hat nicht gezeugt und ihn gezeugt hat keiner, / Und nicht ihm gleich ist einer.» 

Und in der Übersetzung nach Bobzin: «Sprich: / Er ist Gott, der Eine, / Gott, der Beständige, / Er zeugte nicht und wurde nicht gezeugt, / Und keiner ist im gleich“. 

Weil es im Hinblick auf Übersetzungen des Korans Probleme gibt, benutze ich gerne mindestens zwei Übersetzungen. Diese Problematik ist Ihnen sicher bekannt. Der Koran ist auf Koran-Arabisch und schwer zu übersetzen und jede Übersetzung ist gleichzeitig eine Interpretation.

Zurück zum Thema: Wie können wir ihm begegnen – dem ohne Geschlecht und einzigartig, wie er ist - in einer Welt, die oft so chaotisch, verletzend und herausfordernd ist? Diese Frage muss jeder Mensch für sich selbst beantworten. So habe ich meine Religion den Islam kennengelernt. Wenn so eine Frage in unserer Familie gestellt wurde, hieß es: Das musst Du mit Gott allein ausmachen. Dabei kann Dir niemand helfen. Dies ist eine Sache zwischen Dir und Gott. Niemand darf einen Einfluss darauf haben, wie Du vor Gott trittst. 

In dem Predigttext lesen wir weiter von den verschiedenen Opfern und Gaben, die Menschen Gott darzubringen gedenken oder angehalten werden.

Heute, im Jahre 2024 in Deutschland und Europa kommt einem die Vorstellung schon merkwürdig vor, mit Brandopfern oder einjährigen Rindern vor Gott zu treten. In anderen Regionen der Welt und Religionen ist dies gar nicht so abwegig. Auch aktuell nicht.

Aber hier an dieser Stelle und heute wohl schon. Es ist uns zurecht fremd geworden, Gott auf diese Weise Opfer zu bringen, um Gott nahe zu sein. Ja, auch mir als Muslimin ist es fremd, wenn Millionen von Muslimen zum Opferfest Tiere schlachten, weil sie der Überzeugung sind, damit ihre gottgefällig zu beweisen. 

Ich persönlich empfinde es als gottgefällig Tiere zu schützen und so wenig brutal wie möglich zu schlachten. Damit falle ich nicht vom Glauben ab, sondern gehöre einer Bewegung in meiner Religion an, die sich sehr wohl Gedanken um Tierschutz macht.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob wir nur so die Gunst Gottes erlangen können „Wird es dem Herrn gefallen, wenn ich ihm 1000 Widder bringe oder 10.000 Krüge mit Olivenöl?“ 

Wie wörtlich müssen wir diese Frage nehmen? Sollen wir Menschen und Tiere leiden? Braucht Gott all diese Tiere und das Öl und wofür? Was soll Gott mit all diesen materiellen Dingen anfangen, wenn er doch der Schöpfer von allem ist. 

Sollten wir nicht eher darüber reflektieren und weiterdenken und fragen: Ist es das, was Gott von uns erwartet? Ist es die Menge unserer Opfergaben oder die Pracht unserer Rituale, die ihn erfreuen? Oder gibt es einen tieferen Sinn hinter diesen Fragen?

So suchte ich zunächst nach Antworten aus christlicher Perspektive und las: "Der Prophet Micha bringt Licht ins Dunkel. Er erinnert uns daran, dass es nicht die äußeren Zeichen sind, die zählen. Es wurde dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet: das Rechte tun, Nachsicht mit anderen haben und bewusst den Weg mit deinem Gott gehen."

Diese Worte sind eine Einladung zur inneren Einkehr. Sie fordern uns auf, unser Herz zu prüfen und unsere Motive zu hinterfragen. Es geht nicht darum, wie viel wir geben oder welche Rituale wir vollziehen. Vielmehr geht es darum, wie wir leben – im Alltag und im Umgang miteinander. 

Diese Überzeugungen teilen meines Erachtens alle gläubigen Menschen auf der Erde, egal welcher Religion sie angehören.

Das Rechte tun bedeutet Gerechtigkeit walten zu lassen – sowohl in unseren Beziehungen als auch in der Gesellschaft. Es bedeutet, für die Schwachen einzustehen und für das Gute zu kämpfen. Nachsicht mit anderen haben heißt Vergebung zu üben und Mitgefühl zu zeigen – gerade dann, wenn es schwerfällt. Und bewusst den Weg mit unserem Gott gehen bedeutet eine lebendige Beziehung zu ihm aufzubauen; ihn in unser Leben einzubeziehen und seinen Willen zu suchen. 

Wir leben in einer Zeit, in der materielle Dinge oft mehr Gewicht haben als spirituelle Werte. Menschen neigen dazu, ihren Wert an dem zu messen, was sie besitzen oder erreichen können. 

Doch Gott sieht unser Herz an – er sieht unsere Absichten und unser Streben nach einem Leben in Übereinstimmung mit seinem Willen.

Wenn wir also vor den Herrn treten wollen – sei es im Gebet oder im Handeln – dann sollten wir nicht nur an äußeren Opfern festhalten. Vielmehr sollten wir bereit sein, unser Herz zu öffnen und ihm unsere wahren Anliegen darzubringen. Wir sollten bereit sein für Veränderung – sowohl in unserem eigenen Leben als auch in der Welt um uns herum.

Unser Streben sollte danach bestehen, das Rechte zu tun und Nachsicht mit anderen zu haben. Unser Weg mit Gott sollte geprägt sein von Liebe und Hingabe. Denn letztlich ist – meines Erachtens - dies das Opfer, das er sucht: ein demütiges Herz und einen aufrichtigen Geist.

Nun will ich die islamische Perspektive auf unser Thema betrachten:

Ein zentraler Aspekt des islamischen Glaubens ist die Beziehung zwischen dem Gläubigen und Allah (Gott). Das sagte ich bereits.

Zur Erklärung will ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich mal den Begriff Gott, mal den Begriff Allah verwende, denn beides ist dasselbe.

Die Absicht (Niyyah) NIYET: Im Islam wird betont, dass die Absicht hinter unseren Taten entscheidend ist. Es geht nicht nur um äußere Handlungen oder Rituale, sondern um die innere Haltung und das Streben, Allah/Gott zu gefallen. 

Muslime glauben, dass man sich Gott mit einem demütigen Herzen nähern sollte.

In Surah Al-Baqarah (2:177) heißt es: „Frömmigkeit besteht nicht darin, dass ihr euer Gesicht nach Osten und Westen wendet. Frömmigkeit besteht darin, dass man an Gott den Jüngsten Tag, die Engel, das Buch und die Propheten glaubt, dass man aus Liebe zu Ihm, den Verwandten, den Waisen, den Bedürftigen, dem Reisenden und den Bettlern Geld zukommen lässt und (es) für den Loskauf der Sklaven und Gefangenen (ausgibt), und dass man das Gebet verrichtet und die Abgabe entrichtet. (Fromm sind auch) die, die ihre eingegangenen Pflichten erfüllen und die, die in Not und Leid und zur Zeit der Gewalt geduldig sind. Sie sind es die wahrhaftig sind, und sie sind die Gottesfürchtigen.“ (Übersetzung von Adel Khoury)

„Wahre Frömmigkeit besteht nicht darin, dass ihr eure Gesichter nach Osten oder Westen wendet - sondern wahrhaft fromm ist, wer an Gott glaubt und den Letzten Tag und die Engel und Offenbarung, und die Propheten; und sein Vermögen ausgibt - wie sehr er selbst es auch wertschätzen mag - für seine nahen Verwandten und die Waisen und die Bedürftigen und den Reisenden und die Bettler und für das Befreien von Menschen aus Knechtschaft; und beständig das Gebet verrichtet und die reinigenden Abgaben entrichtet; und (wahrhaft fromm sind) diejenigen, die ihre Versprechen halten, wann immer sie etwas versprechen und geduldig im Missgeschick sind und in Härte und in Zeiten der Gefahr: es sind sie, die sich als wahrhaftig erwiesen haben, und es sind sie, sie, die sich Gottes bewusst sind.“ (Übersetzung von Muhammad Asad)

Das heißt: Jemand, der betet, aber nicht genügend Almosen gibt, oder umgekehrt, ist keiner, der fest auf dem Pfad der Rechtschaffenheit und einem glücklichen Jenseits wandelt. Das Gebet ist mehr als ein Bewegungsablauf, und es ist mehr, als nach links und dann nach rechts zu blicken. Ich sage immer, beten ist nicht Yoga, auch wenn es sich manchmal so anfühlt oder so aussieht. Wichtig ist, was in Deinem Herzen beim Gebet geschieht.

Dies zeigt, dass es nicht um äußere Rituale, um die Show geht, sondern um den Glauben und das gute Verhalten.

Identisch wie im biblischen Text wird im Islam betont, dass das Gute tun eine zentrale Rolle spielt. Mir ist, nebenbei bemerkt, keine Religion bekannt, die dazu aufruft, dass Böse / Schlechte zu tun.

In Sure 5, Vers 32 (5:32) heißt es: „Deswegen haben Wir für die Kinder Israels verordnet, dass, wenn irgendeiner einen Menschen tötet - es sei denn (als Strafe) für Mord oder für Verbreiten von Verderbnis auf Erden -, es sein soll, als ob er alle Menschheit getötet hätte; während, wenn irgendeiner ein Leben rettet, es sein soll, als ob er aller Menschheit das Leben gerettet hätte“ (Asad) 

„Wer ein Leben rettet, der ist so, als hätte er die ganze Menschheit gerettet.“

Dies unterstreicht die Bedeutung von Gerechtigkeit und Mitgefühl. Wie schön wäre es doch, wenn sich alle Menschen an diese Regel halten würden. Wir hätten nie wieder Krieg. Auch die Vergebung ist im Islam ein zentrales Thema. Allah/Gott ist der Allverzeihende (Al-Ghafoor), und Muslime sind angehalten, anderen zu vergeben.

In Sure 24, Vers 22 heißt es: „… Sie sollen verzeihen und nachlassen. Liebt ihr es selbst nicht, dass Gott euch vergibt? Gott ist voller Vergebung und barmherzig“ (Khoury)

Nach islamischem Verständnis wird der Weg zu Allah/Gott durch aufrichtiges Gebet (arabisch: Salah), Wohltätigkeit (Zakat) und gute Taten geebnet. 

In Sure 29, Vers 69 ist zu lesen: „Aber was jene angeht, die sich hart anstrengen für Unsere Sache – Wir werden sie ganz gewiss auf Pfade leiten, die zu uns führen: denn, siehe, Gott ist fürwahr mit denen, die Gutes tun. (Asad)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Islam der Fokus auf der inneren Haltung des Gläubigen liegt – auf der Absicht, dem guten Verhalten gegenüber anderen Menschen und dem Streben nach einer engen Beziehung zu Allah/Gott.

Die Frage „Womit soll ich vor den Herrn treten?“ ist in dem Verständnis zu finden, dass wahre Anbetung in der Aufrichtigkeit des Herzens und im Handeln für das Gute besteht.

Im letzten Teil will ich mich dem Thema nun aus der Perspektive des Großmeisters der Sufis Mevlana, auch bekannt als Rumi widmen.

Die folgenden tiefgründigen und vielzitierten Worte des großen Sufi-Dichters stehen auf seinem Grab in Konya und gehören zu den am meisten zitierten Worte. Er war und ist heute noch einer der wichtigsten Aufklärer und Universalisten des Islam:

„Komm, komm, wer immer du bist, Wanderer, Götzenanbeter, du, der du den Abschied liebst. Es spielt keine Rolle. Dies ist keine Karawane der Verzweiflung. Komm, auch wenn du deinen Schwur tausendfach gebrochen hast. Komm, komm, noch einmal, komm!“ 

Diese Einladung ist eine kraftvolle Botschaft der Hoffnung und der bedingungslosen Liebe Allahs/Gott. Sie erinnert uns daran, dass wir alle auf einer Reise sind – einer Reise des Glaubens und des Suchens nach dem Göttlichen. Egal woher wir kommen oder welche Fehler wir gemacht haben, Allah/Gott lädt uns ein, zu ihm zurückzukehren.

Rumi spricht von verschiedenen Menschen: dem Wanderer, dem Götzenanbeter und demjenigen, der den Abschied liebt. Diese Begriffe stehen symbolisch für die Vielfalt menschlicher Erfahrungen und Herausforderungen.

Jeder von uns hat seine eigenen Kämpfe und Zweifel. Doch die Botschaft bleibt klar: Es spielt keine Rolle! Allah/Gott ist barmherzig und verzeiht all jenen, die aufrichtig zu ihm zurückkehren wollen.

Im Koran, Sure 39, Vers 53 ist zu lesen: 

„SAG: „(Also spricht Gott:) O ihr Meine Diener, die ihr euch gegen euch selbst vergangen habt! Verzweifelt nicht an Gottes Barmherzigkeit: siehe Gott vergibt alle Sünden – denn, wahrlich, Er allein ist vielvergebend, ein Gnadenspender!“ (Asad)

„Sprich: O meine Diener, die ihr gegen euch selbst Übertretungen begangen habt, gebt die Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes nicht auf. Korrekt Gott vergibt die Sünden alle. Er ist ja der, der voller Vergebung und barmherzig ist.“ (Khoury)

Jede Übersetzung des Koran ist wie bereits gesagt auch eine Interpretation. Es ist notwendig bei allen furchteinflößenden Begriffen den tieferen Sinn zu suchen, wie bei unserem heutigen Text aus dem biblischen Prophetenbuch. 

Diese Verse erinnern uns daran, dass Allah uns immer willkommen heißt – unabhängig von unserer Vergangenheit – unabhängig von Irrungen und Verwirrungen in unserem Leben.

„Komm, auch wenn du deinen Schwur tausendfach gebrochen hast.“ 

Wie oft haben wir Versprechen an uns selbst oder an Allah gebrochen? Wie oft haben wir uns vorgenommen, besser zu sein oder einen bestimmten Weg zu gehen? Sie kennen das alle zum Ende und Anfang eines jeden Jahres. Was die Menschen alles besser und anders machen wollen und dennoch schaffen es nur wenige von uns. Dabei geht es nicht nur um Sport, abnehmen oder mit dem Rauchen aufzuhören.

Rumi ermutigt uns: Es ist nie zu spät! Die Tür steht immer offen. Jeden Tag aufs Neue. Immer wieder. Nicht nur am 01.01. eines jeden Jahres kann man durch die Tür gehen. Jeder einzelne Tag und Moment geben uns die Chance jetzt zu sagen und zu handeln. Wir sind verantwortlich dafür, ob wir die Tür öffnen.

Weiter heißt es: „Dies ist keine Karawane der Verzweiflung“. 

In einer Welt voller Herausforderungen und Schwierigkeiten kann es leicht sein, den Mut zu verlieren oder in Verzweiflung zu geraten. Wir denken, dass jetzt 2024 eine besonders dramatische und schreckliche Zeit ist. So viele Kriege, so viele Konflikte überall auf der Welt. Es sind die Herausforderungen unserer Zeit, unseres Lebens, so wie es Generationen vor uns die Herausforderungen der anderen Generationen waren. Es gibt keinen Grund heute verzweifelter zu sein als vor 1000 oder 2000 Jahren.

Als Gläubige wissen wir um die unendliche Barmherzigkeit Gottes. Er ist Al-Rahman (der Allerbarmende) und Al-Rahim (der Barmherzige). Unsere Reise ist nicht von Verzweiflung geprägt; sie ist eine Suche nach Licht und Hoffnung.

Wenn wir zusammenkommen – in unseren Gebeten und in unserer Gemeinschaft – schaffen wir eine Atmosphäre der Unterstützung und Ermutigung. Wir sind nicht allein auf diesem Weg; wir tragen einander durch unsere Gebete und guten Taten.

Wir sollten alle diese Einladung annehmen! Wir sollten kommen – egal woher wir kommen oder was wir erlebt haben. Wir sollten gemeinsam aufbrechen zu einer Reise des Glaubens und Weltanschauung  – einer Reise voller Entdeckungen und Wachstum im Glauben an Allah/Gott, einer großen Idee und den Menschen. Vor allem sollten wir im Glauben an die Liebe und den Frieden zusammenkommen.

Unser Kommen sollte nicht nur für uns selbst sein, sondern auch für andere. Wir sollten Brücken bauen statt Mauern zu errichten; lasst uns daher einander ermutigen und unterstützen auf unserem Weg zu Allah/Gott. So verstehe ich Rumi.

„Komm, komm, wer immer du bist.“ Diese Einladung gilt für jeden Einzelnen von uns – heute und jeden Tag immer wieder neu.

Egal woher wir kommen, egal woran wir glauben oder nicht glauben. 

So will ich gerne zum Abschluss Rumi eine Person gegenüberstellen und zitieren, die nicht an Gott glaubte. Er gehört zu den größten Dichtern und Denkern der Türkei. Nazim Hikmet. Er schrieb:

„Wenn ich nicht brenne,
wenn du nicht brennst,
wie sollen wir dann Licht
in die Dunkelheit bringen.“

Rumi erwidert bzw. ergänzt:

"Suche das Licht nicht im Außen, finde das Licht in dir und lass es aus deinem Herzen strahlen."

Und hier an diesem schönen leuchtenden, brennenden Ort in uns selbst begegnen wir Gott, so wie wir sind, wir begegnen anderen Menschen, mit denen wir brennen, wir begegnen uns selbst und leuchten und strahlen auf unserem Weg, dem Weg der Liebe und des Friedens.

In diesem Sinne bete ich heute, wie so oft für alle Menschen, die Leiden und Schmerzen ertragen müssen. Sei es wegen Krieg, Diskriminierung oder Ausgrenzung, Krankheit oder Liebesschmerz. In Gedanken und im Herzen fühle ich mit ihnen allen und wünsche allen Menschen Kraft und Stärke ihre Sorgen, Nöte und Schmerzen zu überwinden.

Komm, komm, wer immer Du bist. Amin.

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