07/01/2025 0 Kommentare
Stell dir vor!
Stell dir vor!
# Predigt

Stell dir vor!
Liebe Gemeinde,
stellen Sie sich vor: Gott legt dir sein Kind in die Arme. Er sagt: Hier, halt mal, pass eben auf!
Eben noch waren deine Arme verschränkt vor der Brust. Du hast Verschlossenheit signalisiert, Distanz. Unwillkürlich hast du die Verschränkung gelöst und deinen Unterarm ausgestreckt. Und nun auf einmal hältst du ein kleines warmes Bündel Leben im Arm. Es liegt nur auf deinem Unterarm, die Füße reichen kaum zu deiner Armbeuge. Deine Hand umwölbt den dicken, flauschigen Stoff, der das feine Köpfchen umgibt. Mit der anderen Hand drückst du das Kind sanft an dich. Es wiegt fast nichts, das kleine Baby. Die winzigen Fingerchen klammern an den Falten des Stoffes. Aber der weiche Stoff ist für den schwachen Klammergriff zu grob. Der winzig kleine Griff ist zu schwach, um ihn auch nur einen Millimeter einzudrücken.
Das Kind hält die Augen geschlossen, es scheint müde zu sein. Es schläft. Und deine ganze Aufmerksamkeit gilt diesem kleinen bisschen Leben. Du passt auf, dass du nicht zu sehr drückst. Dass du es horizontal hältst, den Kopf etwas nach oben. Dass du das Köpfchen stützt, weil das Kind es nicht selbst halten kann.
Und auf einmal denkst du nur noch an dieses kleine Kind. O Gott, hoffentlich tue ich dir nichts an, denkst du. Ist das Kleine auch überall warm eingehüllt?, fragst du dich. Was, wenn es gleich aufwacht und schreit, schießt es dir durch den Kopf. Aber zum Glück schläft es und hält die Augen geschlossen.
Gott legt dir sein Kind in den Arm, und du wirst auf einmal ganz weich, ganz fürsorglich, hältst den Atem an, hältst die Arme steif und die Schultern angespannt. Und du betrachtest die feinen Glieder, diese unendliche Ruhe, und du staunst über dieses unendliche Vertrauen, das dir das Kind entgegenbringt.
Woher kommt es, dass du auf einmal so sanft bist, dass dich dein Groll verlässt, oder deine Verschlossenheit, oder dein Sarkasmus? Woher kommt es, dass du auf einmal wieder lieben kannst?
Gott legt dir sein Kind in die Arme. Nein, er legt es dir vor die Füße, in einen ärmlichen Futtertrog. Und du lässt dich anrühren von seiner Armut, wie du dich lange nicht mehr hast anrühren lassen von der Armut eines armen Menschen. Gott wird Mensch, und du und ich, wir werden auf einmal wieder Menschen, empfinden für dieses zerbrechliche Wesen, schenken ihm unsere Aufmerksamkeit, unsere ganze Fürsorge.
Gott legt dir das Kind auf deine Türschwelle, dass du es annimmst und bei dir großziehst. Und ja, du tust Dinge, die du niemals für möglich gehalten hättest. Du übernimmst Verantwortung, legst dich ins Zeug für dieses Kind. Denn nun ist es ja schon einmal da. Du kannst es ja nicht allein lassen. Also nimmst du das Kind als dein eigenes an.
Gott wird Mensch und bettet sich in einem Futtertrog in Bethlehem. Und die Hirten, die rauhen Gesellen vom Feld, sie treten an den Stall heran, linsen über den Rand der Futterkrippe, und sie werden ganz weich. Und ferngereiste Weise legen all ihren Hochmut ab und fallen nieder auf die Knie, lächeln fast schon blöde, tätscheln sanft seine Wangen, als hätten sie ganz vergessen, was für hochmögende Menschen sie doch sind.
Und wir alle stehen vor diesem Kind, wir tun Dinge, die wir sonst niemals tun würden, machen Faxen, singen Koselieder, werden ganz albern.
Gott wird Mensch, damit wir Menschen werden. Und ja, wir lassen uns verwandeln. Vielleicht ja irgendwann einmal richtig verwandeln, auch über den Moment hinaus. Und wir spüren, dass diese Urliebe später nicht aufhören soll, wenn das Kind sich zu regen beginnt, Ansprüche stellt, die wir nicht mehr deuten können. Wenn es unter andere Kinder kommt und seine charakterlichen Besonderheiten zum Vorschein kommen: seine Schüchternheit oder sein Durchsetzungstrieb, seine Verschlossenheit oder seine Distanzlosigkeit, sein Bedürfnis nach einem festen Rahmen und festen Regeln oder sein Freiheitstrieb, der alle Regeln umwirft und einen schier auf die Palme bringen kann. Dann sind elterliche Geduld und Liebe gefragt. Und auch später noch, wenn es älter und älter wird und immer anstrengender, wenn sich unsere Geduld zunehmend verbraucht. Wenn sich familiäre Verhaltensmuster ausprägen, die immer wieder im selben Streit enden, dann tut Familienbande Not. Und jedes Jahr in dem es anstrengender mit dem Kind wird – und für das Kind anstrengender mit den Eltern, wird es umso wichtiger sein, dass das familiäre Band hält und nicht reißt.
Gott legt dir ein Kind in den Arm. Pass gut auf es auf. Es wird groß. Es geht seine eigene Wege, Wege die nicht deine Wege sind. Manchmal irrsinnige Weg. Manchmal geht es verloren, ganz und gar verloren. An falsche Freunde. An gar keine Freunde. An süchtig machende Computerspiele. An Freudlosigkeit oder an Autoaggression. Manchmal zerfrisst du dich mit Sorgen. Aber es ist dein Kind. Es ist deine Familie. So wie jeder hier im Raum deine Familie sein könnte.
An Weihnachten wird Gott Mensch, damit wir Menschen werden. Damit wir in unsere Rolle zurückfinden, die wir jedes Jahr an der Krippe aufs Neue erspüren. Du bist mein. Ich bin dein. Wir gehören zusammen. Wir alle gehören zusammen. Wir alle sind eine Familie. Wir alle geben aufeinander acht. So wie du auf das Kind Acht gibst, das Gott dir in deinen Arm legt.
Gott selbst ist dieses Kind. Er gibt sich dir hin, schutzlos. Er weckt etwas in dir, das schon immer da war. Deine Menschlichkeit, deine Liebe, dein Erbarmen. Amen.
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